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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3633#0044
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Sohneshaupte tastenden Hand. Dem späten Rem-
brandt war selbst diese Gebärde noch zu laut und
er zeigte schließlich die Bewegung am Ziele, um
dadurch die Geschlossenheit und seelische Einheit
der Szene zu steigern. Nun fällt alles in eine schmale
vertikale Zone: das rührende, durchgeistigte Antlitz
des blinden Isaak, seine müden Hände und das Haupt
Jakobs. Dieser kniet in sich zusammengesunken und
gebeugt von der schicksalsschweren Bedeutung des
Moments da. Und neben ihm taucht in feinen, dufti-
gen Linien die schwanke Gestalt der greisen Rebek-
ka auf, der das Alter noch nicht alle Schlauheit, allen
Trug der Welt aus den welken, aber geistig unge-
mein regsamen Zügen zu wischen vermochte, wie
sie da, vorsichtig scheu, abseits steht und mit ge-
spannter Aufmerksamkeit die Szene verfolgt.

Der knieende Jakob ist eine Gestalt der Andacht
und Hingebung, in die sich vielleicht auch ein leises
Gefühl derSchuld mischt. Diese seelische Zusammen-
setzung der so ungemein sprechenden Rückenfigur
prädestinierte sie geradezu als Vorbild zu einem
reuevoll betenden David. Auf der Radierung kniet
der biblische König vor einer Bettstatt, den Ober-
körper auf Decke und Kissen gelehnt, in inbrün-
stigem Gebete. Die Harfe hat er auf die Stufen des
Unterbaues geworfen; er lobpreist nicht mehr seinen
Herrn, sondern sucht ihn mit der flehenden Inbrunst
und glühenden Hingabe seines Reuegebets. Sein Kopf
verschwimmt zu einem Helldunkelfleck im Raum,
aber aus der Linie seines gebeugten Rückens allein
spricht schon die ungeheure Erschütterung, die sich seiner bemächtigt hat.

Wie hat nun der Schöpfer der Chatsworther Zeichnung diese Kompositionen verwertet? — Die knieende Bath-
seba ist aus dem Jakob hervorgegangen. Es ist dieselbe, in langfaltiges, an den Füßen sich stauendes und brechendes
Gewand gehüllte Figur, vom Rücken im verlorenen Profil gesehen. Sie ist nicht in so energischer Verkürzung in den
Raum hineingedreht wie der Jakob, denn der Künstler hat sie, um den Handkuß zu verdeutlichen, mehr im Profil ge-
zeigt, ähnlich dem David der Radierung. Nachdem sie nicht mehr an das Bett gelehnt, sondern davor kniet und nach
der Greisenhand greift, mußte sie von dem Liegenden weiter abgerückt und vor den Stufenaufbau placiert werden. Das
Resultat davon ist, daß das Gelöste, Lockere, Fassungslose des Körpers eines Menschen, der völlig in einer weltent-
rückten seelischen Stimmung aufgeht und dort an der materiellen Stütze der Bettstatt seinen Halt hat, nun kraft- und
ausdruckslos in der Luft hängt. Die auf dem Vorbild so wunderbar ausdrucksvollen bittenden Hände sind zu linkisch
tastenden Gebilden geworden. Nach der ganzen Stellung der Figur im Raum könnten sie die Hand des in die Kissen
zurückgesunkenen David niemals erreichen, sondern müßten an ihr vorbeigreifen. Bei der stärkeren Distanzierung der
beiden Gestalten müßte Bathseba noch mehr in den Raum hinein gedreht sein als Jakob, um mit David in Kontakt zu
kommen; das hätte aber den inhaltklärenden Vorgang des Handkusses verdeckt und so setzte sich denn der Zeichner
darüber hinweg. Eine a priori \orhandene Figur paßte er schlecht und recht in eine geänderte Situation ein, die
LIngereimtheiten und Unklarheiten der formalen Artikulation und räumlichen Disposition, die daraus erwachsen konnten,
ignorierend. Dieses Zusammenfügen von Dingen, die räumlich gesehen und gruppiert werden sollten, in der Fläche,
ohne daß der Bruch, die Naht verwischt würde, ist Epigonen-, nicht Meisterarbeit.

Und nun David. Er ist an die Stelle des segnenden Isaak getreten. Aber aus dem ergreifenden Greise, der sich
trotz seiner Todesschwäche mühsam in den Kissen aufrichtet, mit rührender Innigkeit die letzten Segensworte spricht
und sie mit den schwachen Gebärden der zitternden Hände begleitet, ist ein lässig zurückgelehnter, von der Dienerin
gestützter alter Mann mit feinen, aber etwas gleichgültigen Zügen, wie sie nicht gerade im Antlitz eines Sterbenden
stehen, geworden. Dieselbe Gleichgültigkeit bekunden die aus der Achse des Körpers geschobene, von der Bittenden
abgewendete Haltung des Kopfes, der dort so innig über den Knieenden gebeugt ist, und die nicht vor Entkräftung nach-
lässigen Gebärden der Hände. Die flach auf Jakobs Kopf aufliegende, fast nur aus parallelen Strichen bestehende
Rechte des Rembrandt-Blattes, deren im Raum gerundete Form doch so wunderbar zum Ausdruck kommt ist zu einem

. v. Hoogstraeten, Bathseba am Sterbebette Davids. Handzeicbnung in der
Albertina.

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