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Weitzel, Tim; Universität Konstanz [Mitarb.]; Jan Thorbecke Verlag [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Kreuzzug als charismatische Bewegung: Päpste, Priester und Propheten (1095-1149) — Mittelalter-Forschungen, Band 62: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.57728#0163
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162

Teil 1: Der Erste Kreuzzug

den Schild seines als Clanen bezeichneten Gegners gespalten und ihn danach mit
seinem Speer durchbohrt. Der Leser erfährt zudem, dass sich auch die anderen
Chetifs ihrer Antagonisten im Zweikampf entledigt hätten.791 Die Tapferkeit eines
seiner Helden besingt der Troubadour jedoch besonders: Richard von Caumont
soll die Formation der fränkischen Barone verlassen haben, die Schulter an
Schulter standen,792 und dem türkischen Sultan Soliman im Zweikampf eine so
schwere Wunde zugefügt haben, dass dieser fast vom Pferd gefallen sei.793 Bei
jener Darstellungsweise handelt es sich um eine für die Gattung des Chanson de
geste typische Heroisierungspraktik.794
Dem Chanson d'Antioche zufolge sind also weder die militärische Inkom-
petenz des Eremiten und noch weniger die Disziplinlosigkeit des Heeres für die
Niederlage bei Civitot verantwortlich. Ganz im Gegenteil. Im Moment der
Niederlage zeigt sich hier vielmehr die Heroik des kreuzfahrenden Kriegeradels.
Das Chanson präsentiert hingegen andere Faktoren, welche ausschlaggebend
für die Niederlage gewesen seien. Die Rumseldschuken sollen nämlich eine
Flucht vorgetäuscht und die Kreuzfahrer somit in das Tal von Civitot gelockt
haben.795 Ob jenes Detail, das im Chanson unikal überliefert ist, einen Erkennt-
nisgewinn für die Rekonstruktion der Schlacht von Civitot darstellt, darf stark
bezweifelt werden. Die Szene erfüllt offensichtlich den narrativen Zweck beim
Publikum eine „Wie-Spannung" zu erzeugen, also Auskunft darüber zu geben,
wie das militärische Debakel zustande kam.796 Insofern verrät sie mehr über das
Wissen und den Erwartungshorizont des anvisierten Publikums als über die
historische Wirklichkeit der Schlacht. Denn die Plausibilität jener Erzählsequenz
setzt das Wissen um jene im Gedicht beschriebene militärische Taktik voraus, die
nach dem Ersten Kreuzzug auch im Okzident Verbreitung fand - was auf ein
höfisches Publikum schließen lässt.
Den finalen Angriff auf das im Tal von Civitot liegende Kreuzfahrerheer
sollen die Türken an einem Sonntag just in dem Moment geführt haben, als die
Pilgerkrieger damit begonnen hätten, die Messe zu feiern.797 Auch diese Episode

791 Bauduins de Bialvais lait corre l’auferrant,/ Vaitferir Clanen sor son escu luisant,/ De l'un ciefjusqu'en
l'autre le vait tot porfendant,/Parmi le gros del euer li mist Bespiel trenqant,/ Mort l'abat del ceval parmi un
desrubant./ Et Richars de Caumont jeta mort Roboant/ Et dans Jehans d'Alis r'a ocis Estorgant;/ Et Ernols
de Biauvais et Fouques de Melant/ Ocisent molt de Turs et le roi Escorfant. La Chanson d'Antioche,
Laisse 23, ed. Duparc-Quioc, S. 40.
792 La Chanson d'Antioche, Laisse 28, ed. Duparc-Quioc, S. 46.
793 Ebd.
794 Zu Heroisierungsstrategien im Chanson de geste vgl. Rychner, Jean: La chanson de geste: Essai
sur l'art epique des jongleurs (Publications romanes et frangaises 53), Geneve [u. a.] 1955, S. 139-
48.
795 La Chanson d'Antioche, Laisse 22-23, ed. Duparc-Quioc, S. 40 f.
796 Zum Konzept der Wie-Spannung vgl. Kortüm, Hans-Henning: Das Massaker von Ma'arrat al-
Nümän (11.-12. Dezember 1098). Sprache der Gewalt - Gewalt der Sprache, in: Philipp A.
Sutner/Stephan Köhler/Andreas Obenaus (Hg.): Gott will es: der Erste Kreuzzug - Akteure und
Aspekte (Expansion, Interaktion, Akkulturation 29), Wien 2016, S. 167-187.
797 Tan t atendent li Ture et la gens paienie/ Qu 'a l'ostNostre Segnorfu messe conmencied Qoufu un diemence
que l'osfu estormie,/ Dont oissies mH grailles soner a la bondie; [...]. La Chanson d'Antioche, Laisse
24, ed. Duparc-Quioc, S. 41 f.
 
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