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Berger, Maximiliane; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]; Westfälische Wilhelms-Universität Münster [Contr.]
Der opake Herrscher: politisches Entscheiden am Hof Friedrichs III. (1440-1486) — Mittelalter-Forschungen, Band 66: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.62113#0298
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1. Enea Silvio Piccolomini: Pentalogus

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Per se regere, so wird aus den anderen Dialogteilen deutlich, bedeutet Pro-
aktivität. Langes Sitzen, Untätigkeit, desidia12 wird ebenso zum Vorwurf, wie
negligentia13 zum Untergang des Reiches führen kann. Unverzügliches und vor
allem rasches Handeln wird als nutzbringend, edel und sogar vergnüglich be-
worben14. Die Empfehlungen des Eneas, sich nicht nur überhaupt, sondern mög-
lichst früh und möglichst schnell in Bewegung zu setzen, treffen dennoch in
Fridericus auf ein Denken in den langfristigeren, defensiven Zusammenhängen
der Hauspolitik. Auch die angepriesene Proaktivität läuft trotz ausführlicher Be-
sprechungen beispielsweise der militärischen Aspekte des Italienzugs und trotz
aller Herrscherreden nicht auf ein Bild des Königs als invasiver Entscheider hin-
aus. Dies spiegelt sich im Vokabular der Herrscherhandlungen, das ebenso non-
konfrontative Konnotationen15 trägt wie dasjenige in den Gesandtenberichten.
Naturgemäß kann hier keine erschöpfende Aufzählung stehen. Häufig sind cer-
nere, facere, censere16. Der Herrscher sieht, handelt und hat Ansichten darüber,
was zu tun sei, ohne dass die Zäsur einer decisio enthalten sein muss, ohne dass
dabei Alternativität an irgendeiner Stelle explizit werden muss, kurz, ohne dass
sein Handeln entscheidensförmig abläuft. Die decisio-nöchste Begrifflichkeit ist
sequi partem, bezogen auf die Beseitigung des Schismas - die einzige explizite
politische Entscheidung, die Imperiumsliteratur in der Bibliothek Friedrichs III.
für einen Kaiser vorsieht17. Statt des Einigungscharakters, wie in Gesandtenbe-
richten, betont das Vokabular des Pentalogus den geradlinigen, glatten Aspekt
herrscherlicher Wahrnehmungen und Handlungen, wie es von einer Projektion
störungsfrei ablaufender Politikprogramme zu erwarten ist. Dennoch: Immate-
rielle, tastend zu handhabende Fundamente königlicher Herrschaft bleiben zwi-
schen den Handlungsaufforderungen des Pentalogus greifbar.

12 Piccolomini, Pentalogus (wie Anm. 4), 102.
13 EbcL, 254. Dies in der Musterrede, die Piccolomini Fridericus halten lässt (ebd., 250-262) - die
Herrscherfigur rüttelt hier selbst das Reich wach, scheint aber bezüglich einer actio außerhalb
der inneren Ratskreise nach wie vor überredungsbedürftig. Zur Rede vgl. Wengorz, Schreiben
für den Hof als Weg in den Hof: Der Pentalogus des Enea Silvio Piccolomini (1443) (wie Anm.
4), 166. Aus der Entscheidens-Perspektive fällt ins Auge, dass negligentia die Vermeidung einer
Wahl konnotiert.
14 Piccolomini, Pentalogus (wie Anm. 4), 270-284.
15 Ausgenommen selbstverständlich militärische Begrifflichkeiten, die schlecht ohne konfrontati-
ve Konnotationen auskämen. Auch in diesem Wortfeld erscheint allerdings keine decisio; es hat
auch sonst eher Manöver- als Entscheidungscharakter.
16 Beispielstellen: Piccolomini, Pentalogus (wie Anm. 4), 60, 82,108,154, 264.
17 Alexander von Roes, Memoriale de prerogativa Romani imperii, in: Herbert Grundmann/Her-
mann Heimpel (Hrsg.), Schriften. (MGH Staatsschriften des späteren Mittelalters, Bd. 1.) Stutt-
gart 1958, 91-148; Dietrich von Nieheim, Viridarium Imperatorum et Regum Romanorum. Hrsg,
v. Alphons Lhotsky/Karl Pivec. (MGH Staatsschriften des späteren Mittelalters, Bd. 5.1.) Stutt-
gart 1956. Arbiter und moderater erscheinen bei Piccolomini ebenfalls als Herrscherrollen, die
allerdings als Zustand für sich stehen können, ohne eine decisio zu implizieren. Für die Neu-
tralität in der Kirchenfrage erscheint die übliche Begrifflichkeit der suspensio animi, sowie indif-
ferentia - letztere interessant, weil sie mit der Gleichgültigkeit auch eine Unterschiedslosigkeit
möglicher Optionen andeutet.
 
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