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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.6494#0032
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Kräuterhexe, die solche Pflanzen siedet, braut und dörrt und Zaubertränke, Elixiere und Arzneien aus ihnen zu
ziehen weiß?

Feldspinnerin und Sternbeschwörerin, Waldfrau und Wettermacherin und Kräuterhexe — wenn das nicht
märchenhaft und mythologisch ist, dann gibt es in dem Giücksbuch des Petrarka-Meisters ganz sicherlich kein zweites
Märchenbild. Jedoch trotz alles mystagogischen Gemunkels müssen wir uns zu der Ernüchterung entschließen, daß
die alte Frau die Tugend und nichts anderes zu bedeuten habe. Da diese sonderbare Ausgestaltung des allegorischen
Motivs im Text Petrarkas — wie schon dargelegt — in keiner Weise vorgebildet ist, so müssen wir die Ikonographie
des Themas »Tugend« zu befragen suchen, ob sie uns einen maßgebenden Fingerzeig zur Deutung dieses rätselvollen
Bildes bieten könne.

Dabei kommt uns die Tatsache zu Hilfe, daß in dem Glücksbuch noch ein zweites Mal die Frau mit Rockenstock
und Spindel auf einer Dornenstraße unter Sternen wandelnd, abgebildet ist. Und zwar als Illustration zu dem Korre-
spondenzkapitel in dem zweiten Teil »Von dem gebruch und mangel der tugent« (Fol. CXXXI r), wo sie von
einem Schalksnarren gescheucht, von einem Seraphim geleitet, ihres Weges zieht. Doch ist dort die vom Rücken her
gesehene Figur sehr schlank und jugendlich gestaltet. So könnte trotz der übereinstimmenden Attribute und der Konkor-
danz der Titel die Gleichsetzung der beiden Bildmotive vielleicht noch zweifelhaft erscheinen.

Zu vollgültiger Festigung ihrer Identität stütze ich mich zunächst auf eine gleichzeitige Darstellung, die das Motiv der
»Tugend« in der genauesten Entsprechung der Einzelattribute wiedergibt. Sie findet sich als handgezeichnete Illustration
in dem Gedicht des Nürnberger Ratsherrn und Humanisten Pankraz Schwenter: »Die Histori des Lebens, Sterbens
und wunderwerck des Hochberümten Streitters: mannlichen überwinders / Herculis / welcher aus tugentlicher zucht /
ein Loblicher Herscher des ganzen umbkraiss der weit gewest etc« (1515). Der jüngere Peter Vischer hat das Bild
gezeichnet:1 In seinem Vordergrund steht die »Voluptas« als nacktes, junges Weib auf einem Pfühl, umgeben von drei
Jünglingen, die sich mit Lautenspiel, Gesang und Harfenschlag vergnügen. Dahinter öffnet sich ein Höllenrachen, in
dem der dreiköpfige Cerberus erscheint. — Im Hintergrund erhebt sich ein Gebirge, auf dessen steinbedeckten Weg
ein Weib mit wallend langen Haaren rüstig aufwärts schreitet, das eine Kunkel in der Linken hält, von welcher sie den
Faden auf die Spindel spinnt. Im Himmel über ihr stehen Sonne, Mond und viele Sterne. — Der Sinn der Szene ist
vollkommen klargestellt, da Schwenter einen ausführlichen Kommentar zu der Illustration geschrieben hat, welcher für
die Gestalt der »Tugend« derart lautet: »Aber zu der gerechten seitten / was die Tugent aufsteigend den steinigen
wege / bezirt mit einer eerlichen cleidung / unter der gurtel einen rocken tragende die Federn da von auss zu
spinnen das sie icht mussig erfunden wurde: welcher ir entgegen stunden der Son die Mon mit allem
Gestirn: irer scheie entglestende.«

Fast wörtlich ließe dieser alte Text sich auf die »Waldfrau« des Hans Weiditz übertragen, die nun als Tugend
eindeutig bestimmt erscheint. Jedoch zur eigentlichen Quelle des Petrarka-Meisters stoßen wir erst durch die Ent-
deckung, daß seine allegorische Gestalt der Tugend unter den Illustrationen zu dem »Narrenschiff« — nicht der
berühmten Ausgabe von 1494, sondern der Locherschen lateinischen Version von 1497 — motivisch vorgebildet ist.'2
Und zwar hinwiederum in dem Zusammenhang des Themas »Herkules am Scheidewege«, das Sebastian Brant auf
Grund der xenophontischen Memorabilien (II, 2, 21) im 107. Abschnitt seines Narrenschiffes »Von Ion der wisheit«
derart ausgewertet hatte:

»Hercles jn syner jugent gdacht Grosz lust und freud sie jm verhiesz

Wes wegs er doch woltt haben acht Der end doch wer der dot mit we

Ob er der wollust noch wolt gan Dar noch keyn freud, noch wollust nie

Oder alleyn noch tugend stan, Die ander sach bleich, sur, und hert

In dem gedanck, komen zu jm Und hatt on freud eyn ernstlich gfert

Zwo frowen, die er bald on stym Die sprach, keyn wollust ich verheisz

Erkant, an jrem wesen wol, Keyn ruw, dann arbeit jn dim schweisz

Die eyn, was aller wollust vol Von tugent zu der tugent gon

Und hübsch geziert, mit reden susz Dar umb würt dir dann ewig Ion . .«

Zu diesem Texte Brants schuf Jakob Locher in seiner Narrenschiff-Bearbeitung von 1497 eine freie Paraphrase,
die sich in mehrere Kapitel gliedert: Im ersten Abschnitt »Concertatio virtutis cum voluptate« finden wir eine
große Illustration, die lehrbildhaft die Herkules-Erzählung Brants zusammenfaßt. Sie zeigt den ritterlichen Herkules, der

1 Vgl. Monatshefte für Kunstwissenschaft (1915), VIII, 52—57, Edm. W. Braun: Die Handzeichnungen des jüngeren Peter Vischer zu Pankraz
Schwenters Gedicht über die Herculestaten.

2 Die Frage, wie man sich die Anregungen, die Seb. Brant — laut Zeugnis des Verlegers Heinrich Steiner — dem Illustrator Weiditz über-
mittelte, zu denken habe, wird ausführlich beantwortet in meiner Abhandlung »Hans Weiditz und Sebastian Brant«, in welcher ich den Geistes-
anteil des gelehrten Moralisten an Stoff, Gehalt und Form der Illustrationen des Petrarka-Meisters zu bestimmen suche. Die ungünstigen Zeitumstände
verhindern noch die Publikation dieser druckfertig vorliegenden Untersuchung.
 
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