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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3633#0042
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raumandeutende Flächen bildenden Schraffenlagen, wie wir
sie beispielsweise auf einer Stockholmer Zeichnung (HdG.
1602)(sehen; aber wie widerspruchsvoll stehen sie in dem
tonigen Gesamtbild der reichen Pinsellavierungen, mit dem
sie nur schlecht zusammengehen! Das Stockholmer Blatt
kann gut zum Vergleich herangezogen werden, um zu
verdeutlichen, wie viel vom Stil der fünfziger Jahre in
der Chatsworther Zeichnung angestrebt ist. Man beachte
überhaupt die Bedeutung, die dem Flächenprinzip in ihrem
ganzen Formenaufbau zukommt, wie etwa die Kniefiguren
in die Fläche ausgebreitet, gleichsam aufgelegt sind, wie
Davids Oberkörper als leere Fläche von einem breiten, aus
feinen Parallelzügen bestehenden Kontur umrandet wird.
Neumann erklärt sich die von ihm beobachteten,
der stilistischen Gesamthaltung des Blattes widerspre-
chenden Züge als Überzeichnungen späterer Zeit. Die
anderen oben angeführten, jedoch nicht minder deutlichen
Zeugen für eine spätere Stilphase lassen sich nicht als
»Überzeichnungen« erklären. So werden wir mit zwin-
gender Notwendigkeit zu dem Schlüsse geführt, daß wir
hier eine Schülerzeichnung vor uns haben, die Früheres
und Späteres in einem Werk widerspruchsvoll vereinigt.
Zu diesem Resultate hätte allein schon eine Beur-
teilung der Qualität ;der Zeichnung führen müssen. Man
sehe sich die kraftlose Gestaltung der Hände durch Häufung
zarter Parallelen an. Unsystematische Parallelzüge, die
nichts von der Kraft des späten Rembrandt haben, obwohl
sie dem Vorbild seiner breiten optischen Konturen nach-
eifern, erscheinen ferner am linken Körperkontur des
David und rechts von seinem Kopfe. Wie unklar ist die
links knieende Figur! Unter dem kräftig gezeichneten Ober-
Rembrandt, David im Gebet. Radierung, im Gegensinn wiedergegeben körper breitet sich eine leere, von geschweiften Mantel-
(B. 41). ialten durchzogene Fläche aus, die die untere Körper-

partie darstellen soll, aber wie eine von der linken Figur als Träger geraffte Schleppe der rechts knieenden aussieht. Wie
kraftlos sind die schraffierten Schattenlagen, trotz aller Flottheit, die sonderbare Schlangenlinie an der Stufe rechts!
Das Blatt als Ganzes kennzeichnet bei all seiner großen malerischen Feinheit eine unsichere, unentschiedene Haltung.
Doch gibt es noch objektivere Handhaben, um die Zeichnung als Schülerwerk zu erweisen.
Die Albertina besitzt eine Zeichnung von Hoogstraeten, die eine etwas veränderte Wiederholung unseres Blattes
ist. Es ist merkwürdig, daß auf diese offenkundige Beziehung erst in der Literatur jüngerer Zeit hingewiesen wurde,
und zwar von Secker in dem zitierten Aufsatze. Die links kniende Figur ist aut der Albertinazeichnung zu dem Jüng-
ling Salomon geworden und der Prophet Nathan als vierte stehende Gestalt über eine Säule des Hintergrunds in leichten
Umrissen gezeichnet.

Es ist sehr interessant, die Zeichnung mit HdG. 1602 zu vergleichen. Sie ist ein lehrreiches Beispiel dafür, wie
Skizzenhaftigkeiten und Flüchtigkeiten beim Kopieren durch geringere Hände oft mißverstanden werden. Die herab-
hängende Bettdecke des Originals ist zu einem unverständlichen Kastenvorbau, ihre Falte zu einem abschließenden
Delphin, der dunkle Schatten von Nathans Mütze und die durchlaufende Linie seiner Brauen sind zu den Konturen
einer Kopfbinde geworden. Das schwach angedeutete Halbrund der Nische über David im Schatten des Betthimmels
hat sich in einen aufgehängten Schild verwandelt. Der um die Säule geschlungene Faltenbausch des Bettvorhangs hat die
Gestalt eines Kapitells angenommen.

Nun war Hoogstraeten bis 1648 als Schüler in Rembrandts Atelier. Das, was Neumann in erster Linie als Resul-
tat einer späteren Überzeichnung anspricht: der kräftig gezeichnete, spiralig gewundene Säulenschaft und seine Basis,
erscheinen auch in der Nachzeichnung Hoogstraetens. Ist Hoogstraetens Vorlage eine echte Rembrandt-Zeichnung, so
hätte er sie doch höchstwahrscheinlich im Atelier seines Lehrmeisters kopiert. Wieso brachte er dann aber die spiralige
Säule, die nach Neumann erst das »Verdienst einer späteren, um Jahre von der ersten Niederschrift getrennten Redak-
tion« der aus dem »Bereich der allmählichen Ausgestaltung des Hundertguldenblattes« stammenden Zeichnung ist?
Das wäre doch eine seltsame Antizipation dessen, was erst der späte Rembrandt hinzugefügt haben soll!

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