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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.6494#0015
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DerZeitströmung vor der Reformation stand Dürer nicht teilnahmslos gegenüber. Luther hat zwar erst 1517 seine
Thesen zu Wittenberg angeschlagen. Aber lange vorher war die Luft gewitterschwül. Längst gab es Waldenser. Nürnberg
bot dieser Sekte Unterschlupf, so daß hier im XIV. Jahrhundert vier Ketzerprozesse mit Verurteilungen zum Scheiter-
haufen stattfanden.1 Die Beziehungen der Reichsstadt zu Böhmen waren immer rege. Als 1415 beirrt Konzil zu Konstanz
der Böhme Hus lebendig verbrannt und die Gebeine seines 1384 verstorbenen englischen Vorgängers Wiclif dem Feuer
überantwortet wurden, wehte die Asche weit herum. Die »Sodalität« der Augustiner oder Staupitzianer bestand seit 1512.
Hier, wo der gelehrte Professor der neuen Universität Wittenberg Johann von Staupitz Vorträge hielt, verkehrten sowohl
Albrecht Dürer wie seineFreunde der Ratsherr und Humanist Wilibald Pirckheimer nebst dem einflußreichen Stadtschreiber
Lazarus Spengler, einem Hauptführer der neuen Bewegung.2 Als Dürer 1521 auf seiner Reise nach Antwerpen Kunde
von der nach dem Wormser Reichstag erfolgten »Aufhebung« Luthers bekam, schrieb er in sein Tagebuch, daß Luther
»klärer geschrieben hat dann nie keiner in 140 Jahren gelebt«, was sich nur auf Wiclif beziehen kann.3

Pirckheimer, ebenso wie Staupitz — den Luther seinen »geistlichen Vater« nannte — verblieben in der römisch-
katholischen Kirche. Sie befürchteten vom Vormarsch der Reformation eine Einbuße für die Wissenschaften. Ähnliche
Sorgen machte sich Dürer um die Zukunft der Künste. Denn die neuen Predigerkirchen verzichteten auf Bilderschmuck,
Altäre, Reliquien, so daß ein Ausfall an Kunstwerken von Malern, Bildhauern, Goldschmieden zu erwarten war.

In die Gr als sage ist Dürer 1514 sicherlich durch seinen wissenschaftlichen Berater Pirckheimer eingeführt gewesen.
Es gab ja seit 1477 Buchdrucke vom Titurel, wovon noch Exemplare in der Universitätsbibliothek Leipzig4 und im
Britischen Museum London5 sich befinden. Dann wissen wir von Püterich von Reichartshofen,6 als er 1462 von seinem
Besitz eines Titurel schrieb, daß er davon 30 Manuskripte gesehen habe." Dies blieb den Humanisten in Nürnberg
nicht verborgen. So wußte Dürer vom Gralstempel als einem kryptalosen also gotischen nicht romanischen Bau auf
geglättetem Felsplateau mit leuchtendem Karfunkel-Knauf hoch auf dem Mittelturm, aus Steinen ohne Steinmetzwerk-
zeuge zugerichtet, mit gehender, sieben Stunden anzeigender Uhr und mit einer Glocke. —

Nun zum Kupferstich der Melencolia. Die ungewöhnliche Erscheinung des Kometen am Himmel deutet
auf kommendes Unheil auf Erden. Mit.dem Absterben der gotischen Architektur wird der Zirkel wertlos; das Bruder-
buch bleibt zu. Sogar Steine, wie zur Gralskirche fix und fertig am Bauplatz bereit, entbehren der Werkleute zum Ver-
setzen: Polyeder und Kugel zum Turmknauf bleiben liegen. Kein Handwerkzeug mehr nötig. Die Künste bringen
weder inneren noch äußeren Besitz, weder Gewalt noch Reichtum: Schlüssel wie Beutel außer Wirksamkeit. Und
dennoch kein Gewinn aus den frei gewordenen Arbeitskräften für die Lebensmittelerzeugung! Die Mühle braucht keinen
Mahlstein mehr; die Wage erhält kein Mehl; der Wachhund stirbt bald Hungers. Freilich wird die Uhr der Zeit
weiterrinnen, und der Handel (Schiff) nicht aufhören. Im Tiegel mögen die Versuche, Gold zu erzeugen, sich ergehen.

Wenn Noah nach der Sintflut Rabe und Taube fliegen ließ, so mag jetzt die Fledermaus minder lang über den
Wassern schweben. Denn schon tritt der Regenbogen auf mit seiner uralten Bestimmung der Verbindung von Himmel
und Erde. Aber nur vom direkten Eingriff der Götter läßt sich eine Versöhnung der Gegensätze erhoffen: etwaiges
Übelwollen Saturns macht Jupiters Zahlentafel (Mensula) unschädlich. Die Glocke mag dann den Erfolg einläuten.
Der Knabe registriert die Vorgänge.

Die zu geistigem Schaffen veranlagten Menschen — wozu Dürer unbestreitbar gehört — galten bei Aristoteles als
Melancholiker. Wir begreifen, wenn der Meister 1514 aus dem Vormarsch der kirchlichen Reformbestrebungen eine
Hemmung in der Kunstentwicklung folgerte, und wenn er solcher trüben Ahnung Ausdruck verlieh durch den seiner —
an Melancholie, das heißt an schwarzer Galle, erkrankten — Muse um die Stirne gewundenen Trauerkranz.

Wilhelm Bühler.

Nekrolog.

Hof rat Ernst Gangibauer f. Am22.Dezemberl925
ist in Wien Hofrat Gangibauer gestorben, der von 1901
bis 1917 Direktor der Staatsdruckerei war. Wenn hier seiner
gedacht wird, so geschieht dies vor allem darum, weil mit
seinem Namen eine Blütezeit jener Anstalt, die von jeher
zugleich ein Stolz und ein Schmerzenskind des Staates
war. verknüpft bleiben wird und weil unsere Gesellschaft

seit ihrer Gründung mit dieser Anstalt zusammen gearbeitet
hat. Die siebziger und achtziger Jahre waren keine gute
Zeit für die Staatsdruckerei gewesen, die immer wieder
unter bureaukratischer Engherzigkeit hat leiden müssen.
1891, noch unter der Direktion des Hofrates Anton Ritter
von Beck, war wenigstens mit der Herausgabe des vom
damaligen Direktor des Handelsmuseums, Artur v. Skala,

1 Keller 1888, Staupitz und Reformation. S. 198. — 2 von Schubart. 1925. Zeitwende bei C. H. Beck, München, Juniheft. — 3 Lange und
Fuhse, 1893. Dürers 'schriftlicher Nachlaß, S. 19. - * Zarncke, 1876. Der Gralstempel und jüngere Titurel, S. 380. - t British Museum, Catalogue
of Printed Books, 1S82. - '■ Behrend und Wolkan. 1920. Ehrenbrief Püterichs. — 7 Zarncke wie 4, S. 377.
 
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