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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0403
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402

VI Vertiefungen

lung lag auf dem durch Vaurus bedrängten Paar, er selbst trat als individuel-
ler Charakter stark in den Hintergrund und bildete als schematisch angelegter
Schurke nur den Rahmen, vor dem das Leid der Bevölkerung exemplifiziert
wurde. Der Höhepunkt des Schreckens am Ende der Episode war letztlich
nur das Resultat der Grausamkeit Vaurus', stand aber mit diesem kaum mehr
in einem direkten Zusammenhang. Stattdessen summierte der Bourgeois die
Motive der Nacht, des Waldes und der Menschen bedrohenden Wölfe zu
einem Schreckensszenario, in das er die Figur der nackten, gehängten
Schwangeren allein stellte.^ ihre Schreie seien zwar gehört worden, so der
Bourgeois, aber aus Angst vor dem Bastard von Vaurus habe es niemand ge-
wagt, ihr zu helfen.i°6
Der Schurke Vaurus diente als Projektionsfläche für kollektive Ängste und
wurde in der Schilderung des Bourgeois zum Sinnbild für die Verkommenheit
der eigenen Zeit. Vaurus selbst konnte dieser Logik zufolge nur mit den
schlimmsten Personen verglichen werden, derer man sich erinnerte: Vaurus,
so schreibt der Bourgeois, sei der grausamste Tyrann seit Nero gewesen.""

312.2 Guillaume Cale
Das Prinzip, die Schlechtigkeit einer Person eher durch die Auswirkungen
ihrer Handlungen als durch eine individuelle Charakterisierung darzustellen,
findet ähnlich wie bei der Person Vaurus' auch in Darstellungen von Auf-
ständen Anwendung. Das Beispiel des Anführers der Jee^oerie im Jahr 1358
zeigt, dass dessen Individualität abgesehen von stereotypen Zuschreibungen
kaum erkennbar war. Der Hinweis, Aufständische haben sich ,ohne Anfüh-
rer' versammelt, gehörte zum festen Inventar der historiographischen Delegi-
timationsstereotypen. Auf diese Weise wurde die Unordnung und Willkür
jeder Rebellion betont und diese damit zum Antipol der legitimen Ordnung
stilisiert.^ Gegenüber dem schlichten Nichterwähnen einer Führungsfigur""
betonen etwa Jean le Bel und ihm folgend Jean Froissart ausdrücklich, die
/deines haben sich „ohne Anführer''^" versammelt.
Was wiederum von einem Aufstandsführer zu erwarten war, führte Jean
le Bel aus. Mit Blick auf die /de^nerie formulierte er, den Aufständischen habe
derjenige als der Größte gegolten, der die schlimmsten und schrecklichsten
Taten beging.'" Ihr Cdyiidine, den Jean le Bel als ,Jaque Bohomme' vorstellt.

105 Zum Motiv der Nacht siehe S. 56, Anm. 36; zum Wald siehe S. 264, Anm. 256; zu Wölfen siehe
S. 383, Anm. 111.
loo Journal d un Bourgeois, S. 187 (§345). Siehe dazu Oschema, Lorsque les mots, S. 300f.
107 Line damucNe crMHMde t?Me Md de VgMrMs/d t?Me c'efgd L p/MS eme/ (ft/nm) (pdoMC^Mes gMere/Mi
Nerow OM HMire. Ebd., S. 185 (§345).
loo Dazu Mauntel, Legitimität, S. 96f.
109 Recits, S. 295.
no Jean le Bel, Chronique, Bd. 2, S. 256; Froissart, Chroniques (SHF), Bd. 5, S. 99 (1,413);
in Cerfes e?dre Ls cresdens ne serrasdrs M'audd onc^Mes rage s; desordo?mee ?d s; di/adLsse, rar tpu pd^s
Jdisod de WMMh* ei de udadrs Jdd, ieix WMMÜ t?Me seM/emeni cmdMre dMWMiMe ne Ls dedurod penser
saus dofde ei uergongne, d esiod L pd;s grend waisire. Jean le Bel, Chronique, Bd. 2, S. 257; ähnlich
Froissart, Chroniques (SHF), Bd. 5, S. 100 (1,413).
 
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