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sind für den nicht sehr Geübten zunächst nur durch die Papiersorte
(Wasserzeichen fehlt hier!) und vermittels des Tastsinnes als solche zu
erkennen, und es fragt sich, ob man bei der Herstellung in Zukunft nicht
vielleicht gut daran tue, derartige Facsimilia von vornherein zu kom-
promittieren, etwa durch Aufdruck eines Stempels auf der Rückseite, wie
bei den Blättern der Reichsdruckerei. Und noch eins sei bei dieser
Gelegenheit erwähnt: Es ist angesichts solcher Dinge nicht pedantisch
— wie von manchen Sorglosen behauptet wird — in einem Oeuvre-
Katalog jede mechanische Reproduktion eines Blattes namhaft zu machen.
Das trägt zu größerer Vorsicht bei.
Wenn icli jetzt zu dem literarisch-wissenschaftlichen Teil der
Publikation zurückkehre, erübrigt sich hiernach eigentlich die Bemerkung,
daß das Verzeichnis der abgebildeten Werke bei aller Kürze mit der
erforderlichen Genauigkeit gemacht ist. Für jede Nummer wurde der
Aufbewahrungsort des zugrunde liegenden Blattes angegeben und bei
unbeschriebenen Stücken die Maße.
Die Auswahl der Abbildungen ist sehr instruktiv. Die Introduktion
bildet der Ahnherr aller Radierer, Kunz von der Rosen, in seinem Porträt
von der Hand Daniel Hopfers, des ersten Ätzdruckers, und, vorangestellt,
die italienische Kopie danach, die den Forschern die Mittel an die Hand
gab, das Geburtsdatum des radierten Bilddrucks zwischen 1501 und
1507 anzusetzen. Über einige weitere Arbeiten der Hopfer und den dieser
Familie nahestehenden Monogrammisten C B geht es zur ersten datierten
Radierung, von Urs Graf, 1513, und dann zu den sechs Blättern
Dürers. Die Daten hier sind: 1515, 1516 und 1518. Einzig undatiert ist
das Studienblatt (B. 70), das Pauli an den Anfang der Reihe setzt, im
Gegensatz zu S. R. Köhler, der es für Dürers letzte Radierung hielt.
Wenn man sieht, wie Dürers Technik in der großen Kanone von 1518
(für die Abbildung hat das herrliche Berliner Exemplar gedient!) freier,
breiter und lockerer geworden ist als in den Schöpfungen von 1516, in
denen sich noch mehr Stecherisches findet, und wenn man dann in
dem Studienblatt in noch viel stärkerem Maße die Manier des Kupfer-
stechers spürt, dann wird man Pauli hier Recht geben. In Dürers Nach-
folge hat vor allen Dingen Hans Sebald Beham die Radierung
gepflegt. Der Verfasser, der vertrauteste Beham-Freund, bedauert nur bei
ihm, daß er die Radierung schließlich mit seiner virtuosen Kleinmeisterei
etwas gewaltsam behandelt hat. Von dem vielgewandten Jakob Binck
werden einige unbeschriebene Arbeiten publiziert. Das bekannte Blatt
des Satyrweibchens bei der Priapusherme, das Aumüller dem H. S. Beham
zuschrieb, das aber von Seidlitz zuerst für Binck erklärt wurde, ist nicht
wie die übrigen deutschen Ätzungen, auf Eisen, sondern auf Kupfer
radiert. Das erklärt sich vielleicht daraus, daß Binck die Radierkunst in
den Niederlanden kennen lernte, wo ja das Kupfer bevorzugt wurde.
Albrecht Altdorfer, der den eigentlichen Kleinmeistern nicht bei-
gezählt werden kann, wird in einem kleinen Sonderabschnitt behandelt
als der Meister des ausgeprägtesten Radiertemperaments. Daß der Lands-
knecht bei Lanna (Ottley, Notices, 1) die erste Arbeit Altdorfers in dieser
Technik ist, leuchtet angesichts der unsicheren Behandlung, besonders
des Hintergrunds ein. Auf die prachtvollen Landschaften des Regens-
burgers ist nur mit einem Wort verwiesen. Friedlaender hat ihre lückenlose
Reihe ja in der dritten Publikation der Gesellschaft ausführlich besprochen.
Ein wenig seltsam wirkt in der Reihe der deutschen Radierungen
das auf Tafel XVIII abgebildete anonyme und unbeschriebene Blatt
der Münchner Sammlung vom Ritter auf der Tugendleiter. Es hat vor-
wiegend technisches Interesse; im übrigen ist es eine Kopie nach einem
Holzschnitt von Hans Weiditz, einer Illustration aus der anno 1531 bei
Steiner in Augsburg erschienenen Ausgabe von Ciceros »Officia«,
deutsch von I. v. Schwartzenberg (auf Seite 48 v.). Röttinger, der die
Münchner Radierung erwähnte, hielt sie für die Vorlage für Weiditz.
Das Verhältnis ist aber umgekehrt, wie ein Blick auf die Abbildungen
lehrt i. Auf der Radierung agieren die Leute links, der Ritter trägt sein
Schwert rechts, außerdem finden sich Mißverständnisse und Unklar-
heiten : der auf die Leiter gesetzte Fuß des bekleideten Mannes ist nicht
i Der Holzschnitt von Weiditz ist in Originalgröße reproduziert
bei Muther, Bücherillustration der Gotik und der Frührenaissance,
Bd. II, S. 69.
begriffen. Die Art, wie die Überschriften voneinander abweichen, spricht
gleichfalls für die Priorität des Holzschnitts. Für die Ergänzung des
unleserlichen Datums auf der Kopie ist das Jahr 1531 also der Terminus
ante quem non.
Die Technik dieser ersten deutschen Radierungen ist entweder reine
Ätzung oder Ätzung in Verbindung mit Kaltnadelarbeit; die sogenannte
Mischtechnik, eine Kombinierung von Grabstichelarbeit und Radierung,
kommt in Deutschland nicht vor. Dagegen haben die Niederländer diese
Art gern angewandt, vor allem Lukas von Leyden und der Meister
mit dem Krebs. Die Wirkung ihrer Arbeiten ist trockener und kälter als
die ihrer deutschen Vorgänger, sie können den Kupferstich nicht ganz
aufgeben. Jene beiden geistreichen Eisenradierungen in Rundformat, die
früher dem Lukas von Leyden (B. 66 u. 67) zugeschrieben wurden,
streicht Pauli aus dem Oeuvre des Lukas als sklavische Kopien nach
den beiden Stichen der Passionsfolge. Der einzige frühe Niederländer,
dessen Arbeitsweise der Stil der Radierung adäquat war, ist Dirk
Ve 11 ert. Aber wirklich gepflegt hat auch er diese Technik nicht, nur
drei seiner Arbeiten sind rein radiert, zwei zeigen jenes kombinierte Ver-
fahren; und sein ganzes übriges Oeuvre besteht aus reinen Stichen und
nicht, wie man früher glaubte, aus Arbeiten in Mischtechnik. Zuzugeben
ist aber, daß sie in ihrer krausen und zarten Stichelführung der Wirkung
von Radierungen sehr nahe kommen, wohl absichtlich. Auch in Deutsch-
land findet sich etwa gleichzeitig eine Parallelerscheinung: Altdorfers
Stich vom Ritter mit Brot und Kanne (B. 50, Sch. 58) ist ähnlich locker
behandelt, ein Beweis dafür, daß das neue Verlähren einem stilistischen
Bedürfnis entsprach.
Die Kupferstichkunde hat alle Ursache, dem Erscheinen dieses
Werkes dankbar zu sein, da es die Erfüllung eines oft geäußerten
Wunsches bringt: ein Korpus der ersten Radierungen in getreuen Ab-
bildungen und eine kurze, klare und erschöpfende Geschichte der
Inkunabeln dieses Gebiets. E. W.
Erich Klossowski, Honore Daumier. — Kurt
Berteis, Honore Daumier als Lithograph. München,
R. Piper, 1908.
Durch die Entdeckung des großen und guten Künstlers Daumier
hat unser Besitz an Kunstfreude eine der schönsten und intensivsten
Bereicherungen erfahren. Manches von der späteren Entwicklung der
Kunst in Frankreich wird erst aus seiner Persönlichkeit verständlich,
denn an ihr haftet allerkräftigster Erdgeruch; in der Breite und Wucht
seines Oeuvres ist ein gut Teil der Energie und Schaffenskraft eines
ganzes Volkes in ähnlicher Weise aufgespeichert wie in dem vielbän-
digen Werk dieses andern Honore, des »joyeux sanglier« Balzac. Es ist
ein auffallender Parallelismus auf den Gebieten der bildenden und der
Dichtkunst, daß hier und dort der naiv Schaffende, der unerschöpflich
Fruchtbare, der Träger der Volkskraft in einem reflektierend Arbeitenden,
einem unter der Pein der Selbstbeobachtung Produzierenden, einem Ver-
treter der höchsten geistigen Verfeinerung der Nation seine Ergänzung
findet. Balzac verhält sich zu Flaubert wie Daumier zu Delacroix. Qual-
volles Ringen um die feinsten Möglichkeiten der Form, das Bedürfnis
nach Stimulierung durch psychologische Raritäten und exotische Stoffe
auf der einen Seite, auf der andern selbstsicheres Schaffen aus dem
Vollen, aus der unendlichen Fülle des täglichen Lebens, dessen Stoff in
eine Dichtung ausströmt, fruchtbar und unerschöpflich reich wie der
Boden des glücklichen Frankreichs.
Klossowskis Buch ist unter den beiden hier besprochenen die
glücklichere Erfassung der dankbaren Aufgabe. Seine Methode ist nicht
die Richard Muthers, der die Charakterisierung eines Künstlers als die
Destillierung seines Wesens auffaßt, deren Endergebnis ein geistvolles
Schlagwort, eine festgeprägte, bequem kursierende Scheidemünze ist.
Klossowskis Art ist eher die Meyer-Graefes, die man impressionistisch
nennen könnte: von dem unendlich vielgestaltigen Wesen seines Künst-
lers faßt er einige charakteristische Seiten heraus, legt sie dar, stellt sie
zusammen und überläßt es dem Leser, das Bild des Ganzen im Geiste
erstehen zu lassen. Ein geistreich belebtes Ganzes entsteht auf diese Art und
es verschlägt nicht, daß die Aufnahme manches nicht berücksichtigten
Zuges das Bild der Persönlichkeit in etwas verschiedener Art gerundet hätte.
sind für den nicht sehr Geübten zunächst nur durch die Papiersorte
(Wasserzeichen fehlt hier!) und vermittels des Tastsinnes als solche zu
erkennen, und es fragt sich, ob man bei der Herstellung in Zukunft nicht
vielleicht gut daran tue, derartige Facsimilia von vornherein zu kom-
promittieren, etwa durch Aufdruck eines Stempels auf der Rückseite, wie
bei den Blättern der Reichsdruckerei. Und noch eins sei bei dieser
Gelegenheit erwähnt: Es ist angesichts solcher Dinge nicht pedantisch
— wie von manchen Sorglosen behauptet wird — in einem Oeuvre-
Katalog jede mechanische Reproduktion eines Blattes namhaft zu machen.
Das trägt zu größerer Vorsicht bei.
Wenn icli jetzt zu dem literarisch-wissenschaftlichen Teil der
Publikation zurückkehre, erübrigt sich hiernach eigentlich die Bemerkung,
daß das Verzeichnis der abgebildeten Werke bei aller Kürze mit der
erforderlichen Genauigkeit gemacht ist. Für jede Nummer wurde der
Aufbewahrungsort des zugrunde liegenden Blattes angegeben und bei
unbeschriebenen Stücken die Maße.
Die Auswahl der Abbildungen ist sehr instruktiv. Die Introduktion
bildet der Ahnherr aller Radierer, Kunz von der Rosen, in seinem Porträt
von der Hand Daniel Hopfers, des ersten Ätzdruckers, und, vorangestellt,
die italienische Kopie danach, die den Forschern die Mittel an die Hand
gab, das Geburtsdatum des radierten Bilddrucks zwischen 1501 und
1507 anzusetzen. Über einige weitere Arbeiten der Hopfer und den dieser
Familie nahestehenden Monogrammisten C B geht es zur ersten datierten
Radierung, von Urs Graf, 1513, und dann zu den sechs Blättern
Dürers. Die Daten hier sind: 1515, 1516 und 1518. Einzig undatiert ist
das Studienblatt (B. 70), das Pauli an den Anfang der Reihe setzt, im
Gegensatz zu S. R. Köhler, der es für Dürers letzte Radierung hielt.
Wenn man sieht, wie Dürers Technik in der großen Kanone von 1518
(für die Abbildung hat das herrliche Berliner Exemplar gedient!) freier,
breiter und lockerer geworden ist als in den Schöpfungen von 1516, in
denen sich noch mehr Stecherisches findet, und wenn man dann in
dem Studienblatt in noch viel stärkerem Maße die Manier des Kupfer-
stechers spürt, dann wird man Pauli hier Recht geben. In Dürers Nach-
folge hat vor allen Dingen Hans Sebald Beham die Radierung
gepflegt. Der Verfasser, der vertrauteste Beham-Freund, bedauert nur bei
ihm, daß er die Radierung schließlich mit seiner virtuosen Kleinmeisterei
etwas gewaltsam behandelt hat. Von dem vielgewandten Jakob Binck
werden einige unbeschriebene Arbeiten publiziert. Das bekannte Blatt
des Satyrweibchens bei der Priapusherme, das Aumüller dem H. S. Beham
zuschrieb, das aber von Seidlitz zuerst für Binck erklärt wurde, ist nicht
wie die übrigen deutschen Ätzungen, auf Eisen, sondern auf Kupfer
radiert. Das erklärt sich vielleicht daraus, daß Binck die Radierkunst in
den Niederlanden kennen lernte, wo ja das Kupfer bevorzugt wurde.
Albrecht Altdorfer, der den eigentlichen Kleinmeistern nicht bei-
gezählt werden kann, wird in einem kleinen Sonderabschnitt behandelt
als der Meister des ausgeprägtesten Radiertemperaments. Daß der Lands-
knecht bei Lanna (Ottley, Notices, 1) die erste Arbeit Altdorfers in dieser
Technik ist, leuchtet angesichts der unsicheren Behandlung, besonders
des Hintergrunds ein. Auf die prachtvollen Landschaften des Regens-
burgers ist nur mit einem Wort verwiesen. Friedlaender hat ihre lückenlose
Reihe ja in der dritten Publikation der Gesellschaft ausführlich besprochen.
Ein wenig seltsam wirkt in der Reihe der deutschen Radierungen
das auf Tafel XVIII abgebildete anonyme und unbeschriebene Blatt
der Münchner Sammlung vom Ritter auf der Tugendleiter. Es hat vor-
wiegend technisches Interesse; im übrigen ist es eine Kopie nach einem
Holzschnitt von Hans Weiditz, einer Illustration aus der anno 1531 bei
Steiner in Augsburg erschienenen Ausgabe von Ciceros »Officia«,
deutsch von I. v. Schwartzenberg (auf Seite 48 v.). Röttinger, der die
Münchner Radierung erwähnte, hielt sie für die Vorlage für Weiditz.
Das Verhältnis ist aber umgekehrt, wie ein Blick auf die Abbildungen
lehrt i. Auf der Radierung agieren die Leute links, der Ritter trägt sein
Schwert rechts, außerdem finden sich Mißverständnisse und Unklar-
heiten : der auf die Leiter gesetzte Fuß des bekleideten Mannes ist nicht
i Der Holzschnitt von Weiditz ist in Originalgröße reproduziert
bei Muther, Bücherillustration der Gotik und der Frührenaissance,
Bd. II, S. 69.
begriffen. Die Art, wie die Überschriften voneinander abweichen, spricht
gleichfalls für die Priorität des Holzschnitts. Für die Ergänzung des
unleserlichen Datums auf der Kopie ist das Jahr 1531 also der Terminus
ante quem non.
Die Technik dieser ersten deutschen Radierungen ist entweder reine
Ätzung oder Ätzung in Verbindung mit Kaltnadelarbeit; die sogenannte
Mischtechnik, eine Kombinierung von Grabstichelarbeit und Radierung,
kommt in Deutschland nicht vor. Dagegen haben die Niederländer diese
Art gern angewandt, vor allem Lukas von Leyden und der Meister
mit dem Krebs. Die Wirkung ihrer Arbeiten ist trockener und kälter als
die ihrer deutschen Vorgänger, sie können den Kupferstich nicht ganz
aufgeben. Jene beiden geistreichen Eisenradierungen in Rundformat, die
früher dem Lukas von Leyden (B. 66 u. 67) zugeschrieben wurden,
streicht Pauli aus dem Oeuvre des Lukas als sklavische Kopien nach
den beiden Stichen der Passionsfolge. Der einzige frühe Niederländer,
dessen Arbeitsweise der Stil der Radierung adäquat war, ist Dirk
Ve 11 ert. Aber wirklich gepflegt hat auch er diese Technik nicht, nur
drei seiner Arbeiten sind rein radiert, zwei zeigen jenes kombinierte Ver-
fahren; und sein ganzes übriges Oeuvre besteht aus reinen Stichen und
nicht, wie man früher glaubte, aus Arbeiten in Mischtechnik. Zuzugeben
ist aber, daß sie in ihrer krausen und zarten Stichelführung der Wirkung
von Radierungen sehr nahe kommen, wohl absichtlich. Auch in Deutsch-
land findet sich etwa gleichzeitig eine Parallelerscheinung: Altdorfers
Stich vom Ritter mit Brot und Kanne (B. 50, Sch. 58) ist ähnlich locker
behandelt, ein Beweis dafür, daß das neue Verlähren einem stilistischen
Bedürfnis entsprach.
Die Kupferstichkunde hat alle Ursache, dem Erscheinen dieses
Werkes dankbar zu sein, da es die Erfüllung eines oft geäußerten
Wunsches bringt: ein Korpus der ersten Radierungen in getreuen Ab-
bildungen und eine kurze, klare und erschöpfende Geschichte der
Inkunabeln dieses Gebiets. E. W.
Erich Klossowski, Honore Daumier. — Kurt
Berteis, Honore Daumier als Lithograph. München,
R. Piper, 1908.
Durch die Entdeckung des großen und guten Künstlers Daumier
hat unser Besitz an Kunstfreude eine der schönsten und intensivsten
Bereicherungen erfahren. Manches von der späteren Entwicklung der
Kunst in Frankreich wird erst aus seiner Persönlichkeit verständlich,
denn an ihr haftet allerkräftigster Erdgeruch; in der Breite und Wucht
seines Oeuvres ist ein gut Teil der Energie und Schaffenskraft eines
ganzes Volkes in ähnlicher Weise aufgespeichert wie in dem vielbän-
digen Werk dieses andern Honore, des »joyeux sanglier« Balzac. Es ist
ein auffallender Parallelismus auf den Gebieten der bildenden und der
Dichtkunst, daß hier und dort der naiv Schaffende, der unerschöpflich
Fruchtbare, der Träger der Volkskraft in einem reflektierend Arbeitenden,
einem unter der Pein der Selbstbeobachtung Produzierenden, einem Ver-
treter der höchsten geistigen Verfeinerung der Nation seine Ergänzung
findet. Balzac verhält sich zu Flaubert wie Daumier zu Delacroix. Qual-
volles Ringen um die feinsten Möglichkeiten der Form, das Bedürfnis
nach Stimulierung durch psychologische Raritäten und exotische Stoffe
auf der einen Seite, auf der andern selbstsicheres Schaffen aus dem
Vollen, aus der unendlichen Fülle des täglichen Lebens, dessen Stoff in
eine Dichtung ausströmt, fruchtbar und unerschöpflich reich wie der
Boden des glücklichen Frankreichs.
Klossowskis Buch ist unter den beiden hier besprochenen die
glücklichere Erfassung der dankbaren Aufgabe. Seine Methode ist nicht
die Richard Muthers, der die Charakterisierung eines Künstlers als die
Destillierung seines Wesens auffaßt, deren Endergebnis ein geistvolles
Schlagwort, eine festgeprägte, bequem kursierende Scheidemünze ist.
Klossowskis Art ist eher die Meyer-Graefes, die man impressionistisch
nennen könnte: von dem unendlich vielgestaltigen Wesen seines Künst-
lers faßt er einige charakteristische Seiten heraus, legt sie dar, stellt sie
zusammen und überläßt es dem Leser, das Bild des Ganzen im Geiste
erstehen zu lassen. Ein geistreich belebtes Ganzes entsteht auf diese Art und
es verschlägt nicht, daß die Aufnahme manches nicht berücksichtigten
Zuges das Bild der Persönlichkeit in etwas verschiedener Art gerundet hätte.