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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.4250#0005
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Studien und Forschungen.

HIROSHIGE.
Kein halbes Jahrhundert ist verstrichen, seit die Kunst Japans die Ausmerksamkeit Europas aus sich zu lenken
begonnen hat, und in diesem kurzen Zeiträume hat sie unsere Begrisfe vom Zeichnen beinahe ebenso umgestürzt,
wie es noch früher im Jahrhundert die Malerei Constables mit der Art gethan hat, wie die Maler die Natur zu sehen
gewohnt waren. Akademische Centren der Malerei mit traditionellem Conservatismus mögen sich auch heute noch
an die strengeren Regeln halten, die nach ihrer Meinung von den grossen Meistern der Vergangenheit ausgestellt
worden sind; aber die ganze jüngere Künstlergeneration hat sich sreudig zu dem Geiste der Freiheit, Heiterkeit
und Natürlichkeit bekannt, welcher der japanischen Kunst eigen ist. Von Japan haben wir gelernt, dass die Farbe
frisch und munter sein kann, ohne grell zu sein, vorausgesetzt, dass sie nach einem wohlüberlegten Plane vertheilt
ist. Von Japan haben wir gelernt, dass eine Zeichnung gut sein kann, ohne dass sie ovalsörmig oder dreieckig
ausgebaut zu sein braucht, ja dass sie sogar dadurch, dass sie keine der überlieferten Compositionsregeln befolgt, an
Naturwahrheit gewinnen kann. Von Japan haben wir gelernt, dass die Wirkung nicht von der peinlich genauen
Durchbildung des Einzelnen oder der Vollendung der Modellirung abhängt, sondern dass sie durch Nebeneinander-
setzen von ein paar einsachen breiten Tönen auss vollkommenste erzielt werden kann.
Diese Beschästigung mit der Kunst Japans hat bereits so weit gesührt, dass die Namen mehrerer japanischer
Meister Alltagsworte geworden sind. Jedermann, der in Kunstsachen auf der Höhe der Zeit bleiben will, weiss
geläusig zu sprechen von Utamaro, dem Maler der Frauen, von Toyokuni, dem Maler der Schauspieler, oder von
Hokusai, der alles malte; doch Hiroshiges Name wird vielleicht noch öster gehört als der aller anderen. Die
Popularität Hiroshiges hat zwei Gründe. Einerseits sind seine Holzschnitte verhältnismässig häusig, so dass sicherlich
selbst die kleinste Sammlung japanischer Kunstblätter sein Werk vertreten hat. Andererseits wirken seine Arbeiten
unmittelbar anziehend. Es bedarf keines grossen Auswandes von Einbildungskraft und keiner aussergewöhnlichen
künstlerischen Einsicht, um zu verstehen, was Hiroshige will. Die auserlesene Zartheit der Farbe und die liebliche
Vollendung der Zeichnung bei Utamaro können von einem achtlosen und anders gestimmten Betrachter leicht
übersehen werden. Ebenso kann jemand, dessen künstlerische Schulung gering ist, Hokusai sür phantastisch und
launenhaft halten. Von Hiroshige dagegen ist es ossenbar, dass er die Natur mit dem Auge des Realisten ansieht,
sowohl was seine Zeichnung, als auch was sein Colorit betrifft, und seine Holzschnitte wirken gewöhnlich schon
in ihrer allgemeinen Erscheinung gefällig und anziehend. Daher bedars es keiner besonderen Kenntnis der Ziele, der
Geschichte und der Eigentümlichkeiten der japanischen Kunst, um aus der Betrachtung von Hiroshiges
Werken Vergnügen zu schöpfen. So ist er vielleicht nicht nur sür das grosse Publicum der beliebteste japanische
Künstler, er ist auch der Sympathie der Maler gewiss, weil seine realistischen Tendenzen mit der herrschenden
Meinung der Landschaster unserer Tage zusammenfallen.
 
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