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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.8342#0016
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Abb. 3. Julius Schnorr von Carolsfeld, Blätterstudie.

wir zugeben, daß vielbewegtes Schicksal und ein eigenartig widerspruchsvoller Charakter Schlegels Antlitz in ganz
andrer Weise durchfurcht haben mögen wie das Gesicht des jungen Malers, so springt doch der Unterschied mächtig
ins Auge: dort charakterisierendes Bildnis, hier formale Naturstudie. Veit, in dem die malerischen Instinkte um vieles
lebendiger erscheinen, Fortsetzer einer älteren Richtung, in der Graff und Tischbein Marksteine gewesen waren;
Schnorr bemüht, im ehrfurchtsvollen Nachbilden der Einzelform sich zur erstrebten altmeisterlichen Gewissenhaftigkeit
zu fördern.

In noch höherem Grade tritt dieses Bemühen bei der im nächsten Jahre in Berchtesgaden entstandenen Porträt-
studie zutage. Den Sommer 1817, den letzten vor seiner Romfahrt, verbrachte Schnorr mit seinen Freunden in Salzburg
und Berchtesgaden; dort entstand das Wesentliche seines Bildes »Wallfahrt« oder »Rochus« (jetzt im Museum in
Leipzig), in dem Schnorr das Bildnis seiner nachmaligen Frau, Marie Heller, und das Friedrich Oliviers angebracht hat
Die Studie zu letzterem (Abb. 2) zeigt die ganze Delikatesse des Konturs, deren Schnorr fähig war, und seine
Meisterschaft im Zeichnen.

Im direkten Wetteifer mit den Freunden erscheint Schnorr in einer Folge von Studien nach dürren Blättern, die von
Dezember 1816 bis Februar 1817 von den beiden Oliviers und ihm gezeichnet wurden (Abb. 3). Jenes liebevolle Eingehen
auf das Detail der Natur, »auf die kleinsten Teilchen ihrer Erscheinung« — weshalb Cornelius Gurlitt diese Künstler
einmal als Atomisten bezeichnet —, hat sie in den dürren Blättern eine Welt unendlicher Mannigfaltigkeit und ver-
wirrenden Formenreichtums erkennen gelehrt. Als Richter bei Zingg in Dresden lernte, gab es zwei Schablonen für
den Baumschlag: die »gezackete Eichenmanier« und die »gerundete Lindenmanier«1; als Reaktion gegen diese
verzopfte Lehre ist die Heftigkeit zu erklären, mit der man sich aufs umgekehrte Extrem warf und sich ins Einzelne
verlor, aber der Weg, den man einschlug, war durchaus kein neuer. Gerade wenn man das Spezialfach der Pflanzen-
darstellung, die Blumenmalerei in ihrem früheren Entwicklungsgang überschaut, wird man einer fortdauernden
allmählichen Umwandlung der Farbenfreude in Formensinn gewahr. Diese Entwicklung, der in den Niederlanden
der Weg von Rachel Ruysch (1664—1750) zu Jan van Huysum (1682—1749) älteres Vorbild ist, wird bei uns etwa
durch den Unterschied zwischen Joseph von Pichler (1730—1808) und Johann Bapt. Drechsler (1756—1811) markiert.
Der älteren, eine farbige Gesamtwirkung anstrebenden Blumenmalerei gegenüber erscheint Drechsler als ein Nach-
ahmer strenger Einzelformen, dessen Werke sachliche Formstudien sind. Von seinem Zeitgenossen Konstantin
Gerstenberger gibt es (bei Herrn Dr. Heller in Salzburg) eine reiche Folge aquarellierter Blätter, Einzelstudien nach
verschiedenen Pflanzen, die der Schnorrschen Auffassung sehr nahe kommen.

Damit langen wir vorläufig in einem Detail bei einer Hauptfrage der allgemeinen Kunstentwicklung an.
Das Barock, trotz vieler mehr oder minder ergebnisreicher Einzeluntersuchungen, von allen Kunstgebieten noch am
meisten Terra incognita, ist ebensowenig eine einheitliche Stilphase wie etwa die Antike; seine spätere Zeit zeigt sehr
deutlich ein Wiederzuwenden zur Einzelform, womit seine Auflösung als monumentaler Stil Hand in Hand geht.
Hier in der Neuinangriffnahme der Formprobleme liegt das einigende Band von Spätbarock, Klassizismus,
Frühromantik; das Studium der Antike ist ein Mittel zum Zweck, ein einzelner Ausdruck ureigenen, vielfältigen Wollens.
Und die Kunstgeschichte hat die Kunst dieser Zeit mißbeurteilt, weil sie über dem sehnsüchtigen Ruf »Romam quaero«
der allgemeinen Kultur alle andern Stimmen überhört und ihre Auffassung ausschließlich nach dem Verhältnis zur
Antike orientiert hat.

' Richter, Lebenserinnerungen a. a. O. I, 41.
 
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