den schönsten Plastikzeichnungen, den wenigen Kompositionsentwiirfen
und einigen Naturstudien wird eine großeReihedergemäldevorbereitenden
Einzelstudien vor uns ausgebreitet. Es zeugt für den unerhörten Er-
findungsreichtum des .Malers, daß ein halbes Hundert dieser Einzel-
studien keineswegs ermüdend wirkt, daß wir uns immer wieder an der
Schönheit und Zweckmäßigkeit des Motivs und an der Kraft der Strich-
führung erfreuen, die, Kontur- und Binnenzeichnung verbindend, das
Wesentliche der plastischen Erscheinung herausarbeitet. Die Größe des
Stils, die uns vor den Gemälden des Meisters gefangen nimmt, spricht
auch aus diesen schnellen und sicheren Fixierungen der Bewegung.
Es ist vollkommen verständlich, daß bei Tintorettos Arbeitsweise
eine stilkritische chronologische Datierung der Zeichnungen mit Aus-
nahme der Frühwerke aus sich heraus unmöglich ist. Um so begrüßens-
werter ist eine Tabelle der annähernd datierbaren Zeichnungen, die sich
auf sämtliche Jahrzehnte von Tintorettos Schaffen verteilen und von
denen die letzten als die freiesten und leichtesten erscheinen, während
die aus der mittleren Zeit den größten Formenreichtum offenbaren. Das
einzige Bedauern, das wir bei dieser Publikation aussprechen müssen,
betrifft den Umstand, daß eine Auswahl getroffen werden mußte und daß
Hadeln uns nicht das ganze ihm zur Verfügung stehende Corpus der
Tintoretto-Zeichnungen vorlegen konnte.
Von Tizian besitzen wir eine viel geringere Zahl von Zeichnungen
als von Tintoretto, und diese läßt sich nicht mit derselben stilkritischen
Sicherheit dem Meister zuschreiben. Es ist ein vielfach disparates
Material, das nur in einigen wenigen Ausnahmefällen mit Bildern des
Künstlers in Zusammenhang zu bringen ist. Auch hier konnte Hadeln
auf eigenen älteren Forschungen beruhen und die kleine Zahl früherer
Werke, die er damals zusammengestellt hatte,1 um eine Reihe später
freier Blätter vermehren. Vollkommen logisch hat der Verfasser die
Zeichnungen in zwei Gruppen, und zwar nach technischen Gesichts-
punkten geteilt, indem er die Federzeichnungen von den Kreidezeich-
nungen schied und nun die beiden Teile chronologisch anordnete. Eine
Reihe von Schülerzeichnungen beschließt die Publikation. Bei der Spär-
lichkeit des Erhaltenen bietet der Band naturgemäß nicht das gleiche
einheitliche Bild wie der Tintoretto-Band. Berufeneren muß es vorbe-
halten werden, sich zu allen einzelnen Blättern zu äußern. Eine Liste der
von namhaften Autoren Tizian zugewiesenen, von Hadeln ihm aber ab-
gesprochenen Zeichnungen ermöglicht es jedermann, das Urteil des
Verfassers zu überprüfen. Der Text enthält ausgezeichnete Bemerkungen
über die Bedeutung der Zeichnung für den Maler Tizian. Boschinis, an-
geblich durch Palma Giovine übermittelter Bericht über Tizians spätere
Arbeitsweise, wonach der Künstler tiefgreifende Korrekturen während
der Arbeit am Gemälde selbst gelegentlich wiederholt vornahm, bedürfte
freilich der Kontrolle am erhaltenen Material, da weitergehende Än-
derungen im Laufe der Jahrhunderte infolge Durchwachsen der Farbe
unbedingt zutage treten müssen. Jedenfalls erscheint der von Hadeln
dargelegte Entwicklungsgang des großen Tizian durchwegs logisch.
Besonders interessant ist der aufgezeigte Einfluß des Dürerschen Holz-
schnittstiles auf die frühere Zeichnungsmanier des großen Italieners.
Der Band über die venezianischen Zeichnungen des Quattrocento
bringt uns die überraschende Tatsache, daß sich in Venedig zu
Ende des XV. Jahrhunderts ein reicher, ganz konkret bestimmter
Zeichnungsstil ausgebildet hatte, der nicht nur für die spätere venezianische
Malerei bis Tintoretto, sondern auch für Dürer von ausschlaggebender
Bedeutung werden sollte. Zwei Proben der KunstJacopo Beilinis eröffnen
den Band. Eine einzig erhaltene Werkzeichnung Crivellis gibt uns einen
Begriff über die ältere venezianische Art. Von Gentile Bellini besitzen wir
schon Studienblätter, Porträte, Kompositionsentwürfe und für den
Besteller hergestellte Modelle. Ein reiches Werk gewann Hadeln von
Carpaccio: 40 auf seine ganze Schaffenszeit verteilte Blätter mit Kom-
positionen und Einzelstudien, die ein reiches Bild seiner Entwicklung
aufrollen und von denen die ersten einen unerhört feinen zeichnerischen
Reiz ausatmen und vollkommenen graphischen Eigenwert besitzen. Die
Entdeckung einer Zeichnung von Antonello da Messina erscheint von
besonderem Wert. Sie zeigt uns deutlich den durch die Niederländer
i Über Zeichnungen der früheren Zeit Tizians. Jahrbuch der preußi
vermittelten Wandel in der Bildnisauffassung, der Giovanni Beilinis
Porträtzeichnungen von denen der älteren Meister scheidet. Eine Über-
raschung bieten uns dann die 18 Zeichnungen, die von Giovanni Bellmi
abgebildet sind. Hadeln hat hier nicht nur das Verstreute gesammelt,
sondern auch das Gesammelte durch treffliche eigene Beobachtungen
vermehrt. Neben Blätter, die noch deutlich Mantegnas Einfluß verraten,
und die sicher als Vorstufen für Gemälde gedacht sind, tritt ein nach
oben gewendeter Jünglingskopf, der schon Antonellos Einfluß aufweist.
Eine Draperiestudie beweist, daß die Zeichnung für Bellini schon ein
Mittel wird, sich über Tonwerte klarzuwerden. Die Krone bildet dann
eine wundervolle Silberstiftzeichnung einer jungenFrau. Vollkommene Frei-
heit der graphischen Mittel zeigt eine nur im Umriß hingeschriebene ruhende
Figur. Einzig bei dem Jünglingsporträt der Albertina möchte ich die von
Hadeln ausgesprochene Frage, ob hier Bellini oder ein ihm hier un-
gewöhnlich nahekommender Schüler in Betracht kommen, im Gegensatz
zum Verfasser im letzteren Sinne lösen, da mir die ganze Auffassung
und die Unmittelbarkeit der Wirkung doch zu cinquecentistisch er-
scheint, um sie dem doch noch zu stark an die eigene Vergangenheit
gebundenen alten Meister zuzutrauen. Trotz Hadelns Bedenken scheint
mir hier Lotto die einzige Möglichkeit zu sein, dessen Bildnis mit der
Lampe in Wien auf gleicher Stilstufe steht wie die Zeichnung (Morelii
hatte beide Werke Jacopo de' Barbari zugeteilt) und eine ganz ähnliche
plastische Durchführung zeigt und an dem ich nichts von den Mängeln
erblicken kann, die den Verfasser an seinen frühen Porträten stören. An
Giovanni Bellini schließen sich dann Cima da Conegliano vor allem mit
zwei überraschenden Landschaften, Alvise Vivarini, Marco Basaiti, Andrea
Previtali (dem Hadeln auch einen schon ganz cinquecentesken Frauenkopf
zuschreibt), Bartolommeo Veneto, Bissolo, Jacopo de' Barbari und Giro-
lamo da Santacroce an. Sie überraschen durch oft glänzend gelungene
graphische Leistungen.
Es verlautet, daß bald ein vierter und fünfter Band der freien Folge
erscheinen werden, die die Zeichnungen der venezianischen Cinquecen-
tisten von Giorgione bis Veronese, die neben den Titanen Tizian und
Tintoretto (von denen übrigens neuentdeckte Zeichnungen aufgenommen
werden könnten) tätig waren, enthalten und so das begonnene Werk ab-
schließen werden. Ludwig Baldaß.
Adolf Schinnerer, Aktzeichnungen aus fünf Jahr-
hunderten. R. Piper & Co., München 1925.
Unter den handlichen und wohlausgestatteten Handzeichnungs-
veröffentlichungen des Verlags nimmt die vorliegende einen Platz für sich
ein. Sie ist nicht einem der großen Meister des Stiftes gewidmet, sondern
verfolgt ein Problem, das des menschlichen Körpers, ohne Scheidung von
Naturstudie und freiem Entwurf durch ein halbes Jahrtausend; Führerist
nicht ein Kunsthistoriker, sondern ein Künstler, der gewohnt ist, junge
Menschen in die Welt der Zeichnung praktisch einzuführen. Sein »Buch
ist nicht am Schreibtisch, sondern im Aktsaal entstanden«. Das gibt ihm
über seine zusammenfassende Idee hinaus — die innere von den Alt-
italienem und Altniederländern bis Cezanne und Marees bewahrte, viel-
fach gewandelte Einheit aufzuzeigen — den lebendigen Reiz; ein Mann
vom Bau spricht im Rahmen seiner Kompetenz und bezeugt die Frische
seiner Empfindung nicht nur in der Auswahl der vielfach abseits vom All-
bekannten gefundenen Blätter, sondern auch in den aphoristischen Er-
läuterungen, mit denen er jedes von ihnen einführt. Es sind zum Teile
Beobachtungen und Bewertungen von einer Feinfühligkeit, die den Be-
schauer zu dankbarem Genuß anleitet. Die Grundtendenz entspringt dem
Lebensinstinkt des Autors, der den Sinn für jenen organischen Zwang
verteidigt, den das Kunstwerk mit der Natur teilt; wer wollte darob mit
ihm rechten und auf Gegenargumente hinweisen, die nachgerade so wohl-
feil wie Brombeeren geworden sind. Es wäre sinnlos, denn hinter dem
Buche steht, ganz und sprunglos, der schreibende Künstler, dessen Wesen
sich so gut in den altmeisterlichen Blättern wie in den köstlichen deutschen
und französischen Zeichnungen des neunzehnten Jahrhunderts wider-
spiegelt, die er liebt und deshalb mit kluger Wärme ausdeutet.
H. Tktze.
:hen Kunstsammlungen. XXXIV. Berlin 1913, S. 224 ff.
und einigen Naturstudien wird eine großeReihedergemäldevorbereitenden
Einzelstudien vor uns ausgebreitet. Es zeugt für den unerhörten Er-
findungsreichtum des .Malers, daß ein halbes Hundert dieser Einzel-
studien keineswegs ermüdend wirkt, daß wir uns immer wieder an der
Schönheit und Zweckmäßigkeit des Motivs und an der Kraft der Strich-
führung erfreuen, die, Kontur- und Binnenzeichnung verbindend, das
Wesentliche der plastischen Erscheinung herausarbeitet. Die Größe des
Stils, die uns vor den Gemälden des Meisters gefangen nimmt, spricht
auch aus diesen schnellen und sicheren Fixierungen der Bewegung.
Es ist vollkommen verständlich, daß bei Tintorettos Arbeitsweise
eine stilkritische chronologische Datierung der Zeichnungen mit Aus-
nahme der Frühwerke aus sich heraus unmöglich ist. Um so begrüßens-
werter ist eine Tabelle der annähernd datierbaren Zeichnungen, die sich
auf sämtliche Jahrzehnte von Tintorettos Schaffen verteilen und von
denen die letzten als die freiesten und leichtesten erscheinen, während
die aus der mittleren Zeit den größten Formenreichtum offenbaren. Das
einzige Bedauern, das wir bei dieser Publikation aussprechen müssen,
betrifft den Umstand, daß eine Auswahl getroffen werden mußte und daß
Hadeln uns nicht das ganze ihm zur Verfügung stehende Corpus der
Tintoretto-Zeichnungen vorlegen konnte.
Von Tizian besitzen wir eine viel geringere Zahl von Zeichnungen
als von Tintoretto, und diese läßt sich nicht mit derselben stilkritischen
Sicherheit dem Meister zuschreiben. Es ist ein vielfach disparates
Material, das nur in einigen wenigen Ausnahmefällen mit Bildern des
Künstlers in Zusammenhang zu bringen ist. Auch hier konnte Hadeln
auf eigenen älteren Forschungen beruhen und die kleine Zahl früherer
Werke, die er damals zusammengestellt hatte,1 um eine Reihe später
freier Blätter vermehren. Vollkommen logisch hat der Verfasser die
Zeichnungen in zwei Gruppen, und zwar nach technischen Gesichts-
punkten geteilt, indem er die Federzeichnungen von den Kreidezeich-
nungen schied und nun die beiden Teile chronologisch anordnete. Eine
Reihe von Schülerzeichnungen beschließt die Publikation. Bei der Spär-
lichkeit des Erhaltenen bietet der Band naturgemäß nicht das gleiche
einheitliche Bild wie der Tintoretto-Band. Berufeneren muß es vorbe-
halten werden, sich zu allen einzelnen Blättern zu äußern. Eine Liste der
von namhaften Autoren Tizian zugewiesenen, von Hadeln ihm aber ab-
gesprochenen Zeichnungen ermöglicht es jedermann, das Urteil des
Verfassers zu überprüfen. Der Text enthält ausgezeichnete Bemerkungen
über die Bedeutung der Zeichnung für den Maler Tizian. Boschinis, an-
geblich durch Palma Giovine übermittelter Bericht über Tizians spätere
Arbeitsweise, wonach der Künstler tiefgreifende Korrekturen während
der Arbeit am Gemälde selbst gelegentlich wiederholt vornahm, bedürfte
freilich der Kontrolle am erhaltenen Material, da weitergehende Än-
derungen im Laufe der Jahrhunderte infolge Durchwachsen der Farbe
unbedingt zutage treten müssen. Jedenfalls erscheint der von Hadeln
dargelegte Entwicklungsgang des großen Tizian durchwegs logisch.
Besonders interessant ist der aufgezeigte Einfluß des Dürerschen Holz-
schnittstiles auf die frühere Zeichnungsmanier des großen Italieners.
Der Band über die venezianischen Zeichnungen des Quattrocento
bringt uns die überraschende Tatsache, daß sich in Venedig zu
Ende des XV. Jahrhunderts ein reicher, ganz konkret bestimmter
Zeichnungsstil ausgebildet hatte, der nicht nur für die spätere venezianische
Malerei bis Tintoretto, sondern auch für Dürer von ausschlaggebender
Bedeutung werden sollte. Zwei Proben der KunstJacopo Beilinis eröffnen
den Band. Eine einzig erhaltene Werkzeichnung Crivellis gibt uns einen
Begriff über die ältere venezianische Art. Von Gentile Bellini besitzen wir
schon Studienblätter, Porträte, Kompositionsentwürfe und für den
Besteller hergestellte Modelle. Ein reiches Werk gewann Hadeln von
Carpaccio: 40 auf seine ganze Schaffenszeit verteilte Blätter mit Kom-
positionen und Einzelstudien, die ein reiches Bild seiner Entwicklung
aufrollen und von denen die ersten einen unerhört feinen zeichnerischen
Reiz ausatmen und vollkommenen graphischen Eigenwert besitzen. Die
Entdeckung einer Zeichnung von Antonello da Messina erscheint von
besonderem Wert. Sie zeigt uns deutlich den durch die Niederländer
i Über Zeichnungen der früheren Zeit Tizians. Jahrbuch der preußi
vermittelten Wandel in der Bildnisauffassung, der Giovanni Beilinis
Porträtzeichnungen von denen der älteren Meister scheidet. Eine Über-
raschung bieten uns dann die 18 Zeichnungen, die von Giovanni Bellmi
abgebildet sind. Hadeln hat hier nicht nur das Verstreute gesammelt,
sondern auch das Gesammelte durch treffliche eigene Beobachtungen
vermehrt. Neben Blätter, die noch deutlich Mantegnas Einfluß verraten,
und die sicher als Vorstufen für Gemälde gedacht sind, tritt ein nach
oben gewendeter Jünglingskopf, der schon Antonellos Einfluß aufweist.
Eine Draperiestudie beweist, daß die Zeichnung für Bellini schon ein
Mittel wird, sich über Tonwerte klarzuwerden. Die Krone bildet dann
eine wundervolle Silberstiftzeichnung einer jungenFrau. Vollkommene Frei-
heit der graphischen Mittel zeigt eine nur im Umriß hingeschriebene ruhende
Figur. Einzig bei dem Jünglingsporträt der Albertina möchte ich die von
Hadeln ausgesprochene Frage, ob hier Bellini oder ein ihm hier un-
gewöhnlich nahekommender Schüler in Betracht kommen, im Gegensatz
zum Verfasser im letzteren Sinne lösen, da mir die ganze Auffassung
und die Unmittelbarkeit der Wirkung doch zu cinquecentistisch er-
scheint, um sie dem doch noch zu stark an die eigene Vergangenheit
gebundenen alten Meister zuzutrauen. Trotz Hadelns Bedenken scheint
mir hier Lotto die einzige Möglichkeit zu sein, dessen Bildnis mit der
Lampe in Wien auf gleicher Stilstufe steht wie die Zeichnung (Morelii
hatte beide Werke Jacopo de' Barbari zugeteilt) und eine ganz ähnliche
plastische Durchführung zeigt und an dem ich nichts von den Mängeln
erblicken kann, die den Verfasser an seinen frühen Porträten stören. An
Giovanni Bellini schließen sich dann Cima da Conegliano vor allem mit
zwei überraschenden Landschaften, Alvise Vivarini, Marco Basaiti, Andrea
Previtali (dem Hadeln auch einen schon ganz cinquecentesken Frauenkopf
zuschreibt), Bartolommeo Veneto, Bissolo, Jacopo de' Barbari und Giro-
lamo da Santacroce an. Sie überraschen durch oft glänzend gelungene
graphische Leistungen.
Es verlautet, daß bald ein vierter und fünfter Band der freien Folge
erscheinen werden, die die Zeichnungen der venezianischen Cinquecen-
tisten von Giorgione bis Veronese, die neben den Titanen Tizian und
Tintoretto (von denen übrigens neuentdeckte Zeichnungen aufgenommen
werden könnten) tätig waren, enthalten und so das begonnene Werk ab-
schließen werden. Ludwig Baldaß.
Adolf Schinnerer, Aktzeichnungen aus fünf Jahr-
hunderten. R. Piper & Co., München 1925.
Unter den handlichen und wohlausgestatteten Handzeichnungs-
veröffentlichungen des Verlags nimmt die vorliegende einen Platz für sich
ein. Sie ist nicht einem der großen Meister des Stiftes gewidmet, sondern
verfolgt ein Problem, das des menschlichen Körpers, ohne Scheidung von
Naturstudie und freiem Entwurf durch ein halbes Jahrtausend; Führerist
nicht ein Kunsthistoriker, sondern ein Künstler, der gewohnt ist, junge
Menschen in die Welt der Zeichnung praktisch einzuführen. Sein »Buch
ist nicht am Schreibtisch, sondern im Aktsaal entstanden«. Das gibt ihm
über seine zusammenfassende Idee hinaus — die innere von den Alt-
italienem und Altniederländern bis Cezanne und Marees bewahrte, viel-
fach gewandelte Einheit aufzuzeigen — den lebendigen Reiz; ein Mann
vom Bau spricht im Rahmen seiner Kompetenz und bezeugt die Frische
seiner Empfindung nicht nur in der Auswahl der vielfach abseits vom All-
bekannten gefundenen Blätter, sondern auch in den aphoristischen Er-
läuterungen, mit denen er jedes von ihnen einführt. Es sind zum Teile
Beobachtungen und Bewertungen von einer Feinfühligkeit, die den Be-
schauer zu dankbarem Genuß anleitet. Die Grundtendenz entspringt dem
Lebensinstinkt des Autors, der den Sinn für jenen organischen Zwang
verteidigt, den das Kunstwerk mit der Natur teilt; wer wollte darob mit
ihm rechten und auf Gegenargumente hinweisen, die nachgerade so wohl-
feil wie Brombeeren geworden sind. Es wäre sinnlos, denn hinter dem
Buche steht, ganz und sprunglos, der schreibende Künstler, dessen Wesen
sich so gut in den altmeisterlichen Blättern wie in den köstlichen deutschen
und französischen Zeichnungen des neunzehnten Jahrhunderts wider-
spiegelt, die er liebt und deshalb mit kluger Wärme ausdeutet.
H. Tktze.
:hen Kunstsammlungen. XXXIV. Berlin 1913, S. 224 ff.