Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1926

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6494#0034
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
verdirbt. Der Rocken zeigt den Fleiß der Tugend, der Rosenkranz
an ihrem Gürtel weist ihr Gottvertrauen, ihr unterm Sterngewölbe
tiefgebeugter Nacken deutet an, daß sie sich voller Demut in den
Willen der Gestirne fügt.

*

Ich glaube, dieses Beispiel hat gelehrt, daß man — statt dem
imaginären Stimmungsreiz gar nicht vorhandener Märchen sich
anheimzugeben — viel besser fährt, wenn man sich um die
sachgemäße Deutung der Sinnbilder des Glücksbuches bemüht.
Denn eine solche klärende Bemühung, die nicht im Leeren nach
Mythologien schachtet, wird einen anderen Gewinn zutage fördern,
der als nicht minder ehrwürdiger Wert bestehen kann: die Einsicht
in die plastisch ausdrucksstarke Sittenlehre der Vergangenheit,
in die Moralia der alten Zeit, welche durch einprägsame Bilder
und Symbole wirkten, die wie ein Sprichwort im Gedächtnis haften
blieben.

Als Beispiel eines solchen volkstümlichen Lehrbildes be-
spreche ich die Illustration zum 109. Kapitel des Traktats Petrarkas,
das wieder ohne jede ausdrückliche Vorzeichnung des Bildmotivs
in allgemeiner Moralisation »Von guter Hoffnung« handelt:
Die beiden Gegenspieler »Freude« und »Vernunft« streiten um
den Begriff der wahren und gerechten Hoffnung, wobei die »Freude«
ihre Hoffnung auf die diesseitigen Güter setzt und ihren hoffärtigen
Materialismus dreist derart bekennt: »Ich hab mennschliche ver-
Abb. 5. Aus der Ars moriendi. Nach dem Holzschnitt, nunnfftunnd rede vonn den dingenn, so die mennschenngutt nennen.

Mich gelüstet inn hoffnung zu lebenn.« Die »Vernunft« entgegnet:
»Sprich warlicher in der hoffnung sterben, dann den gedenckenden auf künfftige ding empfallen die gegenwerigen unnd
wölliche nach ferren umb schawen, sehen nit was jnen vor den äugen ist. Und wölche jnen fürsetzen morgen zu leben,
leben heut nit . . . Sie (die Hoffnung) verzert sich selbs mit der weyl, verschwynndt offt durch unvermaynte zufell . .
Darumb ist warlich das ein gute hoffnung, die von dem warn gut ordenlich empfangen ist. Wer die hat, binde sie, halt
sie, lass nicht von jme, auch zu dem letzten . . . Dise hoffnung ist frölich, süss, warhafft, sälig und die den hoffenden
weder betreugt noch zu schänden macht.« In diesem Auszug sind die wesentlichsten Sätze aus dem Streitgespräch
zwischen der »Freude« und »Vernunft« enthalten.

Auch der zu diesem Text geschaffene Holzschnitt (Abb. 4) hat eine mythologisierende Erläuterung gefunden. Th.Musper
titulierte ihn so obenhin: »Vom Himmel werden Herzen empfangen«, wonach die drei Figuren auf dem Bild
einem legendenartigen Erlebnis unterständen. Eine sehr leichtfertige Auslegung, die selbst den anschaulichen Sach-
verhalt verkennt, in welchem nichts von einer Darreichung von oben her zu finden ist. Die Gotteshand, die aus den
Wolken taucht, ist nicht in gebender, sondern in segnender Gebärde ausgestreckt, wonach es sich um eine Darbringung
der Herzen handelt, um ein »Sursum corda«, dessen Sinnbedeutung leicht zu klären ist.

Bringen wir Illustration und Text in einen metaphorischen Zusammenhang, so finden wir, daß der Petrarka-Meister
die wahre und die falsch e Hoffnung im Sinnbild der drei Herzen allegorisieren wollte. Es ist nicht — wie Th. Musper
meint — ein in sich einheitlicher Vorgang dargestellt, vielmehr ist die Begebenheit des Bildes ganz offenbar in einen
Gegensatz zerspalten: Die Frau im Nonnenkleide und der ehrwürdige Greis der rechten Gruppe erheben mit dem Aus-
druck gläubiger Ergriffenheit ihr Herz zum Himmel und tragen es zur Segnung Gott entgegen. — Der breitspurige
Bürgersmann der linken Hälfte, durch seine Pelzschaube und schwere Kette als Reicher charakterisiert, wendet sich
offenbar vom Himmel ab und kehrt sich seinem Hintergrunde zu: einem ansehnlichen Patrizierhaus, an dessen
Fenstern Prunkgeschirre stehen, während im offenen Stalle Knecht und Rosse und rechts daneben drei Weinfässer in
einem offenen Keller sichtbar sind.

Daß diese Deutung richtig ziele, wird uns durch jenen Reim beglaubigt, welcher dem Abdruck dieses Holzschnittes
in Ciceros »Offizien« beigegeben ist. Er lautet:

»Ein hertz in gutem unverzagt und nit in schnöder hoffart tobt

das tugent übt und böss verjagt vor allen dingen wirt gelobt.«

Noch fester läßt sich ihre Richtigkeit begründen, wenn man sich an die Einzelgegenstände hält, welche in auf-
fälliger Schaustellung links in dem Hintergrund des Bildes dargeboten sind: den Pferdeknecht mit seinen Rossen, den
fässervollen Kellerraum, die Prunkgeschirre und das stolze Haus. Diese Motive gehören samt und sonders einer stereotypen
 
Annotationen