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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0356
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11 Töten und Sterben

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gefährliche Situationen zu vermeiden, betonte Monstrelet bei der Schilderung
eines anderen Gefechts, dass einige bedrängte Krieger aus Angst um ihr Le-
ben umso heftiger gekämpft hätten.^
Auf der Darstellungsebene ließ sich Angst also positiv wie negativ Umset-
zen: Einerseits ließ Monstrelet aus Todesfurcht größere Tapferkeit entstehen,
andererseits war die Angst der Krieger bei Azincourt 1415 in seiner Schilde-
rung die Ursache für die Niederlage: Der englische Pfeilhagel habe die fran-
zösische Vorhut in Unordnung gebracht, so dass die Ritter in Todesangst
geflohen seiend^ Das Motiv der Angst wird hier als individueller Affekt ge-
fasst, der jedes Gefühl der Gruppenzusammengehörigkeit ebenso auflöste
wie die militärische Ordnung des Heeres.
Es ist bemerkenswert, dass eine der eindringlichsten Schilderungen der
Angst im Kampf aus der Feder eines Ritters stammt. In einem vermutlich
kurz vor der Schlacht von Poitiers verfassten Gedicht schildert Geoffroi de
Charny (der in dieser Schlacht den Tod fand), wie einen Ritter, der im Kampf
von Feinden umgeben war, die Angst befiel und ihm der Gedanke an eine
unehrenhafte Flucht durch den Kopf ging, als er neben sich seine Freunde
sterben sahA Letztlich gereichte Geoffroi zufolge gerade die Gefährlichkeit
des Kriegshandwerks den Rittern zum Ruhm - wenn sie ihre persönlichen
Ängste überwinden konnten.
Was für Geoffroi de Charny eine Frage individueller Tapferkeit war, wur-
de in kriegstheoretischen Trakten rationaler angegangen. Mit Verweis auf das
militärische Lehrbuch des Vegetius reflektierte etwa Christine de Pisan Ge-
fahren und Vermeidungsstrategien der Todesangst: Um die Furcht vor dem
Kampf zu dämpfen, biete sich erstens maßvoller Alkoholgenuss an, weil die-
ser beweglicher mache und das Gemüt stärke. Zweitens könnten kleine
Scharmützel vor einer großen Schlacht die Furcht der Krieger in Wut um-
wandeln, die sich dann in der Schlacht lösen könnet - eine Beobachtung, die

42 Et tors Ls assogLs, constdorans ipic so ttz ostoitmt prms do^brco, ne soroitmt podit ipiLLs pour soiiL-
mtmt pordro ta uttL, mats toiicdott a Lurs uLs, so mtroiit a do)Jdnso tros uatttammoiit. Monstrelet,
Chronique, Bd. 5, S. 185.
43 Car tours odouaMÜ ostotoiit tollomoMt Mauroz du Lad des anders aiigtots ipi'ilz ne Ls pouotont tom'r ne
goMuomor. Et amst per LoMÜ/Mt 1'auangardo dosordoimoo, et oommoMooroiit a odootr ees dommos
d'armos, saus Momdro. Et Ls dossnsdtz de cdoual, de paour de la mort se mtroiit a^0Mi/r andere de leMrs
oimomis. /I l'oxomplo dosipiolz se doparttroiit et mtroiit OM/ntto graut partto des dossnsdtz Eraw^ots.
Ebd., Bd. 3, S. 108.
44 Paour te^Ml auotr soiiuoiit / Quant uots tes onnomts douant uers tot uontr / Eanoos dosstos, poMr toi/
^ertr / Ees espees poiir rouontr tot oonrro s:is / Carros, ipiarrtaMX te utonont s:is / Tn ne seez diipnot tu
dots ptiis ton oorps garder / Or uots tu goans ontrotnor / Pontr, mourtr et arrester, Tes amts mors / dont
douant toi/ gtseiit tes eorps. / Mos tes edouanx n'ost mtes mors, dien piiet atter / Pas tut ton eors fsLJ
pourras sanuor / ganz donnoMr Eon pourra melier, se tu demenres / PfonnoMr eil auras tontes denres / Se
tM/iits, tu te dosdonnoMros, n'est ee (graut) marttre? Piaget, Livre, S. 401f., V. 206-226; Verweis bei
Wright, Knights, S. 64.
43 Laennec, Christine, Bd. 2, S. 90f. (1,24), (siehe auch: Christine de Pisan, Book of Fayttes, S. 85;
Christine de Pisan, Book of deeds, S. 69). Vgl. Vegetius, Epitoma rei militaris, S. 137 (111,9, §18).
In der Übersetzung Jeans de Meun (1284): L'art de chevalerie, S. 97f.; in der Übersetzung Jeans
de Vigany (1320): Li livres Flave Vegece, S. 84; in einer anonymen Übersetzung von 1380: Le
Livre de l'art de chevalerie, S. lOOf. Zur Rezeption von Vegetius durch Christine siehe All-
mand, The De re militari [2011], S. 121-127.
 
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