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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3633#0006
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er sich für befugt, dessen inhaltliche Erläuterung zu einer allgemeinen stoffgeschichtlichen Studie zu erweitern, die
angesichts der Verbreitung des Themas vielleicht auch ohne die Bindung an ihren unmittelbaren Anlaß auf einige
Beachtung rechnen darf.

Der in diesen »Mitteilungen« (Abb. 1) zum ersten Male abgebildete Einblattdruck befindet sich gegenwärtig in der
»dänischen Sammlung« des Kopenhagener Nationalmuseums1, unter der Obhut jener Abteilung, die das spätmittel-
alterliche Kunstleben des Landes im Dienste der Kirche zur Anschauung bringt. Zwischen (gedruckten) Ablaßbriefen
und allerlei Einzelseiten aus liturgischen Handschriften, die im Rahmen eines so groß angelegten Zeitbildes eben nur
die nötigsten Hinweise auf das gesamte Gebiet des Schrift- und Buchwesens geben wollen,2 hat er hier — hoch oben
an der Seitenwand einer Fensternische — seinen immerhin bescheidenen Platz zugewiesen erhalten. Innerhalb der
ebenso wertvollen wie weitverzweigten kunst- und kulturgeschichtlichen Sammlungen, die alle Räume des »Prinsens
Palais« überfüllen, konnte daher der vereinzelte Bilddruck leicht unbeachtet bleiben; man wird ihn denn auch weder
in Schreibers »Manuel« noch anderwärts erwähnt oder beschrieben finden, zumal seine Bewahrungsstätte, an sich ein
wenig entlegen, trotz oder wegen ihres musealen Charakters der engeren Interessensphäre gerade der zunächst
beteiligten Forschung vollends entrückt erscheint. Um so reicher belohnt sich nunmehr der späte Versuch, das bedeu-
tende Blatt, das wohl als Unikum zu gelten hat, in deren Sehfeld einzustellen; denn die einmal erweckte Aufmerksamkeit
erfährt mit der fortschreitenden Erkenntnis seiner Eigenart alsbald von den verschiedensten Blickpunkten her stets
erneute Belebung.

I. ÄUSSERE ERSCHEINUNG UND BESTIMMUNGSZWECK DES BLATTES.

Gleich das sinnfälligste Merkmal, die ungewöhnliche Größe, mag dem Beschauer anzeigen, wie dieser Holzschnitt
über die ansehnlichste Mehrzahl der gleichzeitigen Formschnitte im buchstäblichen Sinne des Wortes weit hinaus-
gewachsen ist: Einer Höhe von 756 mm entsprechen 415 mm obere, 410 min untere Breite.3 Da das Längenmaß die
im XV. Jahrhundert gangbaren Papierformate um vieles hinter sich läßt,4 ergab sich die Notwendigkeit, den Druck
streifenweise vorzunehmen. Man hat ihn daher der Quere nach auf drei gleich große Blätter verteilt, die leider derart
ungeschickt aneinandergepaßt sind, daß die organische Einheit der Darstellung nicht unwesentlich beeinträchtigt wird.
So hat insbesondere der unterste Abschnitt des Bildfeldes außer der sorglosen Überklebung eines schmalen Grenzrandes
eine leichte seitliche Verschiebung erlitten, infolge deren nunmehr die gesamte in ihrem natürlichen Verlaufe gehemmte
Linienführung wie mit einem Male geknickt erscheint. Zwischen dem obersten und mittleren Bildstreifen treten neuer-
lich Unstimmigkeiten der Zeichnung zutage, die aber diesmal durch die unrichtige Vereinigung der fertigen Druckteile
allein noch keine hinreichende Erklärung finden. Die Art, wie hier die Zacken des Halskragens unregelmäßig auf-
einanderstoßen, berechtigt vielmehr zu dem weitergehenden Schlüsse, die Fehlerquelle bereits in die Bearbeitung des
Holzstockes zu verlegen; dieser selbst dürfte demnach von vornherein aus drei Einzelblöcken zusammengesetzt gewesen

1 Für die in liebenswürdigster Weise erteilte Erlaubnis zu dieser Veröffentlichung wie für die Förderung der photographischen Aufnahme, die
in der Werkstatt der Kopenhagener königlichen Bibliothek vorgenommen werden konnte, bin ich Herrn Direktor Dr. M. Mackeprang zu außer-
ordentlichem Danke verpflichtet. Gleichzeitig habe ich Herrn Inspektor Dr. Jörgen Olrik für die Erleichterung der Autopsie und die freundlichst
gewahrte Einsicht in das Museumsinventar meinen verbindlichsten Dank auszusprechen.

- Auch der offizielle Museumsführer bestätigt diese Auffassung, indem er die kleine Gruppe der einschlägigen Denkmäler unter der Bezeichnung
»Tryksager og Haandskriftpr0ver« zusammenfaßt. Nationalmuseet, Den Danske Sämling: Middelalder og Renaessance. Vejledning for Besßgende.
Kabenhavn, H. H. Thiele 1017, Nr. 700 A-E.

3 Namentlich unter den Inkunabel-Formschnitten religiösen Inhaltes dürfte kaum einer diese Abmessungen übertreffen, da das noch vielfach
problematische »bois Protat« nur in einem Fragment des Holzstockes (600 : 230 mm) erhalten ist und zudem nach H. Bouchot (Un ancetre de la
gravure sur bois, Paris 1902) — nicht zuletzt eben wegen seiner mutmaßlichen Große — eher für Zeugdruck bestimmt war; die merkwürdigen
Angaben über erstaunlich große Blätter im Museum von Nizza und in der Bibliothek von Bourg, die auffallenderweise nur von P. Gusman (La
gravure sur bois . . ., Paris 1916, p. 79) gelegentlich erwähnt werden, bedürfen schon deshalb der Überprüfung, wreil wenigstens im zweiten Falle
weder die Platten noch alte Drucke nachgewiesen sind. Mit Recht bezeichnet E. K. Stahl bereits den Berliner Christoph-Schnitt Sehr. Nr. 2941
(525 : 370 mm), der übrigens ebenfalls nur in einem modernen Abdruck bekanntgeworden ist, als »Kapitalblatt von ganz seltener Größe, in dieser
Hinsicht also sogar die für ihre Zeit ungewöhnlich großen apokalyptischen Holzschnitte Dürers um ein Erkleckliches übertreffend«. (»Die Legende
vom heiligen Riesen Christophorus in der Graphik des XV. und XVI. Jahrhunderts«, München 1920, S. 166, Katalog Nr. 55.) — Von Profan-
darstellungen seien um ihrer einzigartigen Dimensionen willen hier etwa noch die Schlacht von Dorneck (Sehr. 1951) und die kolossalen Stadt-
ansichten von Florenz und Venedig (Sehr. 1952 und 1953) hervorgehoben, die sich gleich dem Kopenhagener Holzschnitt sämtlich aus mehreren
Blättern zusammensetzen.

4 Dies gilt für die damaligen Hauptländer der abendländischen Erzeugung, deren Gepflogenheiten — wegen der stets bestehenden Export-
möglichkeiten — zwecks einer solchen Feststellung gleichmäßig zu berücksichtigen waren. Ihre Kenntnis verdankt man in erster Linie C. M. Briquet,
der in seinem grundlegenden Werke über die Wasserzeichen auch diesem spärlich behandelten Thema einige Aufmerksamkeit widmet. Speziell für
die deutschen Fabrikate des XV. Jahrhunderts hat er (»Les filigranes« . . ., T. I, 1907, Introduction, p. 7) Schwankungen zwischen 300 : 420 mm und
345 : 460 nun ermittelt; ein »format double« — die Verdoppelung bezieht sich wohl wie im gleichzeitigen Frankreich nur auf die Höhe — erscheine
selten und spät, mit Sicherheit erst in einem Augsburger Erzeugnis aus dem Jahre 1501.

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