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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.4233#0030
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— 26 —

Hin neuer Stich des Meisters w

Die ungewöhnliche Seltenheit der Stiche des Meisters rechtfertigt
es wohl, eine neuerdings aufgefundene interessante, wenn auch kleine Arbeit
seiner Hand hier zum erstenmal zu veröffentlichen, zumal sie in einem merk-
würdigen Zusammenhang mit einigen den gleichen Gegenstand darstellenden
Stichen zweier zeitgenössischer Meister steht.

Israhel van Meckenem hat bekanntlich etwa in den achtziger Jahren
des XV. Jahrhunderts eine Folge von 1(5 Bildchen männlicher und weiblicher
Heiligen 1 gestochen, von denen je vier auf einer Platte vereinigt sind, zwei
unten, zwei oben, wobei die Einfassungslinien in der Mitte je zweien der
Darstellungen gemeinsam sind. Vierzehn dieser Bildchen messen zirka
85x54)«;», nur zwei sind erheblich kleiner, 75X4<S///;;/, so daß auf dieser
einen Platte in der Mitte ein Zwischenraum von 16 beziehungsweise 4 ;;/;;/
bleibt. Auch darin weichen diese Darstellungen, die Messe des heiligen Gregor
und die Stigmatisation des heiligen Franz, wesentlich von den übrigen Bildern
der Folge ab, daß die betreffenden Heiligen nicht ruhig stehend mit ihren
Attributen in den Händen dargestellt sind, sondern eine Szene aus ihrer
Legende zur Wiedergabe gewählt ist. Ihre Zusammengehörigkeit gegenüber
den 14 andern, in denen wir im wesentlichen eigene, ziemlich dürftige Er-
findungen Meckenems sehen, ist augenscheinlich.

Nun hat schon Lehrs 1893 nachweisen können, daß die Stigmatisation
des heiligen Franz nach einem Stich des Meisters W L. 16, von dem
sich nur zwei Exemplare, in Berlin und in Brüssel, erhalten haben,
gegenseitig kopiert sei. Die Pflanzen im Vordergrund, das Beutelbuch des Heiligen, das Bergschloß hinter ihm, ein
paar Wolken hinter dem Kruzifixus sind fortgelassen, sonst ist die Kopie eine genaue, das heißt so weit dies eben bei
einer Kopie Meckenems der Fall sein kann. Auf den nahe liegenden Gedanken, daß auch ihr Gegenstück, die Gregor-
Messe, nach einem verschollenen Original desselben Meisters w kopiert sein werde, bin ich bei Abfassung meines
Meckenem-Katalogs nicht gekommen. Die Augen gingen mir erst auf, als ich im letzten Oktober den hierneben in
Originalgröße abgebildeten Stich in einem niederdeutschen Gebetbuch in der Bibliothek des Vereins für Geschichte
und Altertumskunde Westfalens (Abteilung Münster), die im neuen Landesmuseum der Provinz Westfalen in
Münster W. endlich eine bleibende Unterkunft gefunden, eingeklebt fand.

Das erwähnte Manuskript (Signatur M 257) scheint früher noch mehr eingeklebte Stiche enthalten zu haben,
wie der Zustand der Blätter 56a, 56b und 85a zeigt; heute findet sich außer einer ziemlich schwachen Miniatur (einer
Darstellung Christi am Kreuze) nur noch Folio 28b eine silhouettierte kleine Madonna eines Monogrammisten F.W.Z.,
die aber augenscheinlich schon dem Beginn des XVI. Jahrhunderts angehört und darum hier unberücksichtigt bleiben
kann. Die Hand des Schreibers hat außer den vielen zierlichen Initialen auch um den Fol. 23 b eingeklebten Stich
ein buntes Händchen gemalt und einige Teile der Darstellung, wie Kasel, Mitra, Kardinalshut und Nägel mit rot-
brauner, hellgelber, brauner oder blauer Farbe überpinselt. Doch ist die Grabstichelarbeit noch überall zu erkennen.

Das den Gebeten vorangehende Kalendarium gestattet die Feststellung, daß der Schreiber der Diözese Münster
angehört hat, womit übereinstimmt, daß als früherer Besitzer ein »Vikar Otto in Enniger« (Kreis Beckum) seinen
Narnen in den späten Ledereinband (um 1800?) eingeschrieben hat. Für die Datierung des Manuskripts ist leider
die Angabe auf der ersten Seite, daß die dort eingetragene Berechnungstafel der goldenen Zahl im Jahre 1471
»zusammengestellt« sei, nicht zu verwenden, denn Folio 23 a wird noch eine Ablaßerteilung des Papstes Innozenz VIII.
(1484—1492) aufgeführt. Wohl aber darf man aus den Kalendertabellen Folio 2bund3, die auf die Jahre 1507 — 1531
berechnet sind, den Schluß ziehen, daß das Manuskript entweder 1506 oder spätestens 1507 entstanden. Das ist nun
freilich für die Gregor-Messe des ~W,£, ein Terminus ante quem, der für die Datierung dieses Stechers, dessen
Tätigkeit wir nach allem gut 30 Jahre früher setzen müssen, völlig wertlos ist.

Der Stich mißt 73X46««/» Einfassung und ist ziemlich scharf beschnitten. Seltsam ist nur, daß, obwohl seine
Breite sich mit jener der Kopie Meckenems deckt, auf der rechten Seite auf dem </.,mm breiten Papierrändchen jenseits

< Nr. 253—256 meines Verzeichnisses. Über die komplizierte Literatur dieser Folge sowie über das einzige unzerschnittene Exemplar des
hier in Betracht kommenden Stiches G. 255 vergleiche Lehrs im Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen XIV. (1893.) S. 81 ff.
 
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