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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.4233#0049
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MITTEILUNGEN

DER

GESELLSCHAFT FÜR VERVIELFÄLTIGENDE KUNST.

BEILAGE DER „GRAPHISCHEN KÜNSTE".

1909. WIEN. Nr. 3.

Studien und Forschungen.

Der Schreibersche Reiberdruck »St. Bernhard« (Nr. 1275) eine Pausezeichnung.

Es gehört zu den verwunderlichen Erscheinungen in der Erforschung wissenschaftlicher Dinge, daß die Wahr-
heit, selbst wenn sie schon mit einem Auge entgegenlächelt, dennoch nicht erkannt wird und ihr Versteckspiel von
einem zum andern weiter treibt.

Weigel und Zestermann publizierten in ihrem großen Werke1 in der Abteilung Metallschnitte unter Nr. 32 einen
angeblichen Druck: St. Bernhards Vision, dessen Reproduktion allein schon allen Grund gegeben hätte, auf die
Wahrheit zu kommen, daß hier kein Druck, sondern eine Zeichnung vorliege. In der Beschreibung heißt es aber nur:
»Die Zeichnung ist gut, die Ausführung im Schnitte aber ziemlich stark, wenn nicht roh.« Die Arbeit wird gegen die
Mitte des XV. Jahrhunderts, und zwar nach Kaisersheim in Bayern verlegt. Passavant (I, 22) folgt willig diesem nun
in die Welt gesetzten Irrtum und wiederholt die Anschauung von einer Gravüre sur metal. Die in den Konturen auf-
tretenden Abweichungen von dem richtigen Gepräge eines Druckes deckt er mit der Annahme: A ete produit ä l'aide
du frotton. Beide dachten also an einen Metallschnitt, eine Auffassung, welche heute kaum jemand noch teilen
würde.

Schon W. L. Schreiber, der das Blatt in seinem Manuel de l'amateur, Band 2, Nr. 1275, als sein Eigentum
beschreibt, geht von dieser Annahme ab und denkt an einen Holzschnitt. Und wiewohl er bereits eine gewisse
Ähnlichkeit mit einer Handzeichnung (ressemblant fort ä un dessin ä la plume) konstatiert, so bleibt er dennoch von
dem Irrtum befangen und verzeichnet es als eine feuille singuliere.

Molsdorf, welcher die Formschnitte des XV. Jahrhunderts aus der Sammlung Schreibers publiziert, nimmt auch
diesen nun schon berühmt gewordenen Reiberdruck auf und gibt außer der Abbildung eine längere Beschreibung, in
der er — ohne an der Echtheit eines Druckes zu zweifeln — die bereits von Schreiber betonte Ähnlichkeit mit einer
Zeichnung noch stärker, und zwar mit folgenden Worten hervorhebt: »Die nicht ungeschickt entworfene Darstellung
macht durch die Art der Linienführung wie durch den blassen Ton der Farbe ganz den Eindruck einer Feder-
zeichnung«. Weitere Konsequenzen werden indessen nicht gezogen.

Mir kam dieser angebliche Reiberdruck erst unter die Augen, als er gelegentlich der Schreiberschen Auktion bei
Gilhofer und Ränschburg am 3. und 4. März d. J. in Wien versteigert werden sollte2. Ohne den bereits von Schreiber
und Molsdorf hervorgehobenen Hinweis auf die Ähnlichkeit mit einer Zeichnung zu kennen, belehrten mich bei
genauer Besichtigung des Blattes einige wirklich verdächtige Stellen, daß hier Zeichenfeder und Tinte im Spiele
seien und nach weiterer Durchprüfung jeder einzelnen Linie mußte ich schließlich konstatieren, daß das ganze nie
ein Druck, sondern nur eine Zeichnung sein könne. An der Hand der Reproduktion, welche die verräterischen
Stellen ebenso gut aufweist wie das Original, möge der Leser sich selbst von den folgenden Feststellungen überzeugen.

1 Die Anfänge der Druckerkunst in Bild und Schrift. Leipzig 1866. Ebendaselbst abgebildet (I. Tafel 32).

a Auktionskatalog der Sammlung Schreiber, Nr. 29. Erworben wurde diese Nummer von einem Pariser Kunsthändler um den Preis von 600 K.
 
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