Fassungen sehen wir im Hintergrunde Judas nochmals dargestellt, und zwar nach Ausführung der Tat an einem Baum
erhängt — neben ihm liegt der Geldbeutel mit den 30 Silberlingen; die Zeichnung hält den Moment fest, da Judas den
Geldbeutel abnimmt, um ihn den Hohenpriestern und den Ältesten zurückzugeben (Matthäus Kap. 27, V. 3—5). Hier
sehen wir also eigentlich die Vorbereitung zum Selbstmord, dort die Reue des Verräters, so daß die Annahme naheliegt,
daß Bloemaerts Zeichnung nur der erste Entwurf zu diesem Thema ist, eine zweite aber, dem Stich ähnlichere Zeichnung,
die mir nicht bekannt ist, Swanenburgh vorgelegen ist. Denn Swanenburgh dürfte kaum so wichtige, den Gesamteindruck
verschiebende Veränderungen eigenmächtig vorgenommen haben, zumal wir von ihm nur äußerst wenige freie Kom-
positionen besitzen. Die überwiegende Mehrzahl seiner Stiche geht auf Entwürfe Bloemaerts, Mathams, Saenredams
und anderer zurück. Möglicherweise finden sich noch die Entwürfe Bloemaerts zu den übrigen Blättern der Folge, die
uns darüber Aufschluß geben könnten, ob Swanenburgh tatsächlich so frei nach seinem Vorbild gestochen hat, wie es
in diesem Falle zwar nicht wahrscheinlich, aber doch nicht ausgeschlossen ist. Die Zeichnung (Bleistift, mit Sepia
laviert und weiß gehöht, sogenannte Clair-obscur-Manier) muß im Jahre 1611 oder unmittelbar vorher entstanden sein
— der Stich trägt diese Jahreszahl — und ist vielleicht signiert gewesen, da sich noch am unteren Rande links Teile
einer alten Signatur zeigen, die aber größtenteils durch die spätere Umrahmung des Blattes verdeckt ist.
Heinrich Schwarz.
Eine Zeichnung von Cornelis de Vos.
Die stilkritische Sichtung der flämischen Handzeichnungen des
XVII. Jahrhunderts liegt noch sehr im argen. Immerhin haben wir
von der Zeichenkunst eines Rubens, eines Van Dyck, eines Jordaens
eine gewisse Vorstellung, die freilich noch keineswegs rein ist. Denn
unter den Namen der beiden Erstgenannten liegen in den meisten
europäischen Sammlungen noch immer viele Kopien und Nach-
zeichnungen von Schülern, dazu aber auch manche Arbeiten von
selbständigen und oft nicht unbedeutenden flämischen Künstlern,
deren Art zu zeichnen uns überhaupt noch gar nicht klar geworden
ist. Man steht also ebenso wie bei der Bestimmung der Bilder, für
die die nötige stilkritische Arbeit auch nur zu einem kleinen Teile
geleistet worden ist, bei dem Studium der Handzeichnungen vor zwei
Aufgaben: einerseits das Werk der genannten großen Maler von
falschen Zuschreibungen zu reinigen, andrerseits die Blätter der
geringeren Meister untereinander zu scheiden und nach ihren wirk-
lichen Urhebern zu ordnen. Die erste Aufgabe wird durch große
Veröffentlichungen besorgt werden müssen, die sämtliche Hand-
zeichnungen der großen Meister umfassen sollen, wie es zum
Beispiel für Rubens — gemeinsam mit Franz Martin Haberditzl —
von dem Schreiber dieser Zeilen seit Jahren geplant wird, eine
Absicht, deren zeitraubende Durchführung durch die schwierigen
Verhältnisse, die der Weltkrieg leider geschaffen hat, sehr wesentlich
verzögert worden ist. An die zweite Aufgabe wird man vorläufig
noch langsamer und behutsamer herantreten müssen und erst
allmählich wird es gelingen, sich einen bestimmten Begriff von dem
Zeichenstil der einzelnen geringeren flämischen Künstler zu bilden.
Nur einen kleinen Beitrag zu dieser zweiten Aufgabe soll im
folgenden zu bieten versucht werden; obwohl er an sich nicht mehr als eine sehr geringe Förderung des erwünschten
Endzieles ergeben kann, so mag seine Veröffentlichung doch durch die Schwierigkeit des Gegenstandes und den Mangel
an Vorarbeiten gerechtfertigt werden, da es immerhin schon ein leiser Fortschritt wäre, wenn durch einige richtige
Bestimmungen einzelne Ausgangspunkte für weitere Untersuchungen dieser Art geschaffer würden.
Als eine Kompositionsskizze Van Dycks aus seiner genuesischen Zeit gilt allgemein eine getuschte Federzeichnung
im Museum zu Lille (Abb. I)1. Es ist ein Entwurf zu dem Bildnis einer jüngeren Dame mit zwei Kindern: Sie selbst
steht, in voller Ansicht dem Beschauer zugewendet, in dunklem Gewände mit Mühlsteinkragen, neben einem Tische, auf
Abb. 1. Cornelis de Vos, Kompositionsskizze.
Getuschte Federzeichnung im Museum zu Lille.
1 Die Abbildung nach E. Schaeffer, Van Dyck, Stuttgart und Leipzig 1909, S. XXIV.
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erhängt — neben ihm liegt der Geldbeutel mit den 30 Silberlingen; die Zeichnung hält den Moment fest, da Judas den
Geldbeutel abnimmt, um ihn den Hohenpriestern und den Ältesten zurückzugeben (Matthäus Kap. 27, V. 3—5). Hier
sehen wir also eigentlich die Vorbereitung zum Selbstmord, dort die Reue des Verräters, so daß die Annahme naheliegt,
daß Bloemaerts Zeichnung nur der erste Entwurf zu diesem Thema ist, eine zweite aber, dem Stich ähnlichere Zeichnung,
die mir nicht bekannt ist, Swanenburgh vorgelegen ist. Denn Swanenburgh dürfte kaum so wichtige, den Gesamteindruck
verschiebende Veränderungen eigenmächtig vorgenommen haben, zumal wir von ihm nur äußerst wenige freie Kom-
positionen besitzen. Die überwiegende Mehrzahl seiner Stiche geht auf Entwürfe Bloemaerts, Mathams, Saenredams
und anderer zurück. Möglicherweise finden sich noch die Entwürfe Bloemaerts zu den übrigen Blättern der Folge, die
uns darüber Aufschluß geben könnten, ob Swanenburgh tatsächlich so frei nach seinem Vorbild gestochen hat, wie es
in diesem Falle zwar nicht wahrscheinlich, aber doch nicht ausgeschlossen ist. Die Zeichnung (Bleistift, mit Sepia
laviert und weiß gehöht, sogenannte Clair-obscur-Manier) muß im Jahre 1611 oder unmittelbar vorher entstanden sein
— der Stich trägt diese Jahreszahl — und ist vielleicht signiert gewesen, da sich noch am unteren Rande links Teile
einer alten Signatur zeigen, die aber größtenteils durch die spätere Umrahmung des Blattes verdeckt ist.
Heinrich Schwarz.
Eine Zeichnung von Cornelis de Vos.
Die stilkritische Sichtung der flämischen Handzeichnungen des
XVII. Jahrhunderts liegt noch sehr im argen. Immerhin haben wir
von der Zeichenkunst eines Rubens, eines Van Dyck, eines Jordaens
eine gewisse Vorstellung, die freilich noch keineswegs rein ist. Denn
unter den Namen der beiden Erstgenannten liegen in den meisten
europäischen Sammlungen noch immer viele Kopien und Nach-
zeichnungen von Schülern, dazu aber auch manche Arbeiten von
selbständigen und oft nicht unbedeutenden flämischen Künstlern,
deren Art zu zeichnen uns überhaupt noch gar nicht klar geworden
ist. Man steht also ebenso wie bei der Bestimmung der Bilder, für
die die nötige stilkritische Arbeit auch nur zu einem kleinen Teile
geleistet worden ist, bei dem Studium der Handzeichnungen vor zwei
Aufgaben: einerseits das Werk der genannten großen Maler von
falschen Zuschreibungen zu reinigen, andrerseits die Blätter der
geringeren Meister untereinander zu scheiden und nach ihren wirk-
lichen Urhebern zu ordnen. Die erste Aufgabe wird durch große
Veröffentlichungen besorgt werden müssen, die sämtliche Hand-
zeichnungen der großen Meister umfassen sollen, wie es zum
Beispiel für Rubens — gemeinsam mit Franz Martin Haberditzl —
von dem Schreiber dieser Zeilen seit Jahren geplant wird, eine
Absicht, deren zeitraubende Durchführung durch die schwierigen
Verhältnisse, die der Weltkrieg leider geschaffen hat, sehr wesentlich
verzögert worden ist. An die zweite Aufgabe wird man vorläufig
noch langsamer und behutsamer herantreten müssen und erst
allmählich wird es gelingen, sich einen bestimmten Begriff von dem
Zeichenstil der einzelnen geringeren flämischen Künstler zu bilden.
Nur einen kleinen Beitrag zu dieser zweiten Aufgabe soll im
folgenden zu bieten versucht werden; obwohl er an sich nicht mehr als eine sehr geringe Förderung des erwünschten
Endzieles ergeben kann, so mag seine Veröffentlichung doch durch die Schwierigkeit des Gegenstandes und den Mangel
an Vorarbeiten gerechtfertigt werden, da es immerhin schon ein leiser Fortschritt wäre, wenn durch einige richtige
Bestimmungen einzelne Ausgangspunkte für weitere Untersuchungen dieser Art geschaffer würden.
Als eine Kompositionsskizze Van Dycks aus seiner genuesischen Zeit gilt allgemein eine getuschte Federzeichnung
im Museum zu Lille (Abb. I)1. Es ist ein Entwurf zu dem Bildnis einer jüngeren Dame mit zwei Kindern: Sie selbst
steht, in voller Ansicht dem Beschauer zugewendet, in dunklem Gewände mit Mühlsteinkragen, neben einem Tische, auf
Abb. 1. Cornelis de Vos, Kompositionsskizze.
Getuschte Federzeichnung im Museum zu Lille.
1 Die Abbildung nach E. Schaeffer, Van Dyck, Stuttgart und Leipzig 1909, S. XXIV.
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