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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.4250#0034
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— 30 —

vorzurufen, die neue Convention zu finden. Diese würde,
aus technischen Bedingungen hervorgegangen, allmählich
die Augen zu ihren Reizen überreden und dann endlich
auch als »Wahrheit« — eine von den vielen menschlichen
Wahrheiten — anerkannt werden müssen. Ja, wer aus
solcher Fährte spürte, würde recht geflissentlich durch
deutliche Grenzzeichen sein persönliches Jagdgebiet von
anderer Gemarkung sondern. Der Stolz würde ihm ver-
bieten, sich jemals auf fremdem Boden treffen zu lassen.
Solche Grenze, der natürliche Anzeiger des graphischen
Werkes, wäre die Conturlinie, welche anderseits der
realistische Maler verschmähen wird. Und doch verwars
sie der kluge und unternehmende Neuerer jener Zeit im
ersten Feuer seiner Bestrebungen ganz und gar. Die
Gemälde, welchen er nacheiferte, Hessen nichts davon
erkennen. So durfte auch in der Nachahmung nur das
Trio der Grundfarben und ihre vielfältige Mischung zur
Geltung kommen.
Und doch hören wir, dass Le Blon selbst in seinen
späteren Tagen reumüthig zu dem verschmähten Gehilsen
zurückkehrte, welchen dann seine Schüler in alle Ehren
wieder einsetzten. Die Linie hatte sich nicht aus der
Griffelkunst verdrängen lassen.
War die Nachahmung des Ölgemäldes im Kupser-
druck für diesmal fast völlig unterlegen, so lief das Surro-
gat für andere Maltechniken zwar auf ein theilweises
Gelingen in der Wirkung hinaus, aber es stellte sich trotz-
dem nicht minder als ein absichtliches Verleugnen des
wahren Wesens des Druckes dar. Nachdem der Deutsche
das Beispiel gegeben, Hess sich von der bekannten Sieges-
gewohnheit französischer Technik keine Art der Malerei
oder Zeichnung vergebens umwerben. Es fanden sich die
nöthigen Instrumente und die Proceduren zum Präpariren
der Metallplatte zur rechten Zeit ein, um sowohl die
Aquarellmalerei als auch die Pastellzeichnung und Köthel
oder den Kreidestrich bis zur Täuschung gut nachzu-
ahmen. Das Staunenswerteste leistete die Wiedergabe von
Malereien in deckender Wasserfarbe. So übersetzte denn
auch Jan inet das Ölbild klüglich in diese einmal auspro-
birte Ausdrucksweise, wie man an seinem Porträt
Heinrichs IV. nach Rubens beobachten kann, das sich in
dem Druck wie ein flottes, lichtes Gouachebildchen darstellt.
Das alles sind Leistungen, welche sich nach den
Grundsätzen unserer Tage ausserhalb der Grenzen der
orthodoxen Drucktechnik bewegen. Und doch kamen
auch damals wohl Versuche vor, noch im farbigen Bilde
den Druck zu betonen, und die Farben nur in gleichsam
illuminirender Weise als Andeutung und nicht als Nach-
ahmung einer natürlichen Wirkung zu verwenden. So hat
zum Beispiel Vangelisty seine Ausgabe ausgefasst, der
alle Hauptaccente der Zeichnung und des Schattens
in einem neutralen, gleichmässigen Ton ausdrückt und
seine wenigen Localfarben zur Belebung des Eindruckes
in ruhigen Flächen hinzufügt.
Langes Leben war dem sarbigen Kupserdruck einst-
weilen nicht beschieden. Er erreichte den Ansang des

XIX. Jahrhunderts sast nur in ziemlich traurigen Nach-
kömmlingen. Dann wurde er in den Dreissiger-Jahren von
der Chromolithographie abgelöst, welche mit geringeren
Schwierigkeiten noch viel mehr Beweglichkeit auszu-
bieten vermochte. Sie sasste denn auch zunächst ihre
Ausgabe dahin aus, immer mehr als Reproductionstechnik
zu leisten. Zum zweitenmale verschmähte es der Druck,
I die Herkunst seiner Blätter aus ihnen selbst documentarisch
sestzustellen. Der Überdruck war auch hier nicht Aus-
nahme, ein Mittel, die bescheidene Farbenzahl gelegentlich
durch die unschuldige Täuschung einer Mischung zu ver-
mehren, sondern er wurde zur Regel, da sich nur durch
ein vielsaches Decken zahlreicher Farbenplatten die
mannigsachen Nuancen erreichen Hessen, welche sür die
Nachbildung von Öl- und Aquarellgemälden realistischen
Gepräges ersorderlich waren. Künstlerhände, welche sich
doch hundert Jahre srüher des Kupserdruckes in Farben
angenommen hatten, und die auch die farblose Stein-
zeichnung gleichzeitig sörderten, hatten mit dem Bunt-
druck, wie er bezeichnenderweise genannt wurde, nichts
zu schasfen. Und doch hätten die Künstler, mindestens bei
der farbigen Illustration, der sie die Vorbilder gaben, alle
Ursache gehabt, sich die Grundersordernisse des Druckes
eindringlich vor Augen zu stellen. Sie hätten sich sagen
sollen, dass der Drucker sein persönliches Interesse der
Kostenersparnis umso leichter wahrnehmen wird, je
weniger Steine er zur Aussührung braucht, dass er aber
damit gleichzeitig auch sein Vorbild am correctesten
wiedergeben kann. Je einsacher er ist, desto weniger wird
der illustrirende Künstler Entstellung seiner Arbeit zu
sürchten haben. Aber keine dieser Erwägungen wurde zu-
nächst angestellt. In den Siebziger-Jahren erlebte der
Ölsarbendruck seine Blüte, weil Buntfarbigkeit und
möglichste Naturtreue der Vorbilder ihn zu immer
beweglicherer Ausdehnung seiner Nachbildungssähig-
keit zwangen. Täuschung über die Entstehungsart des
sarbigen Blattes war die Losung. Aber das sollte anders
werden.
Hätte die moderne europäische Graphik sür die
Gewinnung eines Verhältnisses zur Farbe keine anderen
Vorbilder gehabt als jene in der eigenen Vergangenheit
und in der gleichzeitigen Bildmalerei, so wäre sie
schwerlich zu denselben Resultaten gekommen, welche
sie thatsächlich erreicht hat. Aber ihr kam noch eine
andere Bundesgenossenschast. Seit den Sechziger-Jahren
waren die europäischen Künstler aus die japanischen
Holzschnitte ausmerksam geworden. Ihr Einsluss aus die
europäische Zeichenkunst ist verschiedentlich gewürdigt
worden. Aber wie mir scheint, wurde bisher hauptsächlich
die impressionistische Ausfassung von Bewegung und
Form hervorgehoben. Es gibt aber in der ostasiatischen
Kunst Momente, welche speciell sür die europäische
Lithographie noch wichtiger geworden sind.
A. L. Plehn.
(Schluss folgt.)
 
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