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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.4207#0019
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— 15 —

Carl Schwalbach. 10 Original steinzeichnun-
gen, erschienen im Delphin-Verlag. München 1913.

Vor einigen Jahren sah ich eine Sezessionsausstellung in München,
in der mir Karl Schwalhach der stärkste Eindruck war; die tiefe, satte Glut
der Farben in seinen Bildern schien einen Maler von reinstem malerischen
Empfinden zu verheißen. Dieser Erinnerung widersprach der Anblick
der zehn Steinzeichnungen, die die neue Mappe des Delphin-Verlages
enthält, zunächst. Denn auf den ersten Blick wirken diese Blätter mit der
herben Wucht von Bildhauerzeichnungen; der Kontur wird scharf emp-
funden und löst die mächtige Plastizität der Figuren von der Umgebung
los. Schwalbach schien so einen Reichtum wegzuwerfen, um in asketischer
Selbstzucht einen bildnerischen Werdegang neu zu beginnen; diemensch-
liche Größe, die in solchem Verzichtenkönnen liegt, konnte über die
künstlerische Verarmung nicht täuschen, die diese Zeichnungen zur
Schau stellen. Nicht nur ich habe bei ihrem ersten Anblick diese treulich
einbekannte Empfindung gehabt, manch anderer hat, wie ich weiß, die-
sen Schöpfungen nicht sogleich auf den Grund gesehen, die erst ernster
Vertiefung, dem einzigen, was wir Publikum dem Kunstwerk als Gegen-
leistung entgegenbringen können, ihre eigenartige und bedeutende
Größe entschleiern.

Die sicher und stark gezogenen Umrißlinien, die zuerst so
schneidend wirkten, isolieren die Figuren gar nicht; sie reißen diese
nicht plastisch aus dem Kaum, sondern fügen sie zu einer Fläche. Um
dieses Ziel zu erreichen, um das sich unsere ganze moderne Malerei
bemüht, braucht Schwalbach seine Figuren nicht zu dicht geschlossenen
Massen zusammenzuballen; er scheut nicht die Zerrissenheit des Konturs,
nicht die Löchrigkeit der Gruppen. Im Gegenteil, er lockert diese gern
auf, duldet Lücken zwischen den Körpern und läßt die Gliedmaßen mit
deutlicher Vorliebe Ausschnitte einrahmen; aber all das zerreißt ihm die
Kompositionen nicht, weil er diese Durchblicke in ornamentale Bezie-
hungen zu setzen versteht, d. h. seine Linien grenzen nicht nur Körper ab,
sondern teilen auch eine Fläche ein. Was zwischen den Figuren liegt, ist
für den Gesamteindruck so wichtig wie diese, die es zu einer innerlichen
Geschlossenheit verbindet. Es gibt nicht viele Künstler, die eine Gruppe
aufzubauen verstehen wie Schwalbach; ob sich die Körper verschiedenfach
überschneiden oder ob irgendein Glied weit ins Leere hinausragt, immer
sind alle Figuren unlösbar ineinander verknotet und auf eine Ebene
projiziert. In dem Blatte, das Grablegung benannt ist, erhebt sich diese
Fälligkeit zur höchsten Meisterschaft. Überhaupt mag diesem Blatt unter
allen der Folge die Krone gebühren; die langen, wie von lebendigen Ver-
knotungen unterbrochenen Linien verlaufen hiermit einer kalligraphischen
Schönheit, mit einem starken und ergreifend rhythmischen Schwung, daß
die Suche nach einem Vergleichsobjekt zu Höchstleistungen ornamentaler
Linienkunst wie merowingischen Miniaturen oder chinesischen Pinsel-
zeichnungen führt.

Aus diesem starken und geschlossenen Insichverankertsein, das
die formale Betrachtung als Schwalbachs eigentümlichste Stärke ergibt,
geht auch der geistige Gehalt dieser Blätter hervor; muß wohl hervor-
gehen, denn Gehalt und Form, Hälften der unteilbaren Einheit des
Kunstwerks, drücken stets den gleichen Geist in zwiefacher Sprache aus.
Auch geistig führen diese Figuren eine Existenz für sich. Man mag an
Hodler denken, dessen unleugbare Einwirkung auf Schwalbach bei ober-
flächlicher Betrachtung leicht überschätzt werden könnte, um der Be-
deutung dieser Eigenschaft ganz inne zu werden. Hodlers Bilder wenden
sich stark und unmittelbar an den Beschauer; dessen Lebensgetühl
wird durch den »Auserwählten« mächtig gesteigert, wird in »Frühlings
Erwachen« zu intensivstem Mitschwingen gezwungen. Dieser tyrannische
Anspruch Hodlerscher Figuren an den Beschauer — zweifellos abermals
eine andere Ausdrucksweise für bestimmte formale Qualitäten — ist bei
Schwalbach nicht vorhanden; ein Blatt wie »Kindheit«, dessen Kompo-
sition den »Auserwählten« leicht in Erinnerung rufen kann, lebt doch
von einem völlig anderen Sentiment. Jede Komposition ruht in sich,
bildet geistig eine Welt für sich und ist deshalb ebenso mit lyrischer
Stimmung — einer heroischen Lyrik, der alles Weichliche fehlt — gesättigt,
wie Hodlers Schöpfungen mit der Spannkraft des Einfühlungszwangs
geladen sind.

Schwalbaeh mit Hodler vergleichen, heißt nicht nur zwei grund-
verschiedene künstlerische Temperamente aneinander messen, sondern
auch einem sicheren Besitz eine starke Hoffnung gegenüberstellen.

Hans Tietze.

Kandinsky, Klänge. Mit 40 Holzschnitten des Ver-
fassers in Schwarzweiß und einer großen Anzahl farbiger

Holzschnitte. München, R. Piper & Co., 1913.

Wer die Entwicklung der modernen Lyrik kennt und mit den gleich-
zeitigen Wandlungen der Malerei vergleicht, dem kann die tiefinnerliche
Verwandtschaft zwischen den beiden nicht entgehen. Hier wie dort
ein Ringen, aus dem zum äußersten zugeschliffenen Subjektivismus
zu objektiver Allgemeingültigkeit und aus der fein ziselierten Form-
vollendung, die sich zum Selbstzweck aufzuschwingen erkühnte, wieder
zu neuen starken Empfindungsgehalten zu gelangen; hier wie dort das
gleiche Streben, diese Läuterung durch eine unerschrockene Verein-
fachung des Formalen, gewissermaßen durch eine Beschränkung aut
Urelemente von unverbrauchter Gewalt zu erzielen; und beiderseits das
gleiche Ergebnis, daß sich kindliche Xaivität und barbarische Derbheit
zu einem stammelnden Ausdruck verbinden und eine künstlerische
Sprache neu geschaffen wird, deren rauher Klang die entwöhnten Hörer
erschreckt. Ein solches doppeltes Zutagetreten eines Zeitwollens in ver-
schiedenen Gebieten geistigen Lebens zu erkennen oder sogar auf-
zuspüren, ist uns von unseren Betrachtungen alter Kunst her ein
geläufiges Mittel geschichtlicher Erkenntnis; diese Einheit auch im
rascheren Strömen lebendiger Gegenwartskunst zwingend stark zu
finden, muß uns noch wichtiger sein. Denn diese Beobachtung macht
offensichtlich, daß es über den Widerstreit der sozial geschichteten
Kunstrichtungen jedes gegebenen Augenblicks hinaus etwas Aller-
lebendigstes gibt, ein Führendes und Tragendes, an dessen erkennbarem
Entwicklungswert jede zeitgenössische Leistung gemessen werden kann.

Doppelt ertragreich verspricht eine solche Untersuchung zu sein,
wenn Dichtung und bildende Kunst eine Personalunion eingehen und
eine einzige Geistigkeit in Wort und Bild zum Ausdruck kommt wie in
diesen »Klängen« des russischen Malerpoeten und Kunsttheoretikers
Kandinsky. In diesen Gedichten in Prosa werden mit ungleichem Können
lyrische Stimmungen angeschlagen, die aber immer in inneren Erleb-
nissen des Dichters eingeschlossen bleiben; sie übertragen sich nur gelegent-
lich, wie durch zufälliges Zusammentreffen von Bedingungen, auf den Leser.
Von den malenden Wörtern fällt manches taub und leer zur Erde, denn es
mangelt die Konzentrierung, die den Wärtern ihre erste unabgenützte
Schlagkraft zurückgibt und sie allgemein menschliche Empfindungen zu
tragen befähigt. Solche Lyrik ist uns nicht neu, denn sie ist jener
wesensverwandt, die aus nordischen und französischen Anregungen am
Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts auch in deutschen Landen auf-
geblüht war; was sie von der jungen Lyrik von heute unterscheidet, ist
leicht zu erkennen: ihr gesteigerter und gehegter Subjektivismus, ihr
rationaler Einschlag, der selbst bei einem Meister wie Mallarme untilgbar
ist, ihre dekorativen Tendenzen, die in ein Spielen mit bloß schmücken-
den Wörtern und bis in das Raffinement wohlabgewogener Satzbilder,
etwas wie die Bildgedichte anderer erschlaffter Zeiten, ausarteten. Dieses
Altmodische, fast Gespenstische dieser Lyrik mag sich bei einem Bahn-
brecher wie Kandinsky so erklären, daß er sich zu einer Ausdrucksweise
genötigt hat, die seiner Veranlagung nicht entspricht und daß dieser
ungewöhnlich scharfdenkende Kopf, der hier eine Theorie durch eine
erfundene Praxis zu stützen sich bemüht, nichts anderes als eine kalt er-
sonnene Schreibtischlyrik, ein totgeborenes Produkt hervorbringen konnte.

Ganz anders als in dieser abgeblühten Lyrik scheint sich Kan-
dinsky in seinem bildnerischen Schaffen zu geben; hier gilt der Anführer
der blauen Reiter für einen reißenden Revolutionär, hat er doch das
Reich der absoluten Malerei proklamiert, die — ohne intellektuelle
Assoziationen und ohne dekoratives Nebengeschäft — rein und unmittel-
bar dem Gefühlsausdruck dienen soll. Diese von Kandinsky mit viel
Klarheit und Folgerichtigkeit verfochtene Lehre, deren Zusammenhang
mit den andern ästhetischen Ausdruckstheorien unserer Zeit leicht
erkannt wird, fordert von der Malerei eine Wirkung, die am besten der
der Musik zu vergleichen ist; Linien und Farben sollen so ineinander-
klingen, daß im Beschauer eine gewollte Empfindung ausgelöst wird.
 
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