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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.4251#0052
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— 48 —

die Graphischen Künste einen Artikel über den genannten Künstler
gebracht haben, eine treffliche Einsührung geschrieben. Die siebzehn
Cliches des Bandes, welche alles wiedergeben, was Blake sür den Holz-
schnitt gezeichnet und selbst in Holz geschnitten hat, lassen leider gleich-
salls sehr viel zu wünschen übrig. Sie sind kaum imstande, die Erinnerung
an die herrlichen Originaldrucke des Britischen Museums wachzurufen.
A.W.
Henri Bouchot, Un ancetre de la gravure sur bois.
Etudesur un xylographe taille en Bourgogne vers 1370.
Paris, Libr. Cent, des Beaux-Arts. 1902.
Den Bestrebungen der
neueren sranzösischen Kunst-
forsehung, die Selbständigkeit
der heimatlichen Kunst in
der Frührenaissance nachzu-
weisen, schließt sich auch die
vorliegende Arbeit Bouchots
an. So erfreulich und nützlich
dieser Eifer besonders der
früheren Gleichgiltigkeit ge-
genüber auch sein mag, so
wird man doch nicht umhin
können, die nationalistische
Tendenz, die sich überall
bemerkbar macht, als der
wissenschaftlichen Behand-
lung der schwebenden Fragen
wenig zuträglich zu bezeich-
nen. Auch Bouchot schießt im
Übereifer oft über sein eigenes
Ziel hinaus; er sucht ganz
fremde Dinge aussein franzö-
sisches Gebiet hinüberzu-
ziehen und schädigt seine
gute Sache durch ungerechte
Beurteilung oder durch Ver-
nachlässigung des Fremden
und durch eine gewisse
Gereiztheit der Polemik. Zwar
die Form ist, wie man das
von einem so liebenswürdigen
und gebildeten Manne wie
dem tresflichen und fleißigen
Leiter des Pariser Kupfer-
stich-Kabinetts nicht anders erwarten kann, durchaus einwandsrei,
aber in den rein sachlichen Auseinandersetzungen und in gelegent-
lichen Behauptungen bricht eine gewisse Leidenschaftlichkeit hervor.
Wenn Simone Martini nicht mehr der sienesischen, sondern einer »ecole
italo-venaissine« angehört, dann können wir Deutsche uns wohl auch
beruhigen, wenn außer vielen Holzschnitten und Kupferstichen auch das
Kölner Dombild uns entzogen wird, aber der wissenschaftlichen For-
schung wird damit kein Dienst erwiesen.
Den alten Herren wie Heinecken, Passavant u. a., deren große Ver-
dienste aber doch etwas mehr Anerkennung verdient hätten, gegen-
über hat Bouchot mit seinem Vorwurfe, daß sie alles unbesehen für
deutsch hielten, nicht ganz unrecht, die neueren deutschen Schriftsteller
kann man aber wahrhaftig nicht der Parteilichkeit zeihen. Sie tun an
Beeinflussungstheorien eher des Guten zu viel. Bouchot hätte aber, wie
ich glaube, überhaupt nicht nötig gehabt, seinen Argumenten durch
einen kriegerischen Ton und durch zu weit gehende Folgerungen Nach-
druck zu geben. Die Gründlichkeit und Sachkenntnis, mit denen seine
Untersuchungen durchgeführt sind, werden ihnen eingehende Beachtung
und unbefangene Beurteilung" auch von deutscher Seite sichern.
Das Buch Bouchots beschäftigt sich mit dem vor einiger Zeit bei
der alten Abtei La Ferte-sur-Grosne im Departement Säone-et-Loire
gefundenen Fragmente eines großen Holzstockes aus Nußbaumholz


Eine Seite des »Bois Protat«

(60X23 cm), der aus beiden Seiten eingeschnittene, sür den Abdruck auf
Leinwand oder Papier bestimmte Darstellungen der Kreuzigung und
Verkündigung zeigt, und der zuerst auf der Pariser Weltausstellung 1900,
dann auf der Exposition de la gravure sur bois in diesem Jahre zu
sehen war. Von der Kreuzigung ist nur die Gruppe des Centurionen und
zweier Krieger und der linke Arm Christi, von der Verkündigung nur
der Engel erhalten.
Bouchot hat dem »bois Protat«, wie er das Holzstocksragment
nach seinen jetzigen Besitzer M. Jules Protat in Macon nennt, eine so
eingehende Betrachtung gewidmet, nicht weil er den Kunstwert der Dar-
stellungen für so bedeutend oder das Stück technisch für besonders
interessant hielte, sondern weil er in ihm den ältesten erhaltenen, für den
Abdruck bestimmten, datierbaren Holzschnitt zu erkennen meint und
weil er ihn zum Ausgangspunkt sür den Nachweis einer großen süd-
französischen Holzschneiderschule im XIV. und XV. Jahrhundert
benützen zu können glaubt. Er stützt seine Behauptung, daß der Holz-
stock eine französische Arbeit von 1370 sei, im wesentlichen daraus,
daß die Zeichnung und die Technik ohne alle Schraffierung auf ein sehr
hohes Alter schließen lassen, daß die Inschrift auf dem Spruchbande in
Unzialen des XIV. Jahrhunderts geschnitten ist und daß die Tracht
und Bewaffnung sür das dritte Viertel des XIV. Jahrhunderts und für die
Gegend von La Ferte in Burgund charakteristisch sind und sich in
einigen anderen, ebenfalls sranzösischen Holzschnitten wiederfinden.
Das zweite Argument, auf das Bouchot großen Wert legt, kann
nicht als stichhaltig angesehen werden. Seinen Wunsch, der einer
Herausforderung recht ähnlich sieht, ihm einen Papierabdruck von einem
Holzschnitte mit Unzialinschrift nachzuweisen, kann ich leicht erfüllen.
Inschriften in schöner, der des »bois Protat« ganz ähnlicher Unziale finden
sich zum Beispiel auf einem Holzschnitt mit dem heiligen Josef
(S. Zacharias ?) in der Biblioteca Ciassense in Ravenna (um 1450,
Schreiber, Nr. 1750), auf dem Martyrium des B. Simone (also sicher
nach 1475, Weigel u. Zestermann p. 296) und auf einer Reihe von Holz-
schnitten mit dem Christuszeichen des heiligen Bernardinus (Schreiber
Nr. 1808—1814, Ende des XV. Jahrhunderts). Auch auf einem Fresko
von Lorenzo und Jacopo da San Severino im Oratorio di S. Giovanni
Battista in Urbino (1416. S.Müntz, Hist. de l'Art, I, p. 301) ist eine
Inschrift in Unzialen angebracht. Diese Beispiele werden genügen, zu
beweisen, daß Unzialen, obschon selten und vielleicht nur in bestimmter
Absicht, auch noch im XV. Jahrhundert für Inschriften auf Holz-
schnitten und anderen Kunstwerken zur Verwendung gekommen sind.
Man darf auch nicht ohne weiteres voraussetzen, daß ein Kopist die
Unzialen eines älteren Vorbildes geändert haben müsse. Gerade In-
schriften werden besonders von Unkundigen mit einer gewissen Scheu,
oft Zug für Zug, auch ohne Verständnis ihrer Bedeutung nachgeahmt;
sie dienten sicher ebensosehr als Schmuck wie zur Belehrung. Auf
italienischen Spielkarten des XV. Jahrhunderts werden zum Beispiel
deutsche Inschriften sogar gegenseitig, ohne jedes Verständnis der
Bedeutung kopiert (s. Jahrbuch der königlich preußischen Kunst-
sammlungen XXII. [1901] S.133 f.).
Viel wichtiger und bedeutungsvoller ist der dritte Punkt in
Bouchots Beweisführung, dessen eingehende Behandlung auch ein
Hauptverdienst seiner Arbeit bildet. Wer sich je mit Untersuchungen
über historische Kostümfragen beschäftigt hat, kennt ihre großen
Schwierigkeiten; der weiß auch, wie wenig die bisherigen Arbeiten
unseren Zwecken zu dienen geeignet sind. Man würde Bouchot zu
größtem Dank verpflichtet werden, wenn er seine gründlichen und sorg-
fältigen Forschungen auf diesem schwierigen Gebiete fortführen und vor
allem auch erweitern wollte.
Bouchot stellt an die Spitze seiner Darlegungen einen Grundsatz,
der, wenn man ihn als allgemein giltig ansehen dürfte, unsere Forschung
über die ältesten Bilddrucke wesentlich sördern würde, nämlich daß in
Zeiten naiver Kunstproduktion der Künstler, auch wenn er eine ältere
Komposition sonst genau nachahmt, die Kostüme und das übrige Bei-
werk nach der Mode seiner Zeit und seiner Umgebung verändert, daß
also das Kostüm immer der Zeit und der Gegend angehört, in der das
Werk hergestellt worden ist. Auf diese an sich sehr natürliche und
richtige Beobachtung ist schon öfter hingewiesen worden, zum Beispiel
 
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