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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.4139#0032
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Häuser und Gärten, am jensei-
tigen Ufer des Sees aber ein Stadt-
teil, durch eine Mauer abge-
schlossen, und darüber hoch
ansteigende Berge. Das dritte ist
ein ebenso großes Blatt im Breit-
format, hier erblickt man offene
Hallen an einem kleinen Kanal,
der mit einer Baumreihe gesäumt
ist, Frauen und Kinder in mannig-
facher Beschäftigung und im
Hintergrund wieder den See mit
Häusern unter Bäumen am dies-
seitigen, mit fernen Bergen am
jenseitigen Ufer. Auf den ersten
beiden Blättern ist der Horizont
noch hochliegend, der Blick wie
von oben in Mauern und Höfe
tauchend gewählt und die Flucht-
linien der Dinge laufen schräg
nach den Regeln der alten ost-
asiatischen Parallelperspektive in
die Ferne. Das dritte Blatt ist
streng nach den Gesetzen der
europäischen Zentralperspektive
konstruiert, Licht und Schatten
selbst nach einem klaren, wenn
auch harten Schema angelegt,bei
der Baumreihe am Kanal fühlt
man sich an holländische Bilder
erinnert.

Die übrigen Blätter sind
von einem kleineren, annähernd
quadratischen Breitformat. Das
vierte zeigt das Innere eines
Bibliothekzimmers: zwei Frauen
sehen einer dritten zu, die auf
einem Teppich einen Schwerter-
tanz aufführt. An der Wand hängt
neben einer Inschrift ein großes Hängebild: ein europäisches Renaissancearchitekturstück in strenger, kahler Perspek-
tive wie aus dem Serlio abgezeichnet, darauf die Künstlersignatur des Ting Yün(?)-t'ai! Ahnlich, wenn auch nicht so
verblüffend auf die Quelle dieser Manier hinweisend die nächsten Bilder: Zimmer, Veranden und Pavillons, die auf
den See hinausgehen, mit weitem Ausblick, von Frauen oder Mädchen und Kindern belebt, die bald mit Flötenspiel,
bald mit Büchern oder Spielen die Zeit hinbringen. Und überall dieselbe europäische Zeichnungsweise mit klarer sachlicher
Anordnung, mit strenger Perspektive, mit systematischer Ausbreitung der Schattenpartien, ihrem Gegenstand selbst
gegenüber so merkwürdig fremd und fühllos, als hätte ein mathematisierender Jesuitenmissionar und nicht ein Chinese
diese Blätter gezeichnet. Man hat festgestellt, daß der Hofmaler K'ang-hsis, der das alte Keng-chi-t'u, das Lehrbuch vom
Ackerbau und der Seidenzucht, in neu gezeichneten Steinschnitten herausgab, in seinen Landschaften von europäischer
Raumanschauung und Perspektive sich berührt zeigt, die vermutlich die Jesuitenpatres am Hofe vermittelten. Hier finden
wir in Su-chou einen Chinesen, der unendlich viel weitergehend in seiner gesamten Anschauung und in seinem Stil zum
Europäer geworden ist, ein Glied derselben Familie Ting, die jene entzückenden, den reinsten Geist des Chinesentums
atmenden Farbenblätter der Blumen und Früchte und der Jahreszeiten geschaffen hat. Leider läßt sich noch nicht feststellen,
wann diese europäisierenden Grisaillen entstanden sind — es kann im XVIII. Jahrhundert, kann auch schon früher unter
K'ang-hsi gewesen sein — ebensowenig, bei wem dieser Chinese seine Wissenschaft gelernt hat, noch ob und wie seine
perspektivische Kunst, der ja in seinen Holzschnitten eine weite Verbreitung offenstand, in China weiter gewirkt hat.
Der chinesische Maler und Kenner wird zweifellos diese so reizlosen Dinge zunächst unbedingt abgelehnt haben, aber

Farbenholzschnitt von Ting Chen-hsien aus Su-chou: Winter.

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