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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.4139#0017
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sondern Teile eines Ganzen, von denen einer stets auf den anderen Bezug
nimmt, so daß sie nur gemeinsam richtig gewürdigt werden können. Was
vor allem unbedingt zusammengehört und kompositioneil wie koloristisch
erst gemeinsam eine Einheit bildet, ist Kreuzigung und Grablegung. Ich
kann daher dem Verfasser nicht rechtgeben, wenn er mit Schmid die
ßeweinung für die allerletzte Arbeit inlsenheim hält, da mir auch die Land-
schaft trotz ihrer fabelhaften Kühnheit in ihrer Schwere und Tiefe der
Landschaft auf der Kreuzigung viel näher zu stehen scheint als den hellen
Freilichtlandschaften des Besuchs- und Sebastianbildes. Ebenso bilden
die vier Tafeln des einmal geöffneten Altars eine unzerreißbare Einheit
und korrespondieren miteinander auf das engste. Die letzten beiden Tage,
die der Altar vor seinem Abtransport in das nunmehr französische
Colmar in der Münchner Pinakothek zu sehen war, ließ Generaldirektor
Dömhöffer die Tafeln in der richtigen Anordnung aneinanderreihen, eine
Aufstellung, die nicht nur den Genuß ungeheuer erhöhte, sondern auch
über manches Rätsel Aufschluß gab. Vor allem wurde die mündlich schon
vorher von Walter Graeff vertretene Ansicht, daß die gemalte Predella
der Grablegung gewiß niemals gleichzeitig, wie es auf der auch von
Hagen übernommenen Schmidschen Rekonstruktion zu sehen ist, mit den
Marienbildern gezeigt wurde, da sie farbig ganz anders orientiert ist und
die Harmonie der vier Tafeln empfindlich stört, vollauf bestätigt.
Es ergab sieh aber auch die merkwürdige Tatsache, daß die schmalen fest-
stehenden Flügel mit ihren Heiligenfiguren durchaus nicht in demselben
Maße mitdei Kreuzigung zu einer Einheit verschmelzen wie dieBeweinung
in der Predella oder wie es bei den vier Tafeln der Fall ist, die bei einfach
geöffnetem Flügelpaare zu sehen sind, ein Umstand, der sich nicht nur
dadurch erklären läßt, daß die Kreuzigung offenbar das frühest, die
stehenden Heiligen aber mutmaßlich die zuletzt vollendeten Werke sind,
da ja nach der allgemeinen Annahme der Meister nur knapp zwei Jahre
an dem Riesenaltar gemalt hat. Die wundervolIeLandschaft, die wir durch
das Fenster hinter dem Kopf des Sebastian erblicken, schlägt in die
Gesamtansicht ein störendes Loch, weder das leuchtende helle Karmin im
Mantel desAntonius noch das ein\venigstumpfere,aber immer noch strah-
lende Zinnober im Umhang des Sebastian geben mit den verschiedenerlei
Rot der Kreuzigung und Grablegung einen reinen Klang und auch kompo-
sitioneil bringt nur der statuarische riesenhafte Antonius als Eckpfeiler
die Bewegung zum Stillstand und verstärkt den Akzent, der auf der
Maria-Johannes-Gruppe liegt, während der viel kleinere Sebastian durch
die Parallelität seiner Armbewegung mit der Geste des Täufers eher eine
Abschwächung des für sich allein so überwältigenden Motives des hin-
weisenden Armes erzielt. Die Lösung dieses Rätsels liegt vielleicht in der
Schmidschen Beobachtung, daß der Sebastian und also wohl auch der
Antonius ursprünglich als Grisaillefiguren geplant waren. Die vollkommen
geschlossene Farbkomposition von Mittelbild und Staffel sollte nicht auf
die Flügel übergreifen, diese sollten nur zwei ruhige statuarische Figuren
enthalten, die, wie Christus ins Überlebengroße wachsend, die Vertikale
des Kreuzes in der Mitte noch einmal an den Enden aufzunehmen bestimmt
waren. Im Laufe der fortschreitenden Arbeit aber wurde nicht nur die
farbige Durchführung auch dieser festen Flügel beschlossen, es wurde
auch der Sebastian umgestaltet, möglicherweise weil Grünewald jetzt erst
— und auch dies spricht gegen einen mantuanischen Aufenthalt um das
Jahr 1500 — und also wohl zur selben Zeit, als er mit der ikono-
graphisehen Gestaltung von Parentinos Antonius-Bild bekannt wurde,
das Erlebnis der Mantegnaschen Kunst vielleichtvordenReitzmannschen
Kopien in sich aufgenommen hatte. Für diese Umgestaltung zeugt auch
die ganz genaue Vorzeichnung des Obeikörpers und der Arme des
Sebastian, die einzige detaillierte Körperstudie, die wir von dem Künstler
besitzen und die, wie die Antonius-Skizzen auf der Rückseite nahelegen,
eist während der vorgeschrittenen Arbeit am Altar entstanden ist. Da das
Postament offenbar schon gegeben war, brachte diese Änderung in der
Bewegung eine nötige Verkleinerung der Figur mit sich, die ihrerseits den
Künstler wieder bewog, die nun größer werdende Fläche der Rückwand
zu durchbrechen und mit einem Ausblick auf die Landschaft zu beleben.
Wir müssen uns aber nach dieser Abschweifung leider noch
weiter mit Hagenschen Hypothesen befassen. Da lesen wir auf Seite 156:
»Der abgeklärte, grundgescheite Gelehrtenkopf des Antonius ist, nach
Aussage des unter ihm am Stein angebrachten Wappens, ein Porträt des

Ordenspräzeptors Guido Guersi. Damit bietet sich die Gelegenheit, die
Stellungnahme des Malers auch zu dem der Renaissance besonders
lieben Thema, zum Bildnis kennen zu lernen«. Nun ist das Wappen nicht
wie das des Kardinals Albrecht von Brandenburg am Kleide des Erasmus
des Haller Dombildes, sondern daneben angebracht, beweist also nach
der allgemeinen Übung der ganzen abendländischen Malerei nur, daß
das Gemälde und damit der Altar von Guido Guersi gestiftet worden ist
und niemals, daß die dem Wappen zunächst sitzende Figur als ein
Porträt des Wappeninhabers aufzufassen ist. Im ganzen Kopfe des
bärtigen Greises sehen wir nichts von einer bildnisartigen Individua-
lisierung der Züge, sondern wir lesen in ihnen dieselbe Steigerung ins
Übermenschliche, außerhalb des täglichen Lebens Liegende, die allen
Gestalten des Isenheimer Altars innewohnt. Grünewald war eben kein
Bildnismaler, da er ein Gotiker und kein Renaissancekünstler war, und
auch als er dem heiligen Erasmus die Züge seines Kardinals verlieh,
hat er sie nicht im Sinne eines Porträts wiedergegeben, sie sind nicht
individueller und nicht allgemeiner als alle übrigen Köpfe des Bildes,
nicht der dem Brandenburger eigene Ausdruck tritt uns entgegen,
sondern die durch das Thema bedingte Expression völliger Aufmerksam-
keit. Es ist darum auch gleichgültig, ob der Kopf des heiligen Sebastian
uns die Züge des Meisters widerspiegelt, denn auch in ihm tritt die Indi-
vidualität des allfälligen Vorbildes vollkommen hinter den sieghaft den
körperlichen Schmerz überwindenden Märtyrer zurück. Nein, Grunewald
war kein Porträtist und wenn der Verfasser dem Porträt ein halbes
Kapitel widmet, beweist dies wieder, wie weit er von einer Erkenntnis
der »innersten Wesensart der Kunstwerke« trotz aller volltönenden und
geistreichen Worte, (vor dem Erasmus-Bild möchte er von »monumentaler
Kammermusik« sprechen) entfernt ist.

Das letzte Kapitel das Hagenschen Buches beschäftigt sich mit
den Handzeichnungen. Es beginnt wieder mit einem Vergleich Dürerscher
und Grünewaldscher Zeichenart. Hier, wo es sich mehr um die Technik",
um die Führung der Linie, um das absolut Persönliche der Form-
auffassung handelt, passieren dem Verfasser nicht mehr ähnliche Ent-
gleisungen wie in vorhergehenden Kapiteln, als er die Verschiedenheit
in der Gestaltung eines Bildthemas bei beiden Meistern klarlegen wollte
und von Dürers Auferstehungsholzschnitt der großen Passion folgendes
behauptete: »Der Zwang einer welschen Schulgebärde ist stärker als
die seelisch-körperliche Fähigkeit, aus eigenstem Erleben Neues zu
gestalten«. In jüngster Zeit hat Friedländer* den Unterschied Grüne-
waldscher und Dürerscher Zeichenart in knappster Form mit meister-
hafter Scharfe herausgearbeitet, aber es wäre ungerecht, diesen Maßstab
an das vorliegende Buch anzulegen. Hagen hat mit seinen Vergleichen
wenig Glück und so scheint mir auch der Satz recht anfechtbar, der den
Meister des Wolfegger Hausbuches zum Vorgänger der Irrationalität in
der Zeichnungsweise Grünewalds stempelt. Bei der Gruppierung des
Materials macht sich wiederum die Vorliebe des Verfassers für den Bau
kühner Hypothesen geltend. Er sucht wo irgend möglich jedes Blatt in
Verbindung mit einem erhaltenen oder verlorenen, aber quellenschriftlich
überlieferten Werke des Meisters zu "billigen, ohne zu bedenken, daß
gewiß viele nicht urkundlich bekannte Werke des Meisters verloren-
gegangen sind und daß er auch wie jeder deutsche Künstler Bildideen
skizziert haben muß, die dann nicht ausgeführt worden sind. Aus
diesem Beweggrund bringt Hagen Zeichnungen in einen nahen Konnex,
die gewiß nicht zusammengehören und offenbar in verschiedene Stil-
perioden einzureihen sind.

Während die Vermutung, daß das Berliner Blatt mit dem knien-
den Engel oder König auf der Vorder- und der Madonna auf der Rück-
seite zum Aschaffenburger Maria Schnee-Altar gehöre, durch die Ver-
wandtschaft des Stils dieser Zeichnungen mit dem der erhaltenen Tafeln
in den Bereich der Möglichkeit gerückt ist (es ist freilich ebensogut mög-
lich, daß Schmid Recht behält, der die Studien auf den im Reitzmannschen
Testament von 1514 erwähnten Uskemschen Altar bezieht), ist die
Hinzuziehung des anbetenden stehenden Heiligen der Albertina, in dem
Hagen den Nährvater Josef erkennen will, absolut abzuweisen. Dieser
gehört einer früheren Schaffensperiode an. Von der malerischen Weichheit

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l Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen, 39, S. 203.

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