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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.4139#0016
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Werkstatt vervielfältigt ist. Welche Übereinstimmungen aber Hagen
zwischen der Zeichnung der Albeitina und Mantegnas Johannes dem
Täufer auf der Glorifikation bei Trivulzio oder seinem auferstehenden
Christus in den Uffizien sieht, ist mir gänzlich schleierhaft. Auch die
Ähnlichkeit, die in der Bewegung und mehr noch in der Empfindung
zwischen den Dresdner Studienblättern zu einer Verklärung und Botticellis
demütig anbetenden Magiern in den Uffizien besteht, läßt sich durch die
Verwandtschaft der religiösen Überschwänglichkeit und des gotischen
Formempfindens beider Künstler hinlänglich erklären. Wenn man sich
mit so oberflächlichen Ähnlichkeiten begnügt, so bin ich überzeugt, daß
man noch sehr viele andere finden oder bei den Haaren herbeiziehen'
kann. Da es höchst unwahrscheinlich ist, daß ein so eigenwilliger und
schöpferischer Meister wie Grünewald eine Figur genau erkennbar nach-
bildet, beweisen diese Anklänge, die man glauben kann oder nicht,
solange nicht Zwischenglieder vorliegen, gar nichts. Man begreift auch
nicht ganz die Folgerichtigkeit, wenn der Verfasser die eine Hypothese
als Beweis, die andere als Vermutung bezeichnet. Auf Masaccios Fresko
in Santa Maria Novella sind in der Tat die Beine des Gekreuzigten ganz
ähnlich auseinandergespreizt wie bei dem Basler Crucifixus, während
zwischen der Isenheimer Kreuzigung und Castagnos Lunettenfresko aus
St. Maria degli Angeli gar keine Übereinstimmung besteht. Man greift
sich einfach an den Kopf, wenn man folgenden Satz liest: »Es ist
bezeichnend, daß der ,Bogen', der bei Castagno die ganze Gruppe
und das eine kolossale Kreuz zusammenhält, auch auf der Isenheimer
Kreuzigung trotz ihres rechteckigen Formates wiederkehrt; aber es ist
nicht die zeichnerische Linie, die ihn schlägt, sondern die innere Kohärenz
des Farbwertes: das gelbe Weiß, das von Maria ausgeht, oben in der
Inschrifttafel am Kreuz wiederkehrt und drüben in dem Buch des Täufers
ausklingt.= Es hieße die Intelligenz des Lesers beleidigen, wollte man
diesen Satz ausdrücklich widerlegen, da Herr Hagen gewiß keinen
einzigen Menschen rfennen kann, der diesen von der inneren Kohärenz
der Farbwerte geschlagenen Bogen mit leiblichem Auge gesehen hat.
Was dem Verfasser gänzlich mißlungen ist, neue Beziehungen
zwischen derKunstGrünewalds und Italien aufzudecken, glückte kürzlich
Hans Curjel,1 der auf schlagende, allerdings nur rein ikonographische
Übereinstimmungen der Darstellungen der Versuchungen Antonn auf
dem Isenheimer Altar und auf einem Bildchen des Mantegna-Nachfolgers
Parentino hinwies, ohne daraus die Konsequenz einer Italienreise des
deutschen Meisters ziehen zu wollen. Denn schließlich, welches sind die
zwingenden inneren Gründe, die uns die Wahrscheinlichkeit dieser Reise
darlegen? War Grünewald südlich der Alpen und hat aus dem Wunder-
lande nichts mitgebracht als die Erinnerung an einzelne Stellungs- und
Kompositionsmotive? Denn alles in seinen Werken: das Zurücktreten
des Körpers hinter das Gewand, der malerische-kolonstische Aufbau
der Komposition, die stellenweise Auflösung der klaren Form und
vor allem das absolute Dominieren der Ausdrucksweite, denen
zuliebe sowohl jede naturalistische Richtigkeit wie jede kanonartige
Schönheit vernachlässigt wird, ist germanisch-gotisch, was Glaser2 in
mustergültiger Weise herausgearbeitet hat, und stehtin striktem Gegensatz
zu allen Begriffen der Renaissance und des Italianismus. Wie unwahr-
scheinlich stellt sich zum Beispiel die rein äußerliche Entwicklung der
Architekturdarstellung bei Grünewald dar, wenn wir seine frühe italienische
Reise annehmen. Auf dem Hauptwerk des Meisters, das zugleich die
Periode seinei Frühwerke abschließt, dem Isenheimer Altar, ist jede
Architekturform. Spätgotik von reinstem Wasser und niigends zeigt sich
die leiseste Reminiszenz an italienische, an Renaissancemotive. Ungefähr
ein Jahrzehnt spater begegnen wir auf dem Flügel des Maria Schnee-Altais
und der Tauberbischofsheimer Kreuztragung gemalten Architekturen mit
italianisiereiiden Formen, die ganz offenbar nicht direkt italienischen
Bauten nachgebildet, sondern vielmehr im Stile jener Phantasiebauten
gehalten sind, die wir vom zweiten Jahrzehnt des XVI. Jahrhunderts
an auf so vielen Augsburger, Nürnberger oder Regensburger Gemälden
und graphischen Blättern begegnen. Wie höchst auffallend, daß die
italienische Renaissancearchitektur in Werken des ersten Jahrzehnts

i Kunstchronik, N. F. XXXI (1919/20), S. 153 ff.

« Zwei Jahrhunderte deutscher Malerei, München 1916.

nach Grünewalds Heimkehr so gar keinen Widerhall, weder im
Aufbau, noch im Innenraum, noch im ornamentalen Detail gefunden hat,
daß aber zwanzig Jahre nach der Reise, zur Zeit, als der Künstler ein
völlig reifer, völlig freier und selbständigerMeister ist, Gemälde entstehen,
die in allen anderen Elementen nicht die leiseste Ahnung einer Beein-
flussung von außen aufkommen lassen, die aber in der Bildung — nicht
in der kompositionellen Verwertung — der Architekturformen sich an
gleichzeitige nordisch-italianisierende Bildschöpfungen anschließen, daß
also die unmittelbare Betrachtung in dem jungen Künstler keinen nach-
wirkendenEindruck zurückläßt, während den reifen dasAbbildaus zweiter
Hand zur Nachbildung anspornt! Ebensowenig wie ein überzeugender
äußerer ist also ein zwingender innererGrund vorhanden, eine italienische
Reise Grünewalds anzunehmen. Ist er wirklich in seiner Jugend über die
Alpen gegangen, so ist er unberührter noch von der italienischen Kunst
geblieben als ein halbes Jahrhundert später Peter Bruegel. Die neue
Hypothese Hagens klärt die Rätsel der künstlerischen Abstammung
Grunewalds m keiner Weise auf, sie macht sie nur verwirrter, ja sie wäre
eine ausführliche Widerlegung nicht wert, wenn der Verfasser sich nicht
ausdrücklich auf die »Zustimmung der maßgebenden Autoritäten« beriefe.

Außer der italienischen Malerei des Quattrocento decktHagen noch
zwei andere »Bildungsmächte € der Grünewaldschen Kunst auf. Die eine
wäre eine Beeinflussung durch die Glasmalerei, eine Idee, die sich schwer
beweisen läßt, die sich aber infolge der eigenartigen Transparenz und
Leuchtkraft Grünewaldscher Farben wohl aufdrängen mag. Es ist
bezeichnend für die trotz aller eingebildeten Erkenntnis der »innersten
Wesensart« durchaus an der Oberfläche klebende Betrachtungsart des
Verfassers, daß er die Bestätigung dieser Vermutung wieder im Ikono-
graphischen sucht. Allerdings mit kläglichstem Mißerfolg, denn der Basler
Crucifixus hat außer der starken Neigung des Hauptes auf die Schulter,
einem allgemeinen und erst von Grünewald zum höchsten Ausdrucks-
wert erhobenen Motiv der Spätgotik, so gut wie gar nichts mit dem
Rothenburger Glasfenster gemeinsam. Schließlich nimmt Hagen eine Reise
desAschaffenburger Meisters nach den Niederlanden zwischen den Jahren
1504 und 1505 oder zwischen 1505 und 1509 an. Es ist nicht ganz
erklärlich, warum er diese Hypothese nicht auch durch »Beweise« stützt,
denn obwohl ich an sie nicht glaube, da die Grünewaldsche Farbe weder
in der Technik noch in der Wirkung mit der altniederländischen verwandt
ist, ließe sich manche Verwandtschaft mit Hieronymus Bosch in den
Spukgestalten der Versuchung, in den kleinen Engelfigürchen, die wir
in der tiefen Dämmerung der Kapelle und bei der Verkündigung an
die Hirten eiblicken, und in den Fratzen der Kreuzschleppung, mit
Quinten Massys in dem lieblichen Lächeln der Madunnen, das weder bei
dem Flamen noch bei dem Franken auf einen direkten Einfluß Lionardos
zurückzuführen ist, und in der Wollust der Schmelzdarstellung, noch mit
Hugo van der Goes in der psychologischen Vertiefung, die an das Patho-
logische grenzt, aufdecken. Voi allem aber nimmt es wunder, daß sich
dem Verfasser diesmal keine Vorbilder für Bewegungs- und Kompositions-
motive aufgedrängt haben und er hätte, wollte er für konsequent gelten,
darnach suchen müssen, denn solch überzeugende Übereinstimmungen.
wie sie der Verfasser zwischen der Grünewaldschen Kunst einerseits und
der Quattrocentomalerei und der deutschen Glasmalerei andrerseits auf
gedeckt hat, müßten auch die altniederländische Kunst mit dem Werke des
Meisters von Aschaffenburg verbinden.

Wenn wir den Namen Grunewald hören, denken wir in erster
Linie immer an den Isenheimer Altar, unsere wesentliche Vorstellung der
Grünewaldschen Kunst stammt von diesem Riesenwerk, das selbstver-
ständliche rweise den Mittelpunkt jeder Monographie über den Kunstler
bilden wird und muß. Hagen hat es sich freilich etwas zu einfach gemacht,
er bespricht eine Tafel des Altars nach der anderen und reiht nach jeder
die übrigen Werke des Meisters, die denselben oder einen verwandten
Gegenstand darstellen, ein. Er zieht also die ikonographische Anordnung
kunsthistorischer Werke und Kataloge des XVIII. Jahrhunderts der
heute allgemein üblichen chronologischen vor und beraubt sich dadurch
selbst der Möglichkeit, die Entwicklungslinien klar herauszuheben und
die großartige Einheit des Hauptwerkes in seiner ganzen Geschlossenheit
vorzuführen. Diese Oberflächlichkeit rächt sich, denn die einzelnen
Tafeln des Isenheimci Altars sind keine für sich bestehenden Einzelbilder,

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