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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.4250#0084
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— 80 —

kann, dass Springinklee von jener herrlichen, damals
eben erschienenen Composition des Meisters beeinflusst
wurde. Ein Vergleich der beiden hier neben einander
gestellten Reproductionen wird besser als alle Worte
zeigen, wie genau die Stellung der beiden Figuren im
Gegensinn copirt ist, obgleich der Faltenwurf an der
heiligen Jungfrau stark verändert und ein Fuss des
Kindes nicht zu sehen ist. Die Madonna hält statt einer
Birne einen Apfel in der Hand. Das Motiv der Krone,
die von zwei Engeln über Marias Haupt gehalten wird,
ist beibehalten, aber ganz unabhängig behandelt und der
Rest der Composition steht natürlicherweise in keinerlei
Zusammenhang mit Dürers Holzschnitt. Dagegen mag
ein anderer Beweis für den Einfluss, den Dürer auf
Springinklees Phantasie ausübte, in dem signirten, aber
undatirten Holzschnitt gefunden werden, der Gott Vater
darstellt (P.III, 241,63).' Der Himmel über dem Haupt des
Allmächtigen und unter dem Thron, auf welchem er
sitzt, ist mit Wolken und'Cherubim angefüllt, augen-
scheinlich beeinflusst von Dürer, B. 101. Springinklee hat
genau einen eigenthümlichen Efsect copirt, den Dürer
schon in der Dreifaltigkeit von 1511 (B. 122) versuchte,
mehr ins Einzelne gehend aber auf dem letzteren Holz-
schnitt durchführte, auf welchem die dunkeln Umrisse
der entsernteren Cherubim und der Wolken des Hinter-
grundes im Schatten gesehen werden, theilweise durch
einen Schleier von parallelen Linien verhüllt, während die
weiter vorne befindlichen Figuren in das volle Licht
getaucht sind, das von der Gottheit ausstrahlt.
Ich will nun zu dem Titelholzschnitt des Churer
Breviars zurückkehren und gewisse Punkte im Detail mit
anderen bezeichneten oder unbezeichneten Werken
Springinklees vergleichen. Das Antlitz der Madonna
erinnert in bemerkenswerter Weise an jenes der heiligen
Anna auf dem Holzschnitt von 1518, Die heilige Anna
selbdritt,2 den W. Schmidt richtig Springinklee zuschrieb."
Man beachte die Form der Nase und die kleine Einsenkung
in der Oberlippe unter den Nasenlöchern, die am heiligen
Florinus und an den beiden Engeln gleichfalls betont ist
und regelmässig auf den signirten Holzschnitten Springin-
klees begegnet. Die eigentümliche Gestaltung der Finger,
besonders der Mittelglieder, die an den Händen der Jung-
frau und des Bischofs von Chur wahrzunehmen ist, findet
sich auf Heller 1990 und an den Händen mehrerer Personen
auf B. (Dürer) App. 32 wieder. Der eben genannte Holz-
schnitt ist nahezu gleichzeitig mit jenem im Churer Breviar
J Dieser seltene Holzschnitt (266 : 169 mm) erschien in einem
Missale, welches ich zu identificiren noch nicht in der Lage war. Ein
Abdruck mit dem in Roth und Schwarz gedruckten Text des Missales
auf der Rückseite befindet sich in Hamburg; einen schönen Druck ohne
Text bewahrt die Sammlung Friedrich Augusts II. in Dresden. Ein anderer
Abdruck findet sich in Paris (Courboin, Cat. de la Reserve, II. 10645).
2 Heller 1990. Reproducirt bei Hirth-Muther, Meisterholzschnitte,
Nr. 73. Es ist daselbst unter die Reproductionen nach Holzschnitten
Baidungs gestellt, aber seine Autorschaft wird im Text ausdrücklich
Dürer zugeschrieben.
3 Chronik für vervielf. Kunst, 1891, IV, 10.

und er bietet viele Vergleichungspunkte mit dem letzteren
besonders in der Zeichnung der Engel — man vergleiche
hauptsächlich die beiden Engel links auf B. App. 32, die
den Mantel des Allmächtigen emporhalten, mit den beiden
Engeln, welche die Krone über dem Haupt der Muttergottes
halten. Zu beachten ist auch die falsche Zeichnung des
Kreuzes auf dem Reichsapfel, die sowohl auf B. App. 32
als auch auf P. 63 begegnet. Das Haupt des heiligen
Lucius ist fast genau dasselbe wie jenes von Clovis auf
dem Stammbaum Maximilians auf der Ehrenpforte,» der
ebenfalls Springinklee zugewiesen werden muss.
Die architektonischen Details endlich sind unver-
kennbar im Geschmacke Springinklees. Die Schnur von
abwechselnd kugelförmigen und eirunden Perlen als
Einfassung kehrt in vielen seiner Werke wieder, und die
übergreifenden Blätter, welche das oberste Glied der
Decoration des Bogens bilden, sind ebenfalls eines seiner
Lieblingsmuster, obgleich er gerne Maiglöckchenblüten
unter die Blätter mischt. Die falsche Perspective des
Rundbogens kann genau in Parallele zu der zweiten
Folge der Holzschnitte des Hortulus Animae, der zuerst
1518 herausgegeben wurde,2 gesetzt werden; sie
begegnet thatsächlich beinahe jedesmal dann im Buche,
wenn die Composition oben durch einen Rundbogen
abgeschlossen wird. Die Säulencapitäle gleichen ebenfalls
ausserordentlich jenen, die in den Illustrationen des
Hortulus vorkommen, und die Decoration des Thrones, ein-
schliesslich der grossen Blätter und der beiden Kugeln mit
vorspringenden blattähnlichen Ornamenten zwischen
ihnen, gleicht genau jener auf dem Holzschnitt
St. Johannes der Evangelist, B. 1 7.
Die übrigen in dem Breviar vorkommenden Holz-
schnitte sind Initialen. Zwei von diesen, in Schwarz
gedruckt, sind die wichtigsten: B (eatus) mit Gott Vater,
der aus den Wolken heraus dem knienden David erscheint,
(58 : 51mm) auf dem ersten Blatt des Psalters, zu Beginn
des eigentlichen Breviars, und F (ratres) mit den zwölf
Aposteln, unter denen Petrus und Paulus allein erkennbar
sind, (57 : 52 mm) auf dem ersten Blatt des Commune
Sanctorum, gegenEnde des Bandes. Der erste dieser beiden
Holzschnitte ist unschwer als Springinklee zu erkennen;
in dem zweiten ist der ornamentale Theil des Buchstabens
selbst ganz in seiner Art, während die ungewöhnliche
Zeichnung gewisser Gesichter mit dem Typus Gottvaters
auf den Illustrationen zu Esaias, Cap. VI und Ezechiel,
Cap. I der von 1519 an gedruckten Vulgata zu ver-
gleichen ist.
Im Anschluss an diese zwei Initialen mit Figuren
finden sich fünf weitere, A, C, D, E, G, welche beinahe
ganz aus ornamentalen Motiven zusammengestellt sind,
und zwar aus Delphinen, Füllhörnern, Schellen und
Blumen, wiewohl im A auch ein Cherubsköpfchen
und im G ein kraushaariger Engel in ganzer Figur vor-

1 Taf. 32 der neuen Ausgabe, Wien 1885 und 18S6.
2 Z. B. B. 15, 21, 22, 23.
 
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