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Berger, Maximiliane; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Westfälische Wilhelms-Universität Münster [Mitarb.]
Der opake Herrscher: politisches Entscheiden am Hof Friedrichs III. (1440-1486) — Mittelalter-Forschungen, Band 66: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.62113#0360
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V. Vorhang

Es ist an der Zeit, die vorangegangenen Beobachtungen des habsburgischen Hof-
theatrums der 1440er bis 1480er Jahre Revue passieren zu lassen. Das hier heran-
gezogene Corpus von Gesandtenberichten in nordöstliche Gebiete des Reiches
wurde aus zwei verschiedenen Blickwinkeln betrachtet: Erstens im Hinblick auf
Muster und Gepflogenheiten der Erzählung wie der erzählten Welt (die Ord-
nung der Wörter), zweitens linear geordnet anhand bestimmter Konfliktfälle
(die Ordnung der Verhältnisse). In einem dritten Schritt wurde die Frage der
Gattungsspezifik der gewonnenen Ergebnisse angerissen, indem den Gesand-
tenberichten literarische Texte zur Seite gestellt wurden. Im Zentrum standen
in jedem Fall Vorgänge am Hof Friedrichs III. vor dem Hintergrund dessen, was
wir heute als „politisches Entscheiden" zu bezeichnen gewohnt sind.
Im näheren Blick auf Prozesse des „Entscheidens" am Hof Friedrichs III.
verschwimmt und verschwindet das Entscheiden selbst überraschend schnell.
Über Entscheiden wird in den Gesandtenberichten so gut wie nicht gesprochen1.
Zum einen bleibt das zeitgenössische Vokabular des entscheiden rechtlichen Pro-
blemlösungswegen vorbehalten, die auf dem Gebiet politischer Aushandlungs-
prozesse für gewöhnlich nicht die erste Wahl der Beteiligten darstellen. Zum
anderen erweist sich auch strukturell die an den Herrscher gerichtete Entschei-
dungserwartung als rar. Eine erzählende Vermittlung des politischen Alltagsbe-
triebs am Hof Friedrichs III. kommt weitestgehend ohne Alternativensetzungen
gegenüber dem Reichsoberhaupt aus. In literarischen Verdichtungen und - so
könnte man meinen - Dramatisierungen treten solche expliziten Entscheidungs-
erwartungen auf, sind jedoch auch dort nicht gang und gäbe. Stattdessen wäh-
len die Gesandten die verschiedensten Beschreibungstermini, die sich in den
Konnotationen und den sprachlichen Bildern, die sie transportieren, vom „Ent-
scheiden" unterscheiden, ja ihm teils genau entgegengesetzt sind.
Diese Begrifflichkeiten umfassen solche, die das Handeln des Herrschers
unhinterfragt und gleichsam als Ereignis setzen (der König belehnt, gewährt,
verwilligt, richtet aus). Ob dahinter mehrere Alternativen und eine Wahl zwi-
schen ihnen stehen, wird nicht sichtbar; ob dem Handeln ein Entscheiden vor-
ausgeht, erfährt keine Aufmerksamkeit. Die gesandtschaftliche Aktivität, die
solchen herrscherlichen Setzungen entspricht, ist ihrerseits ein wirksames aus-
richten oder ein handfestes herausbringen. Dabei wird die Verbindung zwischen
Herrscherhandeln und räumlich entferntem Empfänger sprachlich in den Fokus
gestellt. Die begriffliche Vielfalt auf dem Gebiet des „politischen Entscheidens"
umfasst darüber hinaus durative Verben, wie etwa awswarten, die ein fortdau-
erndes Warten am Hof und damit ein Warten der Koordination zwischen regio-
nalem Problemfall und Herrscher in den Mittelpunkt rücken. Ob solcherart War-
tungsarbeiten auf entscheidungsförmige Abläufe bezogen sind, bleibt im Dun-
keln. Eine eigene Spielart der Beschreibung von Prozessen am Hof Friedrichs III.

1 Kapitel II. 2: Vokabular in den Gesandtenberichten.
 
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