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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3633#0020
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sollte Albumasar mit eigenen Worten die Herabkunft des göttlichen
Kindes vorhersagen,nur die allgemeinen Umrisse einer herkömmlichen
Marienfigur herauszuarbeiten brauchte, setzte der Moraltheologe
offenbar seinen Stolz darein, an den formalen Besonderheiten der
»virgo« des Arabers selbständig die Geheimnisse der katholischen
Gnadenmutter darzulegen und so ein neues Lehrgemälde oder »Bei-
spiel« der kirchlichen Heilswahrheiten zu gewinnen. Welch eindring-
licher Erfolg ihm beschieden war, beweist wohl vor allem die Tat-
sache, daß sich nunmehr der Schrift alsbald auch das ihr adäquate
Bild gesellt.

Das durchaus merkwürdige Werk, das beiderlei Zeugnisse ent-
hält, ist erst vor kurzem durch Fritz Saxl ans Licht gezogen worden;
die »Imagines secundum Fulgentium« des Cod. Pal. 1066 gelten ihm
als ein Hauptfundstück unter den mannigfachen astrologischen und
mythologischen Handschriften, nach denen er die römischen Biblio-
theken durchforscht hat. ■ Da der Entdecker hiezu eine besondere
Arbeit angekündigt hat, ist die derzeit gegebene Charakteristik sehr
summarisch geblieben: »Ein Bilderbuch heidnischer Götterwelt, aus
den verschiedensten literarischen Quellen zurechtgemacht«; die teil-
weise verwerteten »Mythologiae« des Fulgentius Planciades (um 520
n. Chr.) werden in erster Linie zum Anlaß erbaulicher Betrachtungen,
die neun Zehntel des Traktates erfüllen. Leider gewährt auch die der
römischen Handschrift gewidmete Beschreibung, die nicht sehr ins
einzelne geht und zudem nur ausnahmsweise durch Abbildungen
unterstützt wird, keinen restlosen Einblick in das seltsame Mischwesen
des locker gefügten Werkes, dessen »Imagines« bald dem Fulgentius
methoforalis (sie!) und anderen »doctores«, bald wieder der [kirch-
Abb.S. .Imago Maria«, Miniatur aus dem Cod. Pal. i066(Rom). liehen Glaubenslehre angehören. Glücklicherweise hat Saxl gerade das

Beispiel jenes Bildes, das ich weiter unten noch »in eigener Sache«
zu erneuter Zeugenschaft aufzurufen habe, für bedeutsam genug erachtet, um die anschließende textliche Erläuterung im
Wortlaute der Handschrift mitzuteilen.2 Während sich die Darstellung (Abb.3)3 selbst sogleich inschriftlich als »Ymago
beatae Mariae virginis« bekennt, verweist ihre literarische Einbegleitung auf die »notabilis flgura« der — »virgo« Albumasars,
der als »astronorum peritissimus« eingeführt wird. Die heidnischen Reminiszenzen des Urtextes, zu denen in diesem Falle
offenbar auch der an die Isis-Darstellungen gemahnende gepolsterte Thronsitz gehört hatte, sind im vorhinein still-
schweigend beseitigt; um so klarer tritt die reine Lichtgestalt der »himmlischen« Jungfrau hervor, die den Knaben nährt »et
vocat quaedam gens puerum illum Ihesum«. Es bedurfte keiner Einbildungskraft mehr, daß sie sich nunmehr in schärferem
Umriß zu einer Erscheinungsform der Mutter Gottes verdichtete, deren Sonderzüge den geistlichen Autor nicht ver-
gebens zu allegorischer Auslegung ermunterten. Wie er zu seinem Ziele gelangt, ersehe man etwa aus der Deutung der Ähre:
»Et secundum Gregorium4 in moralibus ipsa tenet / celestium graciarum spicas et virtu- / tum suis dilectioribus
tribuendas / et eos ad etemam societatem condu- / cendo.« Noch aufschlußreicher als diese »Moralisation« Albumasars
erzeigt sich ihr bildliches Korrelat, da die stehende Figur der heiligen Jungfrau, die ihrem Kinde die Brust reicht, nicht
nur das nebensächliche Merkmal der aufgelösten Haare, sondern vor allem das Attribut der Ähre getreulich beibehalten
hat. Denn hiemit ist auch durch die künstlerische Praxis der Beweis erbracht, daß die uralte astrologische Überlieferung
selbst in dieser Spätzeit lebendige Kraft genug besaß, um den ehrwürdigen christlichen Bildtypus eigenmächtig zu
determinieren.

1 Vgl. das verdienstliche »Verzeichnis astrologischer und mythologischer illustrierter Handschriften des lateinischen Mittelalters in romischen
Bibliotheken«, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philos.-hist. KL, 1915, Heft 6'7. Für die »Imagines« kommen
S. VU/VI1I der Einleitung und S. 8 bis 10 des Kataloges in Betracht.

- A. a. O., S. 111 (Blatt 243v der Handschrift).

3 Ebenda, Taf. XII, Abb. 26 (= BI. 243r), danach verkleinert Abb. 7 in Bolls »Sternglaube« usw.; einen flüchtigen Hinweis auf dieses Marien-
bild (wiederum nicht aut den Text) geben schon Bolls Offenbarungsstudien, S. 1151.

4 Eine Wiener Sammelhandschrift (Cod. 3027 = Tab. Cod. Ms. II, 182), die genau die gleichen Abschnitte der »Imagines« enthält wie z. B. der

römische Palat.Iat. 1726 (v. Saxl S. 36 f.), bringt einige unwesentlich veränderte Lesarten: »Et secundum beatum Gregorium___spicas celestium seminarum

graciarum .... tribuendo .... perducendo«. Als Quelle des Zitates kämen zunächst des Papstes Gregor des Großen (f 604) »Moralium libri XXXV sive
expositio in librum B. Job.« (v. Mignes Patrol. lat, T. 75, c. 510—1162, Li. T. 76, c. 1—782) in Betracht; in zweiter Linie wäre an die »Carmina moralia«
Gregors von Nazianz (330—390), des »Theologen« unter den Kirchenvätern, zu denken (V. Patr. graeca, T. 37, c. 521 — 968). Doch habe ich — trotz
der ausgezeichneten Realindices der genannten Ausgaben — weder da noch dort eine ähnliche Metapher auffinden können.

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