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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.4251#0074
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— 70 —

Erzählung in 10 Aquarellen, Le Jacquemart de la Tour du
Pre-Rouge, eine andere in 20 Zeichnungen, La Fleche d'or,
Conte des Bords de l'Escaut, und eine meisterhafte, wie
ein kolorierter alter Holzschnitt wirkende Ansicht
einer imaginären, mittelalterlich vlämischen Stadt, Yper-
damme, genügend bekannt aus den schönen französischen
Erzählungen von Eugen de Molder.
Auch der neunte »Salon« der Libre Esthetique
brachte manches und darunter sogar Sachen ersten
Ranges. Zu diesen letzten zähle ich unbedingt ein großes
Pastell, eine Szene aus einem Stiergefechte in Spanien,
des viel zu wenig bekannten Jan Delvin aus Gent;
Zeichnungen von Khnopff, darunter das aus»Ver sacrum«
wohlbekannte Kleine Szepter; eine reizende, außerordent-
lich suggestive Zeichnung vonToorop, Seelen am Meeres-
ufer, und ganz besonders sechs Radierungen des Hol-
länders Pieter Dupont, meist Studien von Pferden und
Ochsen, worin alles, bis zum geringsten Detail, der Natur
abgerungen ist, jeder Zug des Stiftes an Dürers Kraft
erinnert und das Ganze den hohen Stil klassischer
Arbeit ofsenbart.
Unter den ausländischen Teilnehmern nenne ich
Fräulein A. Dutilh (Lithographien und Aquarelle), Curt
Hermann, Berlin (Pastelle), Franz Hoch, München
(Lithographien und Pastelle), und besonders Gerhard
Munthe aus Lysaker, Norwegen, mit einer ganzen
Reihe aquarellierter Illustrationen zu Snorre Stürlesons
Geschichten, Alex. Robinson, London, mit Märchen-
szenen in Pastell, Th. Ralli-Scaramanga, Paris, mit
radierten Land- und Stromansichten, Toulouse-Lau-
trec (Zeichnungen und Drucke) und Käthe Kollwitz,
Berlin. Die Radierungen dieser letztgenannten, z. B.
Tanz um die Guillotine, Aus dem Bauernkrieg und die
sechs Stück zu Hauptmanns Webern, erregten hier außer-
ordentliches Interesse.
Endlich, im Mai, eröffneten einige jüngere Antwer-
pener, unter dem höchst einfachen Namen: Eenigen-
Quelques-uns, eineAusstellung, welche größtenteils aus
graphischen Arbeiten bestand. Dort fanden sich wieder
mehrere jener »Gedicht-Zeichnungen« oder »gezeichneten
Gedichte«, die Edmond van Offel so glücklich zu
ersinnen und vortresflich auszuführen weiß; weiters
kräftige Pastell-Landschaften und Interieurs von Georg
Morren; Momente aus dem Antwerpner Hafenleben von
E. van Mieghem; Landschaftliches von K. Baseler,
und eine ganze Sammlung meist humoristischer Zeich-
nungen des zu früh gestorbenen Karel Collens.
Pol de Moni.
Holland (Oktober 1900 bis September 1902).
— 1900. Wenn es wahr ist, daß die Anzahl der Süd-
Niederländer, die sich der Radierkunst heute noch widmen,
jährlich kleiner wird, so ist es nicht minder wahr, daß
Holland noch immer auf eine stattliche Reihe von Radierern
stolz sein darf, und daß es unter diesen Meister allerersten
Ranges gibt, die — leider — nur allzu oft wenig im Aus-

lande bekannt, doch kaum von den allergrößten aus-
ländischen Konkurrenten übertrosfen werden. Ich nenne
Bauer, Witsen, Veth, Toorop, und — um auch einen all-
gemein berühmten zu erwähnen— Storm van's Grave-
sande.
Ende 1900 kam der Direktor der Kunsthandlung
Arts & Crasts in Haag auf den glücklichen Gedanken,
eine Ausstellung des letztgenannten zu veranstalten. Da
hatte man nun Gelegenheit, diesen wundervollen Im-
pressionisten in den vielen Verwandlungen seines Talentes
kennen zu lernen, und zwar als Maler, Lithographen,
Radierer, auch als Zeichner. Und ein hoch anziehendes
Studium war es, nachspüren zu können, wie sich dieser
Meister, zweifelsohne einer der meist sortgeschrittenen
unter allen Modernen, in seinen Radierungen kaum
einiger expressiven Linien zu bedienen braucht, um mit
vollster Kraft ein Bild des Gesehenen zu geben, obwohl
er in seinen Kohlenzeichnungen und auch wohl oft in
seinen Lithographien keinen der Vorzüge dieser Tech-
niken außeracht läßt, die Striche mit pikantem Schwung
auf das Papier hinwirft, und eine Fülle von Zwischen-
tönen, von weiß bis schwarz, spielen läßt. Daß Storm uns
auch hier mit Vorliebe, wenn auch nicht ausschließlich,
die Verwandlungen des Meeres zeigte, brauche ich wohl
kaum zu sagen.
Bei Van Wisselingh, Amsterdam, waren Ende
September und Anfang Oktober mehrere ganz neue
Radierungen von Witsen ausgestellt, einem der vortreff-
lichsten Landschaftsmaler in Holland. »Indrukken uitDord-
recht«, so nannte er die ganze, wohl 15 bis 20 Werke um-
fassende Serie. Welch ein Unterschied zwischen diesen
jüngeren und jenen älteren Meistern. Auch bei Witsen ist die
frischaufgenommene Impression wohl Anfang aller Kunst,
aber.. .wie weit ist jedes Blatt aus-und durchgeführt,
jeder darauf dargestellte Gegenstand bis in das geringste
Detail ausgearbeitet, jede Materie auf eigene Weise wieder-
gegeben. Keines dieser pittoresken Eckchen und Winkel-
chen aus der alten Stadt an der Merwe, das nicht hörbar
seine Melancholie ausweint, den Schmerz des Altwerdens,
die Furcht vor dem Tode, die Angst einer jahrhundert-
langen Einsamkeit. Auch zwei prächtige Aquarelle waren
dort zu sehen, wieder Ansichten aus dem schönen Dord-
recht.
1901. Anfang 1901 veranstaltete der »Rotterdam-
sche Kunstkring« eine Ausstellung von Zeichnungen
des interessanten, immer und immer suchenden und nie mit
demGefundenen zufriedenenGeistes,Vincent van Gogh.
Auch dieser war ein Impressionist, aber ein skeptischer, ein
grübelnder. Ich weiß nicht, ob Vincent mit einer Feder, oder
mit einem Pinsel, oder mit einem Rohr, oder mit seinem
. . . Fingernagel zeichnete. Es ist mir auch völlig gleich-
giltig! Aber, was für eine Liebe und Hingebung, was für
ein Sichversenken in die Natur spricht aus den besten
der hier zusammen gebrachten Sachen, ganz besonders aus
den Landschaften zu uns. Und dann — ungeachtet jener
grausamen Unzufriedenheit mit dem erreichten Resultate
 
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