Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Berger, Maximiliane; Westfälische Wilhelms-Universität Münster [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der opake Herrscher: politisches Entscheiden am Hof Friedrichs III. (1440-1486) — Mittelalter-Forschungen, Band 66: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.62113#0114
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
III. Ordo rerum / oeconomia

„Probably in most cases the greatest wisdom of a [...] king would show itself in
well-considered inaction."
Walter Bagehot, The English Constitution

Walter Bagehot unterschied in seinen Reflexionen über die englische Verfassung
deren dignified part von den efficient parts1. Frei zusammengefasst sei ersterer,
der Monarch, da, um zu herrschen, nicht aber zu regieren. In vielen praktischen
politischen Problemen und Konflikten sei es daher Zeichen eines guten Mon-
archen, untätig zu sein; denn seine Position beruhe nicht zuletzt darauf, dass
er den Blicken entzogen die Aufmerksamkeiten bündele2. Diese herrscherliche
Untätigkeit ist nicht mit Faulheit zu verwechseln, denn in der Demonstration
monarchischen Seins entfaltet sie dennoch zielgerichtet konkrete Wirkungen.
Eine Verbindungslinie zwischen Bagehots Monarch und Friedrich III. zu ver-
muten, würde zu weit führen. Doch steht Bagehots Charakterisierung über die-
sem Kapitel, da sich hinreichend bedenkenswerte Parallelen zeigen. Erzählun-
gen der Prozesse am Hof Friedrichs III. vermeiden aktionistisches Vokabular;
sie betonen die Steuerungstätigkeit des Monarchen statt der inhaltlichen Festle-
gung, seine Unbewegtheit über Zeit, die Undurchschaubarkeit, durch die man
ihn eben nicht als Macher beobachten kann, sowie die Geduldsleistung, die der
Umgang mit all dem erfordert. Die Wortordnungen der Gesandtenberichte bau-
en auf diesen Elementen ein Bild tätiger Untätigkeit des Herrschers auf. Im 19.
Jahrhundert beschrieb Bagehot tätige Untätigkeit des Herrschers explizit posi-
tiv, was mit gleichzeitigen historiographischen Urteilen über Friedrich III. in
Kontrast steht. Diesseits jeglicher Bewertung ist die tätige Untätigkeit des Herr-
schers in den Gesandtenberichten implizite Selbstverständlichkeit. Wie sie sich
zeigt, über Zeit entwickelt und Reaktionen in der Region hervorruft, wird im Fol-
genden anhand dreier Fallbeispiele aus dem Osten und Nordosten des Reiches
erkundet. Dabei wird entlang von Gesandtenberichten erzählt. Der Gegenstand
ist hier bewusst nicht die postume rechtliche Klärung strittiger Fälle - in der Tat
wird die Rechtsfrage weitgehend ignoriert. Es geht vielmehr um den Ablauf der
Aushandlungsprozesse am Herrscherhof. Nach wie vor stehen die Texte der Ge-
sandtenberichte im Vordergrund, nun allerdings nicht zerlegt, sondern als fall-
bezogene Ensembles zwischen ihrem Ursprungskontext am Herrscherhof und

1 Walter Bagehot, The English Constitution. London 1968, 3-4. Bagehot analysierte die britische
Verfassung 1865-67 vor dem Hintergrund von Debatten um die Ausweitung des Wahlrechts
und dem internationalen Vergleich mit der reconstruction era in den Vereinigten Staaten. Er sah
imaginative sentiments als zentrale Bestandteile des politischen Lebens, die nur durch dignified
parts und nicht durch legislative und exekutive Transparenz gewährleistet werden können.
2 Ebd.,63.
 
Annotationen