3. Kapitel: Peter der Eremit - Der primus auctor des Ersten Kreuzzugs
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3.8.1 Der Annalista Saxo - Innovation durch Kompilation
Die Bedeutung des Annalista Saxo721 für die Erforschung des Ersten Kreuzzugs
erschließt sich dem Historiker nicht sogleich. Der Mitte des 12. Jahrhunderts
schreibende Annalist kann zumindest hinsichtlich des Ersten Kreuzzugs nicht
als Zeitgenosse, geschweige denn als Augen- und Ohrenzeuge des historischen
Ereignisses gelten.722 Erschwerend kommt noch die geringe wirkungsge-
schichtliche Relevanz des Autors hinzu, dessen Reichschronik keine nennens-
werte Anschlusskommunikation erzeugte. Der Text ist in nur einer einzigen
mittelalterlichen Handschrift, dem Codex Parisinus (B.N. lat. 11851), überlie-
fert.723 Die Resonanz des Textes wird daher räumlich wie zeitlich äußerst gering
zu veranschlagen sein. Nach der Einschätzung des Herausgebers soll die
Chronik in Nord- und Mitteldeutschland „nicht einmal gelesen worden sein".724
Sodann scheint die Sächsische Reichschronik in puncto Erster Kreuzzug -
zumindest auf den ersten Blick - nicht mehr als eine bloße Reproduktion des
separaten Kreuzzugsberichtes zu sein, welcher sich unter dem Namen Hiero-
solymita am Ende der Weltchronik Ekkehards von Aura findet.725 Doch selbst
diejenigen Passagen, die der Annalista Saxo nicht aus dieser (Leit-)Quelle ent-
nommen hat, sind kein „Eigengut"726 des Chronisten. Denn neben dem Hiero-
solymita hat der Kompilator, vor allem für die Datierung, auf die Gesta Francorum
721 Der Name des Annalista Saxo als Bezeichnung für den anonymen Kompilator der Sächsischen
Reichschronik wurde von G. W. Leibnitz wegen der annalistischen Darstellungsform geprägt
und hat sich mit der Erstedition von 1723 in der Forschung allgemein durchgesetzt. Aus mo-
derner Forschungsperspektive handelt es sich dabei jedoch lediglich um einen Konventions-
namen, da er für den Reichschronisten wenig passend ist, wie der Herausgeber der maßgebli-
chen Edition hervorgehoben hat. VgL Naß, Klaus: Naß: Die Reichschronik des Annalista Saxo
und die sächsische Geschichtsschreibung im 12. Jahrhundert (MGH Schriften 41), Hannover
1996, S. 47, 341.
722 Zur Datierungsfrage vgL Naß, Klaus (Hg.): Die Reichschronik des Annalista Saxo (MGH SS 37),
Hannover 2006, S. X.
723 Zur Pariser Handschrift vgL Naß: Die Reichschronik des Annalista Saxo und die sächsische
Geschichtsschreibung im 12. Jahrhundert, S. 4-43.
724 Naß: Die Reichschronik des Annalista Saxo, S. XVIII. VgL Ders: Die Reichschronik des Annalista
Saxo und die sächsische Geschichtsschreibung im 12. Jahrhundert, S. 376-380; Althoff, Gerd:
Heinrich der Löwe und das Stader Erbe. Zum Problem der Beurteilung des „Annalista Saxo", in:
DA 41 (1985), S. 66-100, hier S. 73.
725 Laut Franz-Josef Schmale hat Ekkehard seine Kreuzzugsgeschichte im Zeitraum zwischen 1113
und 1117 geschrieben. Leider ist die Schmale'sche Ausgabe jedoch in puncto Hierosolymita nicht
vollständig, weshalb hier auf die Edition der Academie des Inscriptions et Belles-Lettres zu-
rückgegriffen werden muss. Ekkehardi Abbatis Uraugiensis Hierosolymita, ed. RHC Hist.
Occ. 5, Paris 1895, S. 1-40. Außerdem gilt es in Anbetracht der jüngsten Forschungsergebnisse
von McCarthy zu bedenken, dass auch Ekkehards Hierosolymita keineswegs eigenständig ist,
sondern vornehmlich auf der anonymen Frutolf-Fortsetzung basiert und daher ebenfalls als
Kompilation bzw. Neuanordnung anzusehen ist. VgL McCarthy: The continuations of Frutolf of
Michelsberg's Chronicle, S. 136-162.
726 Naß: Die Reichschronik des Annalista Saxo und die sächsische Geschichtsschreibung im
12. Jahrhundert, S. 345.
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3.8.1 Der Annalista Saxo - Innovation durch Kompilation
Die Bedeutung des Annalista Saxo721 für die Erforschung des Ersten Kreuzzugs
erschließt sich dem Historiker nicht sogleich. Der Mitte des 12. Jahrhunderts
schreibende Annalist kann zumindest hinsichtlich des Ersten Kreuzzugs nicht
als Zeitgenosse, geschweige denn als Augen- und Ohrenzeuge des historischen
Ereignisses gelten.722 Erschwerend kommt noch die geringe wirkungsge-
schichtliche Relevanz des Autors hinzu, dessen Reichschronik keine nennens-
werte Anschlusskommunikation erzeugte. Der Text ist in nur einer einzigen
mittelalterlichen Handschrift, dem Codex Parisinus (B.N. lat. 11851), überlie-
fert.723 Die Resonanz des Textes wird daher räumlich wie zeitlich äußerst gering
zu veranschlagen sein. Nach der Einschätzung des Herausgebers soll die
Chronik in Nord- und Mitteldeutschland „nicht einmal gelesen worden sein".724
Sodann scheint die Sächsische Reichschronik in puncto Erster Kreuzzug -
zumindest auf den ersten Blick - nicht mehr als eine bloße Reproduktion des
separaten Kreuzzugsberichtes zu sein, welcher sich unter dem Namen Hiero-
solymita am Ende der Weltchronik Ekkehards von Aura findet.725 Doch selbst
diejenigen Passagen, die der Annalista Saxo nicht aus dieser (Leit-)Quelle ent-
nommen hat, sind kein „Eigengut"726 des Chronisten. Denn neben dem Hiero-
solymita hat der Kompilator, vor allem für die Datierung, auf die Gesta Francorum
721 Der Name des Annalista Saxo als Bezeichnung für den anonymen Kompilator der Sächsischen
Reichschronik wurde von G. W. Leibnitz wegen der annalistischen Darstellungsform geprägt
und hat sich mit der Erstedition von 1723 in der Forschung allgemein durchgesetzt. Aus mo-
derner Forschungsperspektive handelt es sich dabei jedoch lediglich um einen Konventions-
namen, da er für den Reichschronisten wenig passend ist, wie der Herausgeber der maßgebli-
chen Edition hervorgehoben hat. VgL Naß, Klaus: Naß: Die Reichschronik des Annalista Saxo
und die sächsische Geschichtsschreibung im 12. Jahrhundert (MGH Schriften 41), Hannover
1996, S. 47, 341.
722 Zur Datierungsfrage vgL Naß, Klaus (Hg.): Die Reichschronik des Annalista Saxo (MGH SS 37),
Hannover 2006, S. X.
723 Zur Pariser Handschrift vgL Naß: Die Reichschronik des Annalista Saxo und die sächsische
Geschichtsschreibung im 12. Jahrhundert, S. 4-43.
724 Naß: Die Reichschronik des Annalista Saxo, S. XVIII. VgL Ders: Die Reichschronik des Annalista
Saxo und die sächsische Geschichtsschreibung im 12. Jahrhundert, S. 376-380; Althoff, Gerd:
Heinrich der Löwe und das Stader Erbe. Zum Problem der Beurteilung des „Annalista Saxo", in:
DA 41 (1985), S. 66-100, hier S. 73.
725 Laut Franz-Josef Schmale hat Ekkehard seine Kreuzzugsgeschichte im Zeitraum zwischen 1113
und 1117 geschrieben. Leider ist die Schmale'sche Ausgabe jedoch in puncto Hierosolymita nicht
vollständig, weshalb hier auf die Edition der Academie des Inscriptions et Belles-Lettres zu-
rückgegriffen werden muss. Ekkehardi Abbatis Uraugiensis Hierosolymita, ed. RHC Hist.
Occ. 5, Paris 1895, S. 1-40. Außerdem gilt es in Anbetracht der jüngsten Forschungsergebnisse
von McCarthy zu bedenken, dass auch Ekkehards Hierosolymita keineswegs eigenständig ist,
sondern vornehmlich auf der anonymen Frutolf-Fortsetzung basiert und daher ebenfalls als
Kompilation bzw. Neuanordnung anzusehen ist. VgL McCarthy: The continuations of Frutolf of
Michelsberg's Chronicle, S. 136-162.
726 Naß: Die Reichschronik des Annalista Saxo und die sächsische Geschichtsschreibung im
12. Jahrhundert, S. 345.