Büchern darauf und drei Stühlen daneben, zwischen ein paar kahlen Wänden. Kein Fenster, keine Türe, keine Posamentrie
und — keine Pose. Es sind zwei wirkliche Menschen, die irgend etwas erlebt haben, aber auch selber leben. In diesem
Blatte ist Schwind vom Range Chodowieckis und Menzels, doch er ist Österreicher. In diesem Blatte ist Schwind der
würdige Freund des Zeitgenossen Franz Schubert. Zw ei Jahre darauf macht er die öden Vignetten zu Tausendundeiner
Nacht, die in schlechten Holzschnitten Goethe gefallen (dem Schubert nicht gefällt); und wieder zwei Jahre später ist er
dann in München, bleibt nach einigen Wanderzügen dort und träumt manchmal vom verlorenen Wien . . .
Eduard Hanslick hat in dem zitierten Text zu Schwinds Opernzyklus der Wiener Loggia bedauert, daß die
Rossini-Lünette neben den besten komischen Opern des Italieners nicht auch seine beste ernste, den »Teil«, anstatt des
dramatisch schwächeren »Otello« repräsentiere. Und er hat dort auch die Vermutung ausgesprochen, daß Schwind den
Meister nur durch rein italienische Werke feiern wollte, wozu der »Teil« mit seinem deutsch-schweizerischen Thema
und seiner eher französischen Musik wenig geeignet gewesen wäre, die Rossini — seine rasante Theaterlaufbahn 1829
damit beschließend — für die Große Oper zu Paris geschrieben hatte. Nun gibt es aber wirklich in der früher königlichen
Privatbibliothek zu München ein Aquarell (Weigmann, S. 479), das die Oper »Wilhelm Teil« verherrlicht: Mitte —
Apfelschuß, links Rütlischwur, rechts Geßlers Tod. Es ist eine der zwölf leicht aquarellierten Zeichnungen, die Schwind
1867 auf Bestellung König Ludwigs II. zur Charakteristik der bedeutendsten Tondichter angefertigt hat, »die Ideen des
Wiener Opernhauses so ziemlich wieder« verwendend.1
In dieser Münchener Aquarellserie hat Schwind auch eine Lünette dem zeitgenössischen Daniel Francois Esprit
Auber gewidmet, den er unter den vierzehn Wiener Bildern nicht bedacht hatte (so wenig w ie Bellini, dem er Dittersdorf
vorgezogen wissen wollte). Schwind wählte — wie im »Teil« für alle drei Teile der Lünette — nicht »Fra Diavolo«,
1830, die populärste Oper des Franzosen, sondern »Die Stumme von Portici« (1828), Aubers erste große Oper, die seinen
Ruhm begründete und mit Rossinis »Teil« sowie Meyerbeers »Robert der Teufel« um 1830 das Repertoire des Pariser
Operntheaters revolutionierte. Als dem Meister der komischen Oper aber hatte ihm Schwind schon gehuldigt, indem
er — vor jenen späteren Hauptschöpfungen Aubers — eine andere Wiener Titelvignette zeichnete, zu »Der Maurer und
der Schlosser« (»Le macon«, Text von Scribe und Delavigne), die erste erfolgreiche Oper »romantisch-komischer« Art,
die Auber 1825 in edlem Wettstreit Boieldieus »Weißer Dame« gegenüberstellte. Die Oper wurde im August 1826 im
Wiener Kärntnertortheater gegeben (bis März 1838 aber nur 16mal2), mit deutscher Übersetzung von Johann Gabriel
Seidl. Wie das Textbuch, das J. P. Sollinger alsbald herausgab, der Verleger der Wiener Shakespeare-Ausgaben, so ist
der zweihändige Klavierauszug, den der frühere Hoftheater-Kapellmeister Thadäus Weigl3 — wohl in eigener Be-
arbeitung — verlegte, schon im September 1826 erschienen. Die »v. S.« bezeichnete, halbrunde Vignette Schwinds,
lithographiert bei Mansfeld & Comp., ist wahrscheinlich von ihm selbst auf Stein gezeichnet worden, in wesentlich ver-
besserter Technik derselben Kreidemanier, wie die etwa drei Jahre zuvor entstandenen Rossini-Bildchen 1 bis 6. Die
Szene zeigt den Schlosser Paolo und den Maurer Pietro, in dessen Hochzeitsnacht beide von Vermummten (einer ist im
Hintergrund zu sehen) weggeschleppt wurden; sie sollen an fremdem Orte ein Liebespaar anketten und einmauern, das
aber schließlich — dem eifersüchtigen Auftraggeber zum Trotz — von einem braven Sklaven befreit wird. Eine spätere,
reichere Szene in diesem Verließ stellt die ovale Vignette dar, die ein wenig begabter Unbekannter für Nummer 2 der
genannten Prager Ouvertüren-Sammlung um 1830 verfertigt hat. Herr Dr. Richard Abeles-Wien, der 24 von 29 Heften
dieser Kollektion besitzt, hat auch die seltene Schwind-Vignette auf dem Auber-Heft, das nur noch in der Musiksammlung
der Nationalbibliothek seit kurzem zu finden ist.1
Die Wiener Shakespeare-Ausgabe und die Wiener Rossini-Sammlung sind, trotz mancher urheberrechtlichen
Kühnheit, textlich für die deutsche Literatur- und Musikgeschichte nicht ohne Bedeutung. Wegen ihrer Vignetten,
»Inkunabeln der Schwind'schen Muse« (wie Holland S. 19 sagt), ist besonders die Rossini-Kollektion für die Geschichte
der deutschen Kunst beachtenswert. Und wenn dieser Beitrag zu Schwinds interessanter Jugendzeit dazu hilft, für die
seltenen und durch äußere Umstände immer noch vernachlässigten alten Notendrucke Freunde und Sammler zu finden,
so hat er seinen besten Zweck erfüllt. Otto Erich Deutsch.
1 Holland, S. 197. Vgl. dazu Schwinds Brie! an Mürike vom 17. Jänner 1867. Größe etwa 30X55 cm im Durchschnitt. Aufbau dreiteilig im
Halbrund, wie bei den Wiener Temperabildern.
2 Das Theater in der Josefstadt, das nicht nur die erfolgreichere Oper von Boieldieu parodierte (»Die schwarze Frau«), sondern bald auch die
von Auber (»Peterl und Paulerl«), hatte schon im Juni 1827 ..Maurer und Schlosser, selbst inszeniert. Im Oktober 1832, als das Theater in der Josef-
stadt mit der Hofoper wetteiferte, wurde dort neben »Maurer und Schlosser« auch »Die Stumme von Portici« aufgeführt.
3 Weigl hatte schon früher für den Hoftheater-Musikverlag solche Auszüge angefertigt.
i Nach Herrn Dr. Richard Abeles haben wir Herrn Dr. Ernst Österreicher zu danken, ferner der Maillinger-Sammlung und der Bayerischen
Graphischen Sammlung, endlich der Gesellschaft der Musikfreunde für freundliche Überlassung von Vorlagen zu den Abbildungen.
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und — keine Pose. Es sind zwei wirkliche Menschen, die irgend etwas erlebt haben, aber auch selber leben. In diesem
Blatte ist Schwind vom Range Chodowieckis und Menzels, doch er ist Österreicher. In diesem Blatte ist Schwind der
würdige Freund des Zeitgenossen Franz Schubert. Zw ei Jahre darauf macht er die öden Vignetten zu Tausendundeiner
Nacht, die in schlechten Holzschnitten Goethe gefallen (dem Schubert nicht gefällt); und wieder zwei Jahre später ist er
dann in München, bleibt nach einigen Wanderzügen dort und träumt manchmal vom verlorenen Wien . . .
Eduard Hanslick hat in dem zitierten Text zu Schwinds Opernzyklus der Wiener Loggia bedauert, daß die
Rossini-Lünette neben den besten komischen Opern des Italieners nicht auch seine beste ernste, den »Teil«, anstatt des
dramatisch schwächeren »Otello« repräsentiere. Und er hat dort auch die Vermutung ausgesprochen, daß Schwind den
Meister nur durch rein italienische Werke feiern wollte, wozu der »Teil« mit seinem deutsch-schweizerischen Thema
und seiner eher französischen Musik wenig geeignet gewesen wäre, die Rossini — seine rasante Theaterlaufbahn 1829
damit beschließend — für die Große Oper zu Paris geschrieben hatte. Nun gibt es aber wirklich in der früher königlichen
Privatbibliothek zu München ein Aquarell (Weigmann, S. 479), das die Oper »Wilhelm Teil« verherrlicht: Mitte —
Apfelschuß, links Rütlischwur, rechts Geßlers Tod. Es ist eine der zwölf leicht aquarellierten Zeichnungen, die Schwind
1867 auf Bestellung König Ludwigs II. zur Charakteristik der bedeutendsten Tondichter angefertigt hat, »die Ideen des
Wiener Opernhauses so ziemlich wieder« verwendend.1
In dieser Münchener Aquarellserie hat Schwind auch eine Lünette dem zeitgenössischen Daniel Francois Esprit
Auber gewidmet, den er unter den vierzehn Wiener Bildern nicht bedacht hatte (so wenig w ie Bellini, dem er Dittersdorf
vorgezogen wissen wollte). Schwind wählte — wie im »Teil« für alle drei Teile der Lünette — nicht »Fra Diavolo«,
1830, die populärste Oper des Franzosen, sondern »Die Stumme von Portici« (1828), Aubers erste große Oper, die seinen
Ruhm begründete und mit Rossinis »Teil« sowie Meyerbeers »Robert der Teufel« um 1830 das Repertoire des Pariser
Operntheaters revolutionierte. Als dem Meister der komischen Oper aber hatte ihm Schwind schon gehuldigt, indem
er — vor jenen späteren Hauptschöpfungen Aubers — eine andere Wiener Titelvignette zeichnete, zu »Der Maurer und
der Schlosser« (»Le macon«, Text von Scribe und Delavigne), die erste erfolgreiche Oper »romantisch-komischer« Art,
die Auber 1825 in edlem Wettstreit Boieldieus »Weißer Dame« gegenüberstellte. Die Oper wurde im August 1826 im
Wiener Kärntnertortheater gegeben (bis März 1838 aber nur 16mal2), mit deutscher Übersetzung von Johann Gabriel
Seidl. Wie das Textbuch, das J. P. Sollinger alsbald herausgab, der Verleger der Wiener Shakespeare-Ausgaben, so ist
der zweihändige Klavierauszug, den der frühere Hoftheater-Kapellmeister Thadäus Weigl3 — wohl in eigener Be-
arbeitung — verlegte, schon im September 1826 erschienen. Die »v. S.« bezeichnete, halbrunde Vignette Schwinds,
lithographiert bei Mansfeld & Comp., ist wahrscheinlich von ihm selbst auf Stein gezeichnet worden, in wesentlich ver-
besserter Technik derselben Kreidemanier, wie die etwa drei Jahre zuvor entstandenen Rossini-Bildchen 1 bis 6. Die
Szene zeigt den Schlosser Paolo und den Maurer Pietro, in dessen Hochzeitsnacht beide von Vermummten (einer ist im
Hintergrund zu sehen) weggeschleppt wurden; sie sollen an fremdem Orte ein Liebespaar anketten und einmauern, das
aber schließlich — dem eifersüchtigen Auftraggeber zum Trotz — von einem braven Sklaven befreit wird. Eine spätere,
reichere Szene in diesem Verließ stellt die ovale Vignette dar, die ein wenig begabter Unbekannter für Nummer 2 der
genannten Prager Ouvertüren-Sammlung um 1830 verfertigt hat. Herr Dr. Richard Abeles-Wien, der 24 von 29 Heften
dieser Kollektion besitzt, hat auch die seltene Schwind-Vignette auf dem Auber-Heft, das nur noch in der Musiksammlung
der Nationalbibliothek seit kurzem zu finden ist.1
Die Wiener Shakespeare-Ausgabe und die Wiener Rossini-Sammlung sind, trotz mancher urheberrechtlichen
Kühnheit, textlich für die deutsche Literatur- und Musikgeschichte nicht ohne Bedeutung. Wegen ihrer Vignetten,
»Inkunabeln der Schwind'schen Muse« (wie Holland S. 19 sagt), ist besonders die Rossini-Kollektion für die Geschichte
der deutschen Kunst beachtenswert. Und wenn dieser Beitrag zu Schwinds interessanter Jugendzeit dazu hilft, für die
seltenen und durch äußere Umstände immer noch vernachlässigten alten Notendrucke Freunde und Sammler zu finden,
so hat er seinen besten Zweck erfüllt. Otto Erich Deutsch.
1 Holland, S. 197. Vgl. dazu Schwinds Brie! an Mürike vom 17. Jänner 1867. Größe etwa 30X55 cm im Durchschnitt. Aufbau dreiteilig im
Halbrund, wie bei den Wiener Temperabildern.
2 Das Theater in der Josefstadt, das nicht nur die erfolgreichere Oper von Boieldieu parodierte (»Die schwarze Frau«), sondern bald auch die
von Auber (»Peterl und Paulerl«), hatte schon im Juni 1827 ..Maurer und Schlosser, selbst inszeniert. Im Oktober 1832, als das Theater in der Josef-
stadt mit der Hofoper wetteiferte, wurde dort neben »Maurer und Schlosser« auch »Die Stumme von Portici« aufgeführt.
3 Weigl hatte schon früher für den Hoftheater-Musikverlag solche Auszüge angefertigt.
i Nach Herrn Dr. Richard Abeles haben wir Herrn Dr. Ernst Österreicher zu danken, ferner der Maillinger-Sammlung und der Bayerischen
Graphischen Sammlung, endlich der Gesellschaft der Musikfreunde für freundliche Überlassung von Vorlagen zu den Abbildungen.
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