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Zeilinger, Gabriel; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Jan Thorbecke Verlag [Mitarb.]; Christian-Albrechts-Universität zu Kiel [Mitarb.]
Verhandelte Stadt: Herrschaft und Gemeinde in der frühen Urbanisierung des Oberelsass vom 12. bis 14. Jahrhundert — Mittelalter-Forschungen, Band 60: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2018

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.54855#0016

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A. Einleitung
Der demographische, ökonomische, soziale, kulturelle und politische Wandel,
der Europa vom 11. bis 14. Jahrhundert mit nachhaltiger Wirkung veränderte, ist
in seiner besonderen Dynamik aus heutiger Sicht kaum in Gänze zu erfassen.
Denn die Synchronität und Interdependenz von Bevölkerungswachstum, Mo-
bilitätszuwachs und Migration, Landesausbau, technischer Innovation, Sied-
lungskonzentration und Gemeindebildung in Dorf und Stadt, kommerzieller
Revolution sowie von Herrschaftsverdichtung und Herrschaftsstreuung, um nur
einige Aspekte zu nennen, sind zum einen schwer in einem Zug darstellbar; zum
anderen werden die zeitgenössischen Zusammenhänge durch die Spartenbil-
dung innerhalb der Geschichtswissenschaften oft unterteilt, wenn nicht gar ge-
trennt behandelt. Doch bündeln sich all diese dynamischen Prozesse weitgehend
in der sukzessiven Urbanisierung des Kontinents in jener Zeit.1 Daher ist Steven
A. Epstein zuzustimmen: „The gradual urbanization of Europe after 1000 is one
of the most important themes in medieval social and economic history"2.
,Urbanisierung' ist kein rein (spät-)neuzeitliches Phänomen3 und kann in
epochen- und fächerübergreifender Beschreibung als „Ausbreitung städtischer
(urbaner) Lebensformen und Verhaltensweisen der Bevölkerung und der da-
durch geprägten räumlichen Strukturen und Prozesse von den städtischen in die
umgebenden ländlichen Räume"4 aufgefasst werden. Diese „Ausbreitung
städtischer Lebensformen" vollzog sich im Mittelalter sowohl in der „entste-
henden und wachsenden Stadt" als auch in deren „Rückbezug auf das Land"5 -
und zwar in fast allen oben genannten Facetten von geschichtlichen Wand-
lungsprozessen. Es geht bei einer so verstandenen Urbanisierungsforschung also
nicht in erster Linie um die Geschichte einzelner Städte, sondern um die Ver-

1 Siehe z.B. Irsigler: Auflösung, S. 298; die Dynamik der Wandlungsprozesse dieser Zeit im
Überblick bei Haverkamp: Aufbruch, besonders S. 43-53 und 93-107; und Dirlmeier/Fouquet/
Fuhrmann: Europa, besonders S. 61-84; zur Bedeutung für die Stadtgeschichte z.B. Igel u.a.:
Wandel.
2 Epstein: History, S. 100.
3 VgL z.B. Hohenberg/Lees: The Making of Urban Europe 1000-1950; van der Woude/ Hayami/De
Vries: Urbanization; Nicholas: Growth, bei dem „Urbanisation" nicht im Titel, aber als Leitbegriff
der Abhandlung erscheint; Flachenecker/Kiessling: Urbanisierung; Fouquet/Zeilinger: Urbani-
sierung. Damit sei nicht in Abrede gestellt, dass die spezifische Verwendung des Urbanisie-
rungsbegriffs vor allem für das europäische 19. Jahrhundert ihre Berechtigung hat, vgl. z. B. die
Klassiker Reulecke: Geschichte; Osterhammel: Verwandlung, besonders S. 355-464.
4 Paesler: Stadtgeographie, Zitat S. 22; ähnlich Blockmans/Hoppenbrouwers: Introduction, S. 217, die
jedoch das (äußere) Städtewachstum von der Urbanisierung unterscheiden; Kiessling: Urbani-
sierung, S. 35 f., unterstreicht wiederum die Mehrdimensionalität des Begriffs auch für das
Mittelalter.
5 Irsigler: Urbanisierung, S. 153; vgl. am Beispiel Flanderns Stabel: Urbanization and its Conse-
quences: The Urban Region; Ders.: Urbanization and its Consequences: spatial developments.
Für die ,innere' Urbanisierung von Städten siehe beispielsweise Fouquet: Bauen; Hirschmann:
Stadtplanung.
 
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