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Weitzel, Tim; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Universität Konstanz [Mitarb.]; Jan Thorbecke Verlag [Mitarb.]
Kreuzzug als charismatische Bewegung: Päpste, Priester und Propheten (1095-1149) — Mittelalter-Forschungen, Band 62: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.57728#0091
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Teil 1: Der Erste Kreuzzug

dritter Band jüngst posthum erschien, überzeugend dargelegt, dass Urban II.
seinen Kreuzzug in ein geschichtstheologisches Schema - Becker spricht auch
von einem „theologischen Konzept"41’, einem „ideellen Schema413 414 - einordnete,
als er in Clermont zum Kreuzzug aufrief. Dieses Schema hatte Urban jedoch
bereits lange vor seinem Kreuzzugsaufruf, nämlich im Kontext der Reconquis-
takämpfe auf der Iberischen Halbinsel und Süditalien entwickelt, weshalb Be-
cker von einem „inneren Zusammenhang zwischen Reconquista-Idee und
Kreuzzugsgedanken" spricht.415 Grundlage dieses Schemas, in das Urban auch
den Kreuzzug einordnete, ist der Gedanke einer heilsgeschichtlichen Zeiten-
wende, in der sich Gott den Menschen nach einer vorhergehenden Zeit der
Verwerfung wieder zuwendet. Insbesondere die Rückeroberung der von den
Gottesfeinden in Spanien, Italien und im Heiligen Land besetzten Gebiete wird
als Ausdruck dieser göttlichen Zuwendung interpretiert.416 Immer wieder hat
Urban als theologische Exemplifizierung dieser Zeitenwende auf eine Daniel-
stelle (Dan. 2, 2) rekurriert: Omnipotentis Dei dispositione mutantur temporci,
transferuntur regnad17 Der Kreuzzug wird in der Arenga der Bulle Miserationibus
Domini, die Urban am 11. Mai 1098 an den Bischof Petrus von Huesca adressierte,
in dieses Schema gestellt.418 Darin spricht der Papst Gott zunächst seinen Dank
für das vielfache Erbarmen aus, da er die gegenwärtige Zeit für würdig erachte,
die langjährige Bedrückung des christlichen Volkes zu lindern und den Glauben
zu erhöhen. Denn Gott habe mittels der christlichen (Streit-)Kräfte in Asien die
Türken und in Europa die Mauren besiegt und in einstmals berühmten Stätten
die Ausübung des christlichen Glaubens durch seine geneigte Gnade wieder
möglich gemacht.419 Gott nimmt in Urbans theologischem Schema mithin die

413 Becker: Papst Urban II. (1088-1099), Bd. 2, S. 352.
414 Ebd., S. 352.
415 Ebd., S. 334.
416 Becker hat das „heilsgeschichtliche Schema" in vier Punkten zusammengefasst: „(1) Einst, schon
in antiker Zeit, Blüte, reiche Entfaltung christlichen Lebens und bedeutender Kirchen, (2) dann
aufgrund der Sünde die Auslieferung an die sarazenische Eroberung und Gewaltherrschaft mit
Untergang des Glaubens und der Kirche in frühmittelalterlicher Zeit des 7. und 8. Jahrhunderts,
(3) schließlich nostris temporibus die große Zeitenwende der Reconquista und (4) Restauratio
durch die Wiederzuwendung des göttlichen Erbarmens und durch die heilsgeschichtliche Fü-
gung Gottes; der Papst erscheint dabei als cooperator dieser Restauration." Becker: Papst Urban II.
(1088-1099), Bd. 2., S. 352 f.
417 So etwa programmatisch im Incipit der Arenga JL 5710 (Omnipotentis Dei), in: Italia Pontificia
10. Calabria - Insulae, Nr. 9, ed. Dieter Girgensohn, Zürich 1975, S. 264. Vgl. Becker: Papst Urban
11. (1088-1099), Bd. 2., S. 349 f. und die Festschrift für Becker: Hehl, Emst-Dieter/Seibert, Hu-
bertus/Staab, Franz (Hg.): Deus qui mutat tempora. Menschen und Institutionen im Wandel des
Mittelalters. Festschrift für Alfons Becker zu seinem fünfundsechzigsten Geburtstag, Sigma-
ringen 1987.
418 Urban II.: JL 5703 (Miserationibus Domini), in: La Iglesia de Aragon durante los reinados de
Sancho Ramirez y Pedro I (10627-1104), Nr. 20, ed Antonio Duran Gudiol (Publicaciones del
Institute Espanol de Estudios eclesiästicos en Roma, Monografias 6), Rom 1962, S. 192; ed. MPL
151, Nr. 237, Sp. 504-506. vgl. Becker: Papst Urban II. (1088-1099), Bd. 2, S. 348 f.
419 Miserationibus Domini multiplices a nobis gratiarum habentur actiones, quia post multa annorum
curricula nostris potissimum temporibus Christiani populi pressuras relevare, fidem exaltare dignatus
est. Nostris siquidem diebus in Asia Turcos, in Europa Mauros Christianorum viribus debellavit, et urbes
 
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