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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.4251#0072
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— 68 —

die Veranstalter dieses bedeutenden künstlerischen Er-
eignisses von der Leitung des Louvre das Zugeständnis
erhalten, daß auch sie, da sie nun einmal in keinem Falle
ihre Schätze verleihen darf, gleichzeitig mit der privaten
Ausstellung in der Ecole des Beaux-Arts eine Ausstellung
aus ihrem großen Bestände an Handzeichnungen in den
eigenen Räumen eröfsnen wird. Es ist dadurch die er-
freuliche Aussicht geschasfen worden, daß nunmehr auch
in Zukunft bei ähnlicher Gelegenheit ähnliches geschehen
wird. C.-J.
London. Unter den neuen Ausstellungen von
Werken der graphischen Kunst in London waren
zwei, welche im Dezember stattfanden, vom höchsten
Interesse: die Sammlung von Radierungen Meryons bei
Obach und das vollständige Werk des holländischen
Radierers Marius Bauer, etwa 120 Stück umfassend, in
der Dutch Gallery.
Die Kollektion Meryon bestand der Hauptsache nach
aus jenen Blättern, die sich vormals im Besitze Seymour
Hadens befanden und von ihm direkt vom Künstler selbst
erworben worden waren. Die Sammlung hat, seit sie ihren
ursprünglichen Eigentümer verließ, den atlantischen Ozean
gekreuzt und ist, incredibile dictu, wieder zurückgekehrt.
Gegenwärtig hat es den Anschein, als ob die Seltenheiten,
die sie enthält, in England verblieben; nur eine Perle, „La
Morgue" im ersten Zustand, ist von einem amerikanischen
Sammler erstanden worden. Andere schöne Blätter
hatten die Herren Obach der Haden-Serie von Meryons
Radierungen hinzugefügt, und es gelang ihnen, mit
Hilfe verschiedener Quellen fast das ganze Werk des
Radierers in den auserlesensten Probedrucken auf
grünem oder indischem Papier auszustellen. Als be-
sonders schön und selten möchte ich erwähnen: den
ersten Zustand von »L'Abside de Notre Dame« auf
grünem Papier, den dritten von den acht signierten und
datierten Probedrucken von »Tourelle, Rue de l'Ecole de
Medecine«, einen Probedruck von dem Himmel und den
Glocken von »Rue des Chantres«, Probedruck und ersten
Zustand von »La Galerie de Notre Dame«, drei Probe-
drucke von »La Tour de l'Horloge«, eine komplette Folge
von Zuständen von »Le Pont-au-Change« und den äußerst
seltenen Probedruck von »Vieille Porte du Palais de
Justice« und »Tombeau de Moliere«, auf der ungetrennten
Platte. Ferner waren eine Anzahl von Bleistiftstudien
von architektonischen Details für die Pariser Radierungen
und drei Porträte von Meryon ausgestellt: zwei Radie-
rungen von Bracquemond, deren größere bloß in zehn
Drucken existiert, und das Faksimile einer wahrhaft er-
greifenden Zeichnung Flamengs. Frederick Wedmore
schrieb eine interessante Einleitung zu dem Katalog.
Bauer ist ein echter Landsmann Rembrandts und
erinnert häufig an seinen großen Vorgänger in dessen
hastigerer und mehr improvisierender Weise.
Wie Rembrandt hat er den Zauber des Ostens ge-
fühlt; aber während der alte Meister nur solche Bruch-

stücke des orientalischen Lebens zeichnen konnte, die ihm
in Amsterdam unter die Augen kamen: die Rabbis und
Höker des Judenviertels oder reisende Kaufleute aus der
Levante, oder sich damit begnügen mußte, ein paar Seiten
eines von einem persischen Künstler für einen Mogul in
Indien gemalten Manuskriptes zu kopieren,hat Bauer jahre-
lang in Konstantinopel, Kairo, Palästina und Indien gelebt,
und seine ganze Kunst ist in Orientalismus getaucht. Er hat
etwa ein Dutzend höchst vollendeter Platten großen For-
mates radiert: das Riesentor einer Moschee zu Delhi, das
Gestade des heiligen Ganges mit Scharen badender Pilger,
den Eroberer von Byzanz, wie er im Triumph in die Hagia
Sophia einzieht und ähnliches — alles schöne Gegen-
stände und vornehm behandelt. Sein Bestes aber gibt er
vielleicht in den kleineren Radierungen, die das östliche
Leben der Gegenwart schildern, etwa ein jüdisches
Leichenbegängnis, das durch ein enges Gäßchen heran-
kommt, einen Händler, der im Bazar Wolldecken feilbietet,
einen indischen Prinzen, der in einer Sänfte dahinzieht,
einen Fanatiker, der unbeweglich in der ihm von seiner
asketischen Regel vorgeschriebenen Stellung verharrt. Es
finden sich auch Themen aus der Bibel und der klassi-
schen und mittelalterlichen Sage — der im Bau begriffene
babylonische Turm mit einer Unmenge verworrener Ge-
rüste um ihn, eine Judith in zwei leicht verschiedenen
Fassungen, eine Circe mit einem Haufen unterwürfiger
Tiere um sich, Szenen aus einigen historischen Romanen
europäischen Ursprunges. Viel ist der Einbildungskraft
des Beschauers überlassen, denn noch gibt es keinen
Katalog von Bauers Werken und meistens entbehren die
Radierungen sogar eines Titels. Sie strotzen von Mannig-
faltigkeit, Kraft und Phantasie und an keinem der Werke
des Künstlers kann hinsichtlich des Geschmacks oder der
Ausführung ein Herabsinken zum Mittelmaß beobachtet
werden. Campbell Dodgson.
Belgien. (Oktober 1900 bis September 1902).
— Die achte Jahresausstellung der Libre Esthetique im
März 1901 enthielt, wie diejenige des vorigen Jahres,
eine ziemlich große Anzahl graphischer oder wenigstens
mit der Graphik verwandter Arbeiten ausländischer und
niederländischer Künstler. Louis Danse war durch
Aquarelle vertreten, unter anderem durch sogenannte
Interpretationen, das heißt, symbolistische Darstellungen
Maeterlinckscher Gedichte, und durch Radierungen,
meistens idealistischer Tendenz, zum Beispiel Les Lys
de Morteraine,Oraison undElisabeth. Auch eine gediegene
Radierung nach einem der vortrefslichsten Gemälde des
1870 verstorbenen Charles de Groux erregte lebhaftes
Interesse. Einer der jüngsten und begabtesten vlämischen
Maler, Alfred Delaunois aus Löwen, stellte unter
der allgemeinen Bezeichnung »Psychologien« eine Reihe
von Radierungen aus. Es sind dies idealistische Porträt-
köpfe, je einen besonderen Typus aus dem gegenwärtigen
Leben vorstellend, mit stark ausgeprägten charakteristi-
schen Zügen, La Rachitique, Le Rustre, Le Bourgeois, Le
 
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