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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.4250#0059
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der räumlichen Erscheinung abzunöthigen. Gerade der
Begründer des künstlerischen Reclamebildes hat sich voll-
ständig unabhängig von dem Hauptgesetz japanischer
Kunst gehalten. Cheret strebt in der Farbe, welche er am
häufigsten aus der Dreiheit Blau, Gelb, Roth aufbaut, zwar
nicht auf eine volle Naturwirkung, aber doch auf ein verein-
fachtes Ersatzmittel für dieselbe hin, und er versagt seinen
Gebilden auch nicht den Schein körperlicher Plastik. Er
kennt ein Vor- und Zurücktreten, ein mannigfaches Ver-
schieben der Dinge im Raum, er zeichnet den nach vorne
gewendeten Arm einer Figur, oder vielmehr dessen
Bekleidung durch die prägnantere Farbe vor dem nach der
entgegengesetzten Seite zurücktretenden Gliede desselben
Körpers aus, vor allem aber lässt er das Licht von den
Figuren aufsangen und durch den Schatten, welchen sie
werfen, ausdrücklich bekräftigen. So setzt er seine
Erscheinungen in bewussten Gegensatz zu den Schle-
mihlen, welche in den Blättern der Utämaro und Kiyönaga
ihr geschmackvolles Gespensterdasein führen. Mit einem
Wort, Cheret hat sich allen Gesetzen unterworfen, die seit
dem letzten halben Jahrhundert in der europäischenMalerei
gelten. Aber indem er das that, vergass er doch nicht, was
er dem Druck schuldig sei. Er wird sich niemals auf den
Maler ausspielen. Seine Farben sind jederzeit einzeln
erkennbar, obgleich er sie mit raffinirter Vielseitigkeit
technischer Abwechslung auf die Platte bringt. Der
flott getuschte Pinselstrich und die Schraffirung wechseln
mit einander ab, und die gespritzten Töne leisten die ver-
schiedensten Dienste. Entweder sie bilden das Mittel zu
mannigfaltigen Mischungen, indem etwa ein Durcheinan-
derspielen unzähliger blauer und rother Pünktchen sich
als violett vorstellt, oder ein feiner Regen von bestimmter
Farbe dient als Dämpfungsmittel für einen getuschten
Ton einer anderen, der ohne diese Nachhilfe für seine
Stelle zu grell erscheinen würde. Je genauer man all diese
kleinen Listen bis in ihre Absicht hinein verfolgt, desto
erstaunlicher erscheint der Anschein spielender Leichtig-
keit, mit dem sie in Scene gesetzt wurden. Und trotz alle-
dem sieht man die einzelnen Platten so zu sagen deutlich
übereinander liegen. Zu denen für die Farben tritt häufig
noch diejenige für die schwarze Contour, mit deren Hilfe
gleichzeitig die tiefsten Dunkelheiten durch Schrasfirung
oder Fleck nachdrücklich verstärkt werden.
Nach Cheret hat das europäische Placat sich im
Ganzen mehr der japanischen Flächenaufsassung zuge-
wendet, aber es hat doch die Vorstellung von Licht und
Schatten wenigstens andeutungsweise fast immer bei-
behalten. Es hat kalte, dunkle Silhouetten mit Vorliebe
gegen warme Helligkeit gesetzt, sich an flächenhaft
behandelten Figuren kecke Streiflichter nicht versagen
mögen und sich überhaupt all jenen coloristischen Spielen
mit Gegensätzen hingegeben, welche gerade aus der
Wirklichkeit der räumlichen Welt stammen.
Während das Placat mit Rücksicht auf seinen Zweck
die Farbe am liebsten zu energischer Kraftanstrengung
spornt, findet das graphische Blatt kleineren Umfanges

seinen Vortheil in der Regel darin, sie vorsichtig zu
zügeln und lieber hinter der Wirklichkeit zugestandener-
massen zurück zu bleiben, damit man ihm nur nicht ein
Unterliegen aus Erschöpfung nachsagen dürfte. Für die
Mahnung zu solcher Zurückhaltung hat die europäische
Graphik die grösste Dankesschuld an ihr ostasiatisches
Vorbild abzustatten. Es ist nicht anzunehmen, dass ohne
ein so berechtigtes Entzücken über jene farbig so beschei-
denen Blätter, zu deren blasser Vornehmheit auch die
Zeit noch das ihrige beigetragen hat, die europäische
Künstlerlithographie so vorsichtig in ihrer Farbenbehand-
lung gewesen wäre. Frühere Erfahrungen und der Weg,
den Cheret einschlug, lassen vermuthen, dass auch diesmal
die gleichzeitige Malerei das Beispiel gegeben haben
würde und es wäre vielleicht auf neue Irrwege hinaus-
gekommen. Wie die Dinge lagen, kam die Künstlerlitho-
graphie dem abendländischen Verlangen nach Berück-
sichtigung der Körperlichkeit in der Regel mit einer
Zeichnung der Schatten in neutraler Farbe entgegen,
während für die Andeutung der bunten Herrlichkeit des
Wirklichen je nach Bedarf zwei oder drei Farbenplatten
genügen mussten, welche statt der Vielheit der Nuancen
geschlossene Töne einander entschiedengegenüberstellten.
Natürlich wird auch der Überdruck nicht verschmäht. Ein
anderes Mittel zur Erzielung gemischter Töne besteht in
dem engen Aneinanderfügen verschiedenfarbiger Strich-
lagen, ähnlich dem Mischen durch Übereinanderspritzen
der Töne. Das sind Trics, welche der europäischen
Graphik eigenthümlich gehören, welche auch nur in der
beweglichen Lithographie zu erzielen sind. Ihre Herkunft
lässt sich von den Experimenten der Pointillisten her-
leiten, und gerade für den Druck lassen sie sich so recht
aus der Technik heraus empfehlen. Sie sind gleichfalls
ein Ausdruck für die zum Gebrauch gewordene Beschrän-
kung der Druckplatten. Der Künstlerehrgeiz will aus-
drücklich eine breite Grenze ziehen zwischen seiner
Thätigkeit und der in Bezug auf die Anzahl der Steine
so gut wie unbeschränkten Chromolithographie. In diesem
Sinne haben speciell die Volkmann und Biese nebst
manchem Anderen bewiesen, dass oft gerade durch die
Beschränkung der Mittel der intimste Stimmungsgehalt
des Wirklichen am eindringlichsten zum Ausdruck
kommt.
Andererseits rührt wohl auch eine gefährliche
technische Geschicklichkeit an jenen im allgemeinen
verschmähten Lorbeer. Mir wenigstens ist auchAlexandre
Lunois am bewundernswerthesten, wo er sich mit drei
Steinen begnügt und gleichsam nur ein blasses Spiegel-
bild der Natur ausfängt, die in dieser geistreichen
Abkürzung als eine neue Erscheinung des Bekannten
doppelt anziehend wird. Aber hin und wieder kann seine
Geschicklichkeit es sich nicht versagen, die Mittel zu
häufen und mit zahlreichen Farbenplatten und mehrfach
wiederholtem Überdrucken einer und derselben Stelle des
Papiers zu den complicirtesten Mischtönen vorzudringen
und dadurch seine Blätter zu interessanten Räthseln zu
 
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