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Engl, Richard; Universität Trier [Mitarb.]; Jan Thorbecke Verlag [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die verdrängte Kultur: Muslime im Süditalien der Staufer und Anjou (12.-13. Jahrhundert) — Mittelalter-Forschungen, Band 59: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.61500#0143
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III. Staufische Neuordnungen (1225-1250)

Sizilier nieder: Dies belegt ein 1239 ergangenes kaiserliches Mandat an alle
Amtsträger des Festlandes mit der Nennung von Muslimen in deren Provinzen;
zumindest bis zu jenem Jahr gab es offenbar eine breite Streuung der Depor-
tierten in ganz Süditalien.* * * 617 Und spätestens in den 40er Jahren begründeten die
Muslime noch zwei weitere Niederlassungen in der Capitanata, die für Jahr-
zehnte Bestand haben sollten: Castelluccio dei Sauri, 25 Kilometer südöstlich von
Lucera, und Stomara, 40 Kilometer in derselben Richtung.618 Ein zu jener Zeit
ebenfalls von Muslimen bevölkertes ,casale San Giacomo' ist bislang nicht
endgültig zu lokalisieren; vermutlich lag es an der Grenze zwischen Apulien und
der Basilicata am Golf von Tarent, bei einem ebenfalls Girifalco genannten Ort.619
Insgesamt ergibt sich damit ein revidiertes Gesamtbild der muslimischen
Ansiedlung auf dem süditalienischen Festland: Nicht nur, dass die aus Sizilien
Vertriebenen die Stadt Lucera über die vermeintlichen Festungsmauem hinaus
in Besitz nahmen; binnen eineinhalb Jahrzehnten siedelten sie in weiteren Orten
der Capitanata 10 bis 40 Kilometer rund um Lucera. Hinzu kam eine zumindest
temporäre Diffusion auf das gesamte süditalienische Festland. Die Muslime
bildeten insofern weit mehr als eine „mohammedanische Insel im christlichen
Meer", wie die ältere Forschung meinte.620 Gegenüber allen Darstellungen, die
noch dieser Auffassung verpflichtet sind, ist vielmehr zu betonen: Auch nach
den sizilischen Deportationen dehnte sich das muslimische Siedlungsgebiet in
eine ganze Landschaft aus. Obwohl mit dem Hauptort Lucera eine bislang nicht
dagewesene Konzentration der andersgläubigen Bevölkerung im christlichen
Reich entstand, wurde auch die umgebende Ebene zu einer Region, in der
Muslime anzutreffen waren; und dies galt auch für die Nachbarprovinzen.621 So

Muslime, die vielmehr aus dem benachbarten casale San Giacomo kommen mussten; vgL der
Quellenbeleg unten in Anm. 619; analog Taylor, Muslims in Medieval Italy, S. 42 f.; Egidi, La
colonia saracena di Lucera, 36, 1911, S. 609.
617 Vgl. II registro della cancelleria di Federico II, ed. Carbonetti Vendittelli, Bd. 1, 352, S. 357; zur
Relevanz dieses Dokuments für die Frage möglicher sizilischer Deportationen auf das Festland
im Jahr 1239 oben Anm. 502.
618 Vgl. Houben, Neue Quellen zur Geschichte, 9, S. 351 f.; Martin, La colonie sarrasine de Lucera,
S. 802f., bzw. Martin, I Saraceni a Lucera, S. 17f.; Abulafia, The Last Muslims in Italy, S. 276; zu
Stomara schon Egidi, La colonia saracena di Lucera, 36, 1911, S. 609.
619 Vgl. Acta imperii inedita saeculi XIII et XIV, ed. Winkelmann, Bd. 1,1005, S. 768-780, hier S. 775;
Martin, La colonie sarrasine de Lucera, S. 802 f, bzw. Martin, I Saraceni a Lucera, S. 17 f.; Egidi, La
colonia saracena di Lucera, 36, 1911, S. 609, Anm. 3; hingegen lokalisierte es Taylor, Muslims in
Medieval Italy, S. 43, in der Capitanata bei Lucera, obwohl sie den Widerspruch zur Quellen-
angabe Terre Ydronti konstatieren musste.
620 Egidi, La colonia saracena di Lucera, 36, 1911, S. 604, mit dem Zitat: „... isola islamita in mare
cristiano ... analog Ahmad, A History of Islamic Sicily, S. 105; Abulafia, Herrscher zwischen den
Kulturen, S. 154: „... islamische Enklave ... Maier, Crusade and Rhetoric, S. 345: „... removal of
the dispersed Muslim communities from Sicily to a single colony at Lucera ... noch Metcalfe,
The Muslims of Medieval Italy, S. 142, ging von einer „Isolation of Lucera" für die Muslime des
Festlandes aus: „Their... transportation to Lucera under Frederick II consigned their final days to
a history of a single city".
621 Vgl. zur temporären Präsenz der Muslime als Händler unten bei Anm. 633-639; zur weiteren
Siedlungsexpansion in der Anjouzeit unten bei Anm. 1320-1344.
 
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