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Dohmen, Linda; Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn [Editor]; Jan Thorbecke Verlag [Editor]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Die Ursache allen Übels: Untersuchungen zu den Unzuchtsvorwürfen gegen die Gemahlinnen der Karolinger — Mittelalter-Forschungen, Band 53: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2017

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.51256#0440
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5. Fazit

439

Drahtzieherin hinter den politischen Ereignissen der 820er und 830er Jahre, ein
Bild, das vor allem aus der Kritik ihrer Gegner gespeist wird. Die Aufständischen
von 830 begründeten gar ihr Vorgehen gegen die Kaiserin, der sie in diesem
Zusammenhang Ehebruch mit Graf Bernhard von Barcelona vorwarfen, mit
ihrem überragenden Einfluss auf ihren Gemahl. Tatsächlich nahmen auch an-
dere Zeitgenossen Judith als ,Weg' wahr, bei Ludwig dem Frommen Gehör zu
finden, wie die ihr gezollten Ehrerweisungen in zahlreichen literarischen Werken
der späten 820er Jahre bezeugen. Gleichzeitig scheinen durch Judiths Heirat mit
dem Herrscher auch ihre Verwandten am Kaiserhof deutlich an Präsenz ge-
wonnen zu haben. Wenngleich nicht konkret erkennbar ist, dass durch sie andere
Adelsgruppen verdrängt wurden, liegt diese Schlussfolgerung doch nahe:
Schließlich waren Zeit und Aufmerksamkeit eines Herrschers durchaus be-
grenzt, ließ sich der Kreis derer, die Zugang zum ,Ohr des Herrschers' hatten,
nicht beliebig erweitern.
Neben Judith sind auch Richgard und Emma als einflussreiche - jedoch
keineswegs übermächtige - Persönlichkeiten am Hof ihrer Ehemänner greifbar.
Dagegen konnte für Uta und Theutberga keine vergleichbare Bedeutung nach-
gewiesen werden. Hier stellten allerdings die hinter ihnen stehenden Familien
bzw. Personengruppen einen wichtigen Machtfaktor dar, während diese bei
Richgard überhaupt keine und bei Emma nur eine mittelbare Rolle spielten, da
sie nicht dem Reich ihres jeweiligen Ehemannes entstammten.
Ein ähnlich differenziertes Bild ergibt sich auch bei der Frage nach der
Stellung des mutmaßlichen oder tatsächlichen Liebhabers der Königin. Zwar
handelte es sich - mit Ausnahme des Uta-Falles, bei dem die Person des ver-
meintlichen Ehebrechers nicht überliefert ist - stets um bedeutende Große des
jeweiligen Reiches, die in einem besonderen Verhältnis zu dem Herrscher stan-
den, den sie betrogen haben sollen: Graf Bernhard von Barcelona aus der Familie
der mit den Karolingern verschwägerten sogenannten Wilhelmiden war Käm-
merer Ludwigs des Frommen, der ,Bosonide' Hukbert tritt als Abt diverser be-
deutender Abteien in Erscheinung, Bischof Liutward von Vercelli, der sich al-
lerdings keiner bedeutenden Adelssippe zuordnen lässt, stand unter anderem
der Kanzlei Karls III. vor, und Adalbero aus der Familie der sogenannten Ar-
dennergrafen war König Lothars Kanzler, bevor er Bischof von Laon wurde,
zugleich , Hauptresidenz' der westfränkischen Karolinger.
Sowohl Bernhard als auch Liutward erscheinen dabei in der Darstellung
ihrer Gegner als ,einzige' Ratgeber ihrer Herrscher, de facto mächtiger als diese
selbst. Freilich lässt sich eine derartige Stellung durch den Abgleich mit anderen
Quellen, insbesondere den Herrscherurkunden, nur ansatzweise bestätigen.
Zwar bezeichnete Karl III. selbst Liutward als seinen „obersten" Ratgeber, al-
lerdings beschränkte sich die konkrete Interventionstätigkeit des Bischofs von
Vercelli nahezu ausschließlich auf den italienischen Raum. Bernhard hingegen
war erst ein halbes Jahr in seinem Amt als Kämmerer, als ihn der Vorwurf des
Ehebruchs mit Judith traf. Neben den beiden sind zum Teil auch ihre Ver-
wandten in bedeutenden Positionen des Reiches greifbar, insbesondere Liut-
wards Bruder Chadolt als Bischof von Novara, was man auf Liutwards Einfluss
auf Karl III. zurückführen könnte - allerdings ohne konkrete Hinweise in den
 
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