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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 3.1874-1875

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https://doi.org/10.11588/diglit.4989#0034
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Album-Text.

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und ungleich besser gehalten, als die stark
»demokratische« Toilette seines Kartengegners,
sein Haar hat heut Morgen den Kamm
gesehen, was bei'm andern etwas proble-
matisch bleibt. Auch der kühne Schwung,
womit letzterer den einen Pantoffel vom
Fusse geworfen, ist sprechend. Ein Treff-As
liegt am Boden — diese wichtige Karte ist
ausser Activität gesetzt, vielleicht im Eifer
des Spieles unbemerkt bei Seite gefallen.
Neben ihr sleht der Bierkrug. Der Labe-
trunk, auf den der durstende Meister hofft,
wird wohl bei der Dauer der Kartenpartie
seine Frische verlieren. Das Ende dürften auf
jeden Fall Prügel sein. — Die vortresfliche
Anordnung des Ganzen, die höchst sorg-
fältige Zeichnung, die feine Durchbildung
sind Vorzüge, welche wir an Knaus gewohnt
sind. Die beiden Knaben sind wahre Indi-
viduen, unmittelbar dem Leben entnommen,
und so prächtig charakterisirt, dals sie als
Typen ihrer Gattung gelten dürfen. Der
erste Blick lässt uns nicht blos Lehrjungen
sondern specifisch Schusterjungen erkennen,
welche sich den Ruf aufgeweckten Wesens,
lustiger Schlagfertigkeit in Wort und That,
gesunden Mutterwitzes, mit einer guten Dosis
von Gamin versetzt, und spottlustigen
Humors zu erwerben und diesen Ruf zu
behaupten verstanden haben. Genrebilder,
wie dieses von Knaus, werden ihren Werth
für alle Zeiten behalten, weil die Wahrheit
eben unsterblich ist, ihre Erscheinung sich
ändern mag, ihr Kern aber nie seine Macht
verliert. Eine Kirmesse, wie sie der jüngere
Teniers gemalt, erleben wir heute, nach
mehr als zwei Jahrhunderten, gleichsam
mit. In diesem Sinne begrüssen wir auch
die Schusterjungen von Knaus als »Un-
sterbliche«. Der Stich von Raab wird
auch den coloristischen Vorgängen des Ori-
ginals gerecht, und bringt die Vortragweise,
wie sie Knaus eigen, in analoger Weise zur
Geltung.
Der Drehorgelspieler.
Radirung nach Knaus, von Forberg.
Der Genremaler hat es mit dem Schau-
spieler gemein, dass er uns Gestalten vor-
führen muss, an deren Wahrheit und Existenz
wir glauben, bei deren Anblick wir uns be-
linnen, wo sie uns denn im Leben schon
begegnet seien. Eine solche Figur ist der
»Drehorgelspieler« von Knaus. Lang und dürr,
verlottert im Aussehen, und dennoch in
seinem abgeschabten Anzug selbst bis auf den
Schwung seiner Mütze und das genial ge-
knüpfte Halstuch ein unverkennbares Streben
nach Eleganz, ja ein gewisses Selbstbewusstsein,
einen gewissen »Künstlerstolz« verrathend,

steht der nicht mehr junge Geselle da; seinen
Blick hebt eben so sehr die Kunstbegeisterung,
als die Hosfnung ein Groschenltück aus einem
Fenster oder von einem Balkon als Honorar
herunterfliegen zu sehen. Er ist keiner von
denen, die ihr Stückchen gedankenlos ab-
haspeln, er fühlt sich als »Musiker« vielleicht
als »Virtuos«. Er hat etwas vom Don Quixote
— doch nur in der äusseren Erscheinung.
Aber der Vagabund übermeistert in ihm
dennoch den Idealisten. Die Handhaltung, mit
welcher er die Kurbel seiner Drehorgel in
Bewegung setzt, ist unschätzbar — wer noch
nicht willen sollte, was »seelenvoller Vortrag«
ist, besehe sie. Auf dem Kalten liegt — be-
zeichnend — eine Rose. Knaus hat unten
eine Notenzeile beigesetzt — wir erkennen
den Anfang des weltberühmten Liedes des
Stiegele aus Schwaben, welcher, da ihm
sein Name nicht edel genug klang, ihn zu
»Stighelli« italienisirte: »Du hast die schönsten
Augen« u. s. w. Wie viele Putzjungfern,
Ladenmamsellen, tenorsingende Schneider-
gesellen u. s. w. haben diese unsterbliche
Melodie des eben so unsterblichen Stighelli
oder Stiegele nicht aus voller Kehle und
tiefstem Herzensgrunde angestimmt — »mein
Liebchen, was willst du noch mehr!?«
Eine leichte Wellenlinie über den Noten
lässt uns erkennen, dass wir es hier mit einer
jener italienischen Drehorgeln zu thun haben,
bei denen sich das Tremolo in Permanenz
erklärt. O, wir glauben die zuckersüsse
Melodie mit ihren bebenden, schwebenden
Tönen zu hören, und rufen mit Schiller:
»Die Seele allein spricht Polyhymnia aus!«
Zeichnungen, wie diese reizende Humoreske
von Knaus, leicht und geiltvoll mit der Radir-
nadel hingeworfen, wie es Forberg so trefslich
gelungen, dürfen wahre Cabinetsstücke heissen,
an denen man sich immer wieder erfreut,
so oft man sie auch ansehen mag.
A. W. Ambros.
Wir fügen diesen Besprechungen zweier
Werke von Knaus einige kurze biographische
Notizen bei, da eine eingehende Würdigung
der ganzen Thätigkeit des Meisters hier zu
weit führen würde.
Ludwig Knaus ist am 5. October 1823
zu Wiesbaden geboren und besuchte leit
i846 die Akademie in DüsTeldorf. Aber schon
seine ersten Bilder (i85o) zeigen ihn auf
durchaus selbständigen Bahnen, welche er
nicht wieder verlail'en hat. Schon als fertiger
Künstler ging er im Jahre i853 nach Paris,
wo er sich 8 Jahre lang aufhielt. Im Sommer
1861 übersiedelte K. nach Berlin, hat dann
(1866) seinen bleibenden Wohnsitz in Düssel-
dorf aufgeschlagen, wo er sich auch ankaufte,
und ist endlich im letztverssossenen Jahre
einem ehrenvollen Rufe nach Berlin gefolgt-
 
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