auch auf die lediglich allegorisierenden Vignetten, da ihre Herkunft von ein und derselben Hand und von der. Hand
eines routinierten Künstlers leicht erkennbar ist.
Die Vignetten sind denn auch nicht von Schwind: ich fand meine Bedenken bestätigt, als mir die Illustrationen zum
Shakespeare von Thurston1 in einer hübschen Zusammenstellung2 bekannt wurden.
Ich entnehme dem Verlagsberichte des Leipziger Mitverlegers über dieses Werk folgendes: »Die höchst geistreichen
Erfindungen eines Thurston, welcher mit Recht als Englands Chodowiecki gelten kann, geben bei allem Reiz des kor-
rektesten Miniatures den Genius der Shakespeare-schen Dramen, mit so viel malerischer Wahrheit wieder, daß es nur
Thompson's Meisterhand möglich war, diesen Vignetten im Holzstich jenen hohen Grad der Vollendung zu verleihen,
der sie den reinsten Arbeiten der Kupferstecherkunst unbedingt an die Seite stellt. — Auf jedem Oktavblatt befinden sich
zu jedem Schauspiel sechs Vignetten nebst beigedruckten kurzen Textstellen der Scenen, wodurch den Besitzern irgend
einer Oktav-Ausgabe .... Gelegenheit gegeben wird, sie als eine wahre Kunstzierde dem Buche einzuverleiben.
Shakespeares Brustbild und unter diesem eine treffliche Darstellung seines Geburtshauses in Stratford, beides ebenfalls
Holzstiche, sind als Frontispice [!] dem Titel vorgebunden. Die sämmtlichen Abdrücke wurden in einer Londoner Offizin
mit größter Reinheit und Schärfe vollzogen . ..«
Von diesen sechs Vignetten, die zu jedem der in der Wiener Ausgabe enthaltenen 37 Schauspielen geboten werden,
ist es jeweils die erste, die man in lithographischer Übertragung in der Sollingerschen Ausgabe wiederfindet und die
zumeist dadurch zum Einzelnachdruck besonders geeignet und verlockend erschien, weil sie vielfach noch nicht
eigentlich illustrierte, sondern den allgemeinen Charakter des betreffenden Dramas mit Emblemen als Auftakt bezeichnete,
ähnlich wie heute die hübschen Holzschnittvignetten Walter Tiemanns die Titelblätter der Einzelausgaben der Shake-
speareschen Stücke im Inselverlag schmücken. Nur die Vignette zu König Richard III. in der Sollingerschen Aus-
gabe (Abb. 1) entbehrt als einzige der englischen Vorlage (Abb. 2). Welche Überlegung es sein mochte, die die
Wiener Firma bewog, die scharfe Vignette Thurstons
nicht zu wiederholen, ist unschwer zu erraten. Man hatte
kaum Aussicht, daß sie die Zensur passieren würde.
Die Wiener Vignette zu Richard III. lehnt sich in
gewisser Hinsicht an die englische an: Der königliche
Mörder oder richtiger Thurstons wildes purpurbekleidetes
Tier liegt erschlagen im geschlossenen Sarge, über dem
durch die sinkende Schale einer von Blitzen umzuckten
Wage die schwere Schuld bezeugt wird. WTie in Thur-
stons Vignette der unersättliche Eber nach Raubtierart
auf den Opfern Richards III., den königlichen Sprossen,
liegt, so steht hier der Sarg symbolisch auf zwei Blumen.
Diese Vignette, die allerdings zur künstlerisch schwächsten der Ausgabe wurde, ist die einzige, deren Vorlage auf
Schwind zurückgehen kann. Denn auch das in Buchhändlerkatalogen gleichfalls Schwind zugeschriebene Shakespeare-
Porträt im ersten Bande der Taschenausgabe hat seine englische Vorlage in dem angeführten Werke. Dieses Werk kann
allerdings seines Erscheinungsjahres wegen nicht unmittelbar für die Sollingersche Ausgabe der Werke benützt worden
sein. Die englische Ausgabe der Werke bei Sherwin & Co., London 1821, die sich Trentsenski für die Reihenfolge der
Dramen zum Muster nahm, ist nicht illustriert. Englische Ausgaben der Werke, an deren Illustrierung Thurston mit-
gearbeitet hat, gehen auf das Jahr 1803 zurück.3
Eine Ausgabe der Werke, die alle 230 Holzschnitte und das Porträt des Dichters bringt, welche die besprochene
Zusammenstellung dann wiederholt, erschien 1818.4 Diese Ausgabe stellt wie die Sollingersche Ausgabe einzelne Vignetten
den einzelnen Dramen voran und dürfte als Muster für letztere Ausgabe und als Vorlage für den Lithographen gedient haben.
Die Art der Übertragung vom Holzschnitt in die Federzeichnung auf Stein ist eine peinlich genaue, weshalb die
Lithographien Hyrtls bei notwendigen Abweichungen der freier arbeitenden Feder deutlich den Holzschnitt als Vorlage
erkennen lassen. Den lithographischen Vignetten mangelt es vielfach an den Tiefen, die den Holzschnittvignetten zum
natürlichen Vorteil gereichen. Kleine Einzelheiten, wie zum Beispiel auf der Vignette zum 27. Bändchen (Wie es Euch
gefällt) die Hirsche am Waldrand rechts gehen in der lithographischen Übertragung fast verloren.
Abb. 1. Moritz von Schwind (?),
Vignette zu Shakespeares König
Richard III. Lithographie.
Abb. 2. John Thurston, Vignette
zu Shakespeares König Richard III.
Holzschnitt.
1 John Thurston, 1774—1822, hervorragender englischer Illustrator, arbeitete besonders für den Holzschnitt. Vgl. den Artikel von F. M.
O'Donoghue F. S. A. im Dictionary of national biography, ed. by Sidney Lee. 56. Bd. 1898, S. 357.
- Dlustrations of Shakspeare; comprised in two hundred and thirty Vignette engravings, by Thompson, from designs by Thurston: Adapted
to all editions. London: Printed for Sherwood, Gilbert and Piper, Paternoster row Leipsic: Ernest Fleischer Nr. 80, Peter's Street. 1825. 2 Bl. u.
38 BI. mit je 1 Schutzblatt.
3 Vgl. Jaggard William, Shakespeare-Bibliography, Stratford-on-Avon: Shakespeare-Press 1911.
1 The dramatic works of Sh kspeare in 7 vol. With 230 woodeuts; a life of the poet; the preface by Dr. Johnson and a glossarial index. London,
Chiswick Press: C. Wittingham for Sherwood, Neely & Jones 1818. 7 vols. 16°. (Wittinghams Cabinet Edition.) Die Umschläge tragen die Jahres-
zahl 1819. Ich konnte das Werk in der Buchhandlung Gilhofer & Ranschburg einsehen.
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eines routinierten Künstlers leicht erkennbar ist.
Die Vignetten sind denn auch nicht von Schwind: ich fand meine Bedenken bestätigt, als mir die Illustrationen zum
Shakespeare von Thurston1 in einer hübschen Zusammenstellung2 bekannt wurden.
Ich entnehme dem Verlagsberichte des Leipziger Mitverlegers über dieses Werk folgendes: »Die höchst geistreichen
Erfindungen eines Thurston, welcher mit Recht als Englands Chodowiecki gelten kann, geben bei allem Reiz des kor-
rektesten Miniatures den Genius der Shakespeare-schen Dramen, mit so viel malerischer Wahrheit wieder, daß es nur
Thompson's Meisterhand möglich war, diesen Vignetten im Holzstich jenen hohen Grad der Vollendung zu verleihen,
der sie den reinsten Arbeiten der Kupferstecherkunst unbedingt an die Seite stellt. — Auf jedem Oktavblatt befinden sich
zu jedem Schauspiel sechs Vignetten nebst beigedruckten kurzen Textstellen der Scenen, wodurch den Besitzern irgend
einer Oktav-Ausgabe .... Gelegenheit gegeben wird, sie als eine wahre Kunstzierde dem Buche einzuverleiben.
Shakespeares Brustbild und unter diesem eine treffliche Darstellung seines Geburtshauses in Stratford, beides ebenfalls
Holzstiche, sind als Frontispice [!] dem Titel vorgebunden. Die sämmtlichen Abdrücke wurden in einer Londoner Offizin
mit größter Reinheit und Schärfe vollzogen . ..«
Von diesen sechs Vignetten, die zu jedem der in der Wiener Ausgabe enthaltenen 37 Schauspielen geboten werden,
ist es jeweils die erste, die man in lithographischer Übertragung in der Sollingerschen Ausgabe wiederfindet und die
zumeist dadurch zum Einzelnachdruck besonders geeignet und verlockend erschien, weil sie vielfach noch nicht
eigentlich illustrierte, sondern den allgemeinen Charakter des betreffenden Dramas mit Emblemen als Auftakt bezeichnete,
ähnlich wie heute die hübschen Holzschnittvignetten Walter Tiemanns die Titelblätter der Einzelausgaben der Shake-
speareschen Stücke im Inselverlag schmücken. Nur die Vignette zu König Richard III. in der Sollingerschen Aus-
gabe (Abb. 1) entbehrt als einzige der englischen Vorlage (Abb. 2). Welche Überlegung es sein mochte, die die
Wiener Firma bewog, die scharfe Vignette Thurstons
nicht zu wiederholen, ist unschwer zu erraten. Man hatte
kaum Aussicht, daß sie die Zensur passieren würde.
Die Wiener Vignette zu Richard III. lehnt sich in
gewisser Hinsicht an die englische an: Der königliche
Mörder oder richtiger Thurstons wildes purpurbekleidetes
Tier liegt erschlagen im geschlossenen Sarge, über dem
durch die sinkende Schale einer von Blitzen umzuckten
Wage die schwere Schuld bezeugt wird. WTie in Thur-
stons Vignette der unersättliche Eber nach Raubtierart
auf den Opfern Richards III., den königlichen Sprossen,
liegt, so steht hier der Sarg symbolisch auf zwei Blumen.
Diese Vignette, die allerdings zur künstlerisch schwächsten der Ausgabe wurde, ist die einzige, deren Vorlage auf
Schwind zurückgehen kann. Denn auch das in Buchhändlerkatalogen gleichfalls Schwind zugeschriebene Shakespeare-
Porträt im ersten Bande der Taschenausgabe hat seine englische Vorlage in dem angeführten Werke. Dieses Werk kann
allerdings seines Erscheinungsjahres wegen nicht unmittelbar für die Sollingersche Ausgabe der Werke benützt worden
sein. Die englische Ausgabe der Werke bei Sherwin & Co., London 1821, die sich Trentsenski für die Reihenfolge der
Dramen zum Muster nahm, ist nicht illustriert. Englische Ausgaben der Werke, an deren Illustrierung Thurston mit-
gearbeitet hat, gehen auf das Jahr 1803 zurück.3
Eine Ausgabe der Werke, die alle 230 Holzschnitte und das Porträt des Dichters bringt, welche die besprochene
Zusammenstellung dann wiederholt, erschien 1818.4 Diese Ausgabe stellt wie die Sollingersche Ausgabe einzelne Vignetten
den einzelnen Dramen voran und dürfte als Muster für letztere Ausgabe und als Vorlage für den Lithographen gedient haben.
Die Art der Übertragung vom Holzschnitt in die Federzeichnung auf Stein ist eine peinlich genaue, weshalb die
Lithographien Hyrtls bei notwendigen Abweichungen der freier arbeitenden Feder deutlich den Holzschnitt als Vorlage
erkennen lassen. Den lithographischen Vignetten mangelt es vielfach an den Tiefen, die den Holzschnittvignetten zum
natürlichen Vorteil gereichen. Kleine Einzelheiten, wie zum Beispiel auf der Vignette zum 27. Bändchen (Wie es Euch
gefällt) die Hirsche am Waldrand rechts gehen in der lithographischen Übertragung fast verloren.
Abb. 1. Moritz von Schwind (?),
Vignette zu Shakespeares König
Richard III. Lithographie.
Abb. 2. John Thurston, Vignette
zu Shakespeares König Richard III.
Holzschnitt.
1 John Thurston, 1774—1822, hervorragender englischer Illustrator, arbeitete besonders für den Holzschnitt. Vgl. den Artikel von F. M.
O'Donoghue F. S. A. im Dictionary of national biography, ed. by Sidney Lee. 56. Bd. 1898, S. 357.
- Dlustrations of Shakspeare; comprised in two hundred and thirty Vignette engravings, by Thompson, from designs by Thurston: Adapted
to all editions. London: Printed for Sherwood, Gilbert and Piper, Paternoster row Leipsic: Ernest Fleischer Nr. 80, Peter's Street. 1825. 2 Bl. u.
38 BI. mit je 1 Schutzblatt.
3 Vgl. Jaggard William, Shakespeare-Bibliography, Stratford-on-Avon: Shakespeare-Press 1911.
1 The dramatic works of Sh kspeare in 7 vol. With 230 woodeuts; a life of the poet; the preface by Dr. Johnson and a glossarial index. London,
Chiswick Press: C. Wittingham for Sherwood, Neely & Jones 1818. 7 vols. 16°. (Wittinghams Cabinet Edition.) Die Umschläge tragen die Jahres-
zahl 1819. Ich konnte das Werk in der Buchhandlung Gilhofer & Ranschburg einsehen.
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