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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.4140#0056
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innig sind sie wechselweise miteinander durch Freundschaft verbunden,
so sehr inspiriert die Stilart des einen sich an der Kunst des anderen. Nur
die Vorläufer im Norden Deutschlands Caspar David Friedrich und
Philipp Otto Runge stehen für sich, die eigentlichen Hauptvertreter der
Richtung aber von den Brüdern der Overbeckschen Klosterbrüderschaft
von San Isidoro über Cornelius und Genelli bis zu Rethel, Schwind und
Richter bilden einen großen und engen Komplex von Künstlertcmperamen-
ten, der historisch nur gemeinsam betrachtet werden kann. Es ergibt
sich das merkwürdige Phänomen, daß eine gemeinsame Geistesrichtung die
Kunstart einer ganz ansehnlichen Schar von Künstlern, die zwei Genera-
tionen angehören, fast durch ein Jahrhundert hindurch so stark bestimmt
und in eine bestimmte Richtung hinlenkt, wie es niemals eine mittelalter-
liche Lokalschule bei Menschen eines Stammes und einer Schulrichtung
vermocht hat.

Das erste Kapitel des Buches, das »der romantische Künstler« über-
schrieben ist, sucht die Art dieser Geistesrichtung zu ergründen und ge-
hört zweifelsohne zu dem Besten, was bisher überhaupt über das Problem
gesagt worden ist. Es ist vor allem die Heraushebung des Gemeinsamen,
das den antik-heidnisch-orientierten romantischen Künstler mit dem
Gotiker und dem präraffaelitischen Nazarener verbindet und das aus den
Dichtern wie aus den Malern herausklingt, was diese gedanklich tiefe und
doch in klarem, anschaulich-konkretem Deutsch geschriebene Einleitung
so lesenswert macht. Nur einen Unterschied zwischen dem deutschen
romantischen Dichter und dem deutschen romantischen Maler hätten wir
vielleicht noch gerne hervorgehoben gesehen. Während die Überfülle der
Gesichte den schreibenden Künstler oft zur Formlosigkeit, Unklarheit und
Übersichtslosigkeit verleitet, strebt der malende stets nach Einfachheit der
Form und Klarheit der Komposition. Die Ursache für diesen scheinbaren
Widerspruch zwischen Malerei und Dichtung, die doch aus denselben
Urquellen schöpfen, dürfte darin liegen, daß die Romantik zwar aus dem
Klassizismus hervorwächst, daß aber die romantische Dichtung sich in
starkem, bewußtem und oft eigenwilligem Gegensatz zui Eormenklarheit
Goethes setzt i» Romantik ist die Reaktion des Maßlosen auf die Zucht
des Gesetzlichen« sagt Christo ffel), während die klassische Malerei kein
Talent hervorgebracht hatte, das auch nur entfernt die Bahnen in der-
jenigen Weise aufgerissen und vorgebaut hätte, wie es Goethe für die
Dichtung getan hat, ja keines, dem die führenden romantischen Maler
nicht an künstlerischer Potenz überlegen gewesen waren, so daß zu ge-
waltsamer Reaktion keine Ursache vorlag und die romantische Kunst,
wenigstens was die formalen Probleme betrifft, in ruhiger Fortentwicklung
aus der klassizistischen herauswachsen konnte.

Das nächste Kapitel des Christoffeischen Buches über die Zeich-
nung will hingegen einen anderen scheinbaren Gegensatz zwischen
romantischer Dichtung und romantischer Malerei in Deutschland erklären,
den zwischen der Farbigkeit der romantischen Dichtung und der aufs
zeichnerische gerichteten Unsinnlichkeit romantischer Malerei. Wenn
Christoffel dabei übersieht, daß wir von einzelnen Romantikern, von
Julius Schnorr, von Führich, von Ludwig Richter, aus der Frühzeit der
Künstler Bilder besitzen, die auch an Lebendigkeit derFarbe durchwegs auf
der Höhe der romantischen Dichtung stehen, so besteht der Satz »die ro-
mantische Bildkunst kennt als einziges technisches Ausdrucksmittel die
Zeichnung« doch insofern zu Recht, als die Weiterentwicklung dieser auch
koloristisch (wenngleich mehr im Sinne Dürers und der altdeutschen Malerei
als in dem Delacroix') begabten Naturen beweist, daß die Künstler selbst nur
auf Zeichnung, auf Erfindung und Komposition Wert legten, die Farbe aber
vernachlässigten und diese Seite ihrer Begabung verkümmern ließen. Es
erscheint also die Stellung des Themas durchwegs richtig, die Geschichte
der deutschen romantischen Zeichnung offenbart uns in Wahrheit das
Wesen der Geschichte der deutschen romantischen Malerei. In einigen
wohlgewählten Beispielen werden dann treffliche Analysen des Wesens
deutscher romantischer Zeichnungskunst gegeben. Nur eine Beschränkung,
die Christoffel sich freiwillig auferlegt, scheint mir nicht lobenswert. Ob-
wohl er das Monumentale als eine der wichtigsten Stilerscheinungen der
deutschen romantischen Malerei erkennt, zieht er hauptsächlich neben

einigen Zeichnungen und Studien die großen graphischen Folgen, die für
die Romantik so bezeichnend sind, und die Buchillustrationen heran, be-
handelt gelegentlich auch Gemälde, streift aber die großen Kartone und
Wandmalereien nur ab und zu, ohne ein einziges dieser Werke genauer zu
würdigen und zu analysieren, obwohl gerade diese Werke der monumen-
talen Kunst so überaus wichtig sind für die ganze Stilrichtung und das
Wesen der romantischen Zeichnung mindest ebenso klar wicderspiegeln
wie die graphischen Folgen. Christoffel gibt uns also nicht die Geschichte
der romantischen Zeichnung im weiteren Sinne des Wortes, sondern
hauptsächlich eine Darstellung der romantischen Illustration, wobei es
im Wesen belanglos ist, ob der Maler die Worte einer Dichtung oder die
Schöpfung seiner eigenen Phantasie seinen Gestaltungen zugrunde legt.

Nicht ganz so überzeugend wie die gedankliche Durchdringung
des Stoffes ist die künstlerische Ableitung im einzelnen. Gewiß, Philipp
Otto Runge ist der erste rein romantische Künstler in Deutschland, seine
im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts entstandenen Jahreszeiten nehmen
vieles vom Wesentlichen der späteren Entwicklung vorweg. Aber wie der
geniale deutsche Landschafter Caspar David Friedrich, den Christoffel nicht
behandelt, ist er nur der Vorläufer der eigentlichen Romantik. Unabhängig
von Runge entwickelt sich die Kunst der ersten großen Künstler der Stil-
richtung, eines Olivier und Overbeck, eines Cornelius und Julius Schnorr.
Christoffel erkannte zwar, daß die romantische Malerei sich durch« egs
aus der Kunst des Klassizismus ableitete, aber er legt das Schwergewicht
seiner Darstellung zu sehr auf Deutschland und hebt zu wenig heraus,
daß die ersten eigentlichen Kapitel sich in Rom abspielen. Joseph Anton
Koch, den Christoffel einen Klassizistcn nennt, ist in vieler Hinsicht der
Vater der Romantik. Nur in Äußerlichkeiten, nur in der Komposition, in
der Art mit Versatzstücken zu komponieren und Staffagefiguren zu sehen
und zu zeichnen, ist Koch Klassizist. Das Wesen seiner Kunst leitet durch-
wegs zur Romantik über, nicht nur in der Stoffwahl, ist er doch einer der
ersten, der wieder Dante illustriert, sondern auch im Naturempfinden, das
er nur in konventionellere Formen kleidet als Olivier, Schnorr oder Richter
und in den poetischen Stimmungsmotiven, die er seinen Bildern zugrunde
iegt. Nur ein Unterschied in der Generation, in der Schulung und den
Mitteln, und vor allem im Temperament, keiner im Wesen der Auffassung
trennt sein Gemälde mit Boas und Ruth im Innsbrucker Ferdinandeum
von der Führichschen Illustration. Gewiß stehen sich hier Schärfe und
Weichheit, Betonung der Landschaft und Heraushebung der Figuren ge-
genüber, aber derselbe lyrische Grundton, dasselbe Empfinden für die
Einheit von Mensch und Natur wird in beiden Werken empfunden. Man
braucht nur ein Werk von Füger daneben zu halten, um zu erkennen, daß
bei allem Formalismus Koch viel innigere Fäden sogar noch mit den letzten
Ausklängen der romantischen Kunstübung als mit der gleichzeitigen
klassizistischen Kunst verbinden. t)

Neben der Erfassung des Gedanklichen liegt die Hauptstärke des
Buches in den Analysen der einzelnen Blätter, die mit klarer Schärfe das
Wesentliche herausziehen. Diesbezüglich ist namentlich der zweite Teil
des Buches, der den volkstümlichen Holzschnitt behandelt, zu rühmen.
Er gehört durchwegs der zweiten, jüngeren Generation der Kunstler. im
wesentlichen den Jahren 1840—1875 an. Diese Wendung zum Volks-
tümlichen, diese Verbürgerlichung einer ursprünglich rein künstlerischen,
auf Größe und Monumentalität gerichteten Stilrichtung erklärt es, daß die
deutsche Romantik sich in der Malerei um ein ganzes Dritteljahrhundert
länger halten konnte als in der gleichzeitigen Dichtung und eine wunder-
volle, allerdings mehr nach innen gerichtete als nach außen weiterwirkende
Nachblute erfahren konnte.

Besonders hervorzuheben ist schließlich die sehr hübsche und
würdige Ausstattung, die der Verlag dem Buche zuteil werden ließ und an
der auch der Verfasser durch die ausgezeichnete Auswahl der trefflich
reproduzierten Abbildungen sein großes Verdienst hat.

Ludwig Baldass.

i Diese Verwandtschaft zwischen Koch und Führich wird noch
klarer, wenn wir beider Macbeth und die Hexen behandelnden Gemälde
in Innsbruck und in Kremsmünster vergleichen.

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