Historique sur la Lithographie«,1 und noch 1820 mußte Lorenz Kohl in seinem Lehrbuch der Lithographie2 feststellen
daß »die Lithographie, im Vergleich mit andern dergleichen Erfindungen, mit reißender Schnelligkeit vorwärts gegangen«
sei, sich aber gerade »in Italien noch wenig ausgebreitet habe, woran wohl die Unbekanntschaft mit unserer Sprache
Schuld seyn mag«. Erst anfangs der zwanziger Jahre gelangte die Druckerei DaH'Armis nach jahrelangem Stillstand
wieder zu einiger Bedeutung. Aber 1815 bestand in Rom überhaupt keine lithographische Druckerei. Und selbst für den
Fall, daß damals doch eine kleine lithographische Anstalt, deren Tätigkeit sich allerdings weder durch literarische, noch
durch künstlerische Dokumente belegen ließe, abseits und unbeachtet in Betrieb gewesen wäre und daß Ingres doch
die für ihn und in Rom ganz ungebräuchliche Technik der Lithographie gerade für diese Porträtaufträge angewendet
hätte, so hätte er die vier Porträte nach der Reihenfolge der Aufträge auf einzelne kleine Steine gezeichnet und kaum
schon im vorhinein einen so umfangreichen Stein gewählt, dessen Behandlung, Druck und Disposition3 reiche Erfahrung
erfordert und erkennen läßt und für einen rationell und ökonomisch arbeitenden Betrieb spricht, wie ihn die Hullmandelsche
Anstalt anfangs der zwanziger Jahre darstellt.
Die Entstehung der vier Lithographien muß auf andere Weise vor sich gegangen sein: Am 6. Februar 1817 war
Lady Glenbervie gestorben und kaum drei Jahre später, am 21. Oktober 1819, folgte ihr ihr Sohn in den Tod. Lord
Glenbervie, der erst 1823 starb, oder der Earl of Guildford, der seinen Schwager um vier Jahre überlebte, waren mit
den Zeichnungen, die Ingres von ihnen und ihren Angehörigen 1815 in Rom gemacht hatte, in die Heimat zurück-
gekehrt und wollten nun die vier Porträte — Erinnerungen an den gemeinsamen römischen Aufenthalt der Familie — in der
modernen lithographischen Manier vervielfältigen lassen. In London kam für diese Arbeit nur die Anstalt Hullmandels
in Betracht, die in kurzer Zeit einen großen Aufschwung genommen hatte. Hullmandel, der sich anfangs selbst als
Lithograph betätigt hatte,1 ließ die Zeichnungen von einem seiner Lithographen auf dem Stein nachzeichnen und von
einem Schriftstecher beschreiben. Die Originalzeichnungen5 sind bisher nicht bekannt geworden; sie sind entweder noch
verschollen und tauchen einmal in englischem Privatbesitz auf, oder aber sie sind bei der Übertragung auf den Stein
durch Umdruckversuche oder unsachgemäße Behandlung zugrunde gegangen. Ihr Fehlen bedeutet kein Argument gegen
die Anschauung, daß die vier Bildnisse Reproduktionslithographien sind. Denn zu den schwerwiegenden und bisher fast
unbeachteten Gründen, die gegen Delteils Meinung sprechen, besonders zu der von ihm beobachteten und registrierten,
aber nicht untersuchten und aufgeklärten Verbindung von römischer Signierung (1815) und Londoner Adresse (um 1821),G
1 Essai Historique sur Ia Lithographie. Renfermant 1. L'histoire de cette decouverte; 2. Une Notice bibliographique des ouvrages
qui ont paru sur la Lithographie et 3. Une Notice chronologique des differents genres de gravures qui ont plus ou moins de rapport avec la
Lithographie. Par G(abriel) P(eignot). Paris 1819, p. 19, An-
merkung 1.
2 Practische Anleitung zur Lithographie. Herausgegeben von
Lorenz Kohl. Wien 1820. S. IX.
3 Die Anordnung der vier Bildnisse auf den unzerschnittenen
Drucken ist folgende: obere Reihe: Bildnis der Mutter (D. 3), Bild-
nis des Vaters (D. 2); untere Reihe: Bildnis des Sohnes (D. 5),
Bildnis des Bruders der Mutter (D. 4). Da Delteil nur die Maße
von D. 3 angibt, seien die Maße der übrigen Blätter nachgetragen.
D. 2 : 17-5 :9, D. 4: 18 : 19, D. 5 : 19 : 16-5. Die Maße der un-
beschnittenen Drucke aller vier Blätter mit vollem Papierrand be-
tragen 61-8 : 44-5.
* Seine literarischen Arbeiten über die Lithographie verzeichnet
die ausgezeichnete Bibliographie von Carl Kampmann, Die Literatur
der Lithographie von 1798—1898. Wien 1899 (Sonderabdruck aus
»Freie Künste«, Jahrg. 1899), S. S, 10, 11 und 17.
5 Die von Boyer d'Agen, Ingres d'apres une corrcspondance
inedite (Paris 1909), auf Tafel 30, mit dem unrichtigen Datum 1813,
abgebildete Zeichnung mit der Darstellung von D. 3 im Museum
von Montauban ist keine Originalzeichnung Ingres', sondern eine
Nachzeichnung nach der Lithographie von M. J. Corabeuf, worauf
Delteil im Manuel de l'Amateur, I., p. 67, hinwies. Zur Beurteilung
des Buches Boyer d'Agens vergleiche die Kritik Henri Lapauzes in
der Nouvelle Revue, 15. November 1909, p. 182—192.
6 »On rencontre fort peu d'exemplaires de ces quatre portraits
qui, executes ä Rome, furent publies, parfois tires sur la meme
feuille, non pas en France, mais en Angleterre, par Hullmandel,
imprimeur-editeur dont on retrouve notamment, comme on sait,
le nom au bas d'ceuvres de Gericault«. Delteil, Manuel de l'Amateur,
I., p. 66. Diese Lithographien sind aber eben nicht nur in England
gedruckt, sondern auch in England entstanden. Vgl. Loys Delteil,
Le Peintre-Graveur Illustre, Tome Dix-septieme: Theodore Gericault,
Paris 1924.
Abb. 2. Bildnis des Frederic Sylvester Douglas. Französische Lithographi.
nach Ingres (D. 6). Um 1825.
daß »die Lithographie, im Vergleich mit andern dergleichen Erfindungen, mit reißender Schnelligkeit vorwärts gegangen«
sei, sich aber gerade »in Italien noch wenig ausgebreitet habe, woran wohl die Unbekanntschaft mit unserer Sprache
Schuld seyn mag«. Erst anfangs der zwanziger Jahre gelangte die Druckerei DaH'Armis nach jahrelangem Stillstand
wieder zu einiger Bedeutung. Aber 1815 bestand in Rom überhaupt keine lithographische Druckerei. Und selbst für den
Fall, daß damals doch eine kleine lithographische Anstalt, deren Tätigkeit sich allerdings weder durch literarische, noch
durch künstlerische Dokumente belegen ließe, abseits und unbeachtet in Betrieb gewesen wäre und daß Ingres doch
die für ihn und in Rom ganz ungebräuchliche Technik der Lithographie gerade für diese Porträtaufträge angewendet
hätte, so hätte er die vier Porträte nach der Reihenfolge der Aufträge auf einzelne kleine Steine gezeichnet und kaum
schon im vorhinein einen so umfangreichen Stein gewählt, dessen Behandlung, Druck und Disposition3 reiche Erfahrung
erfordert und erkennen läßt und für einen rationell und ökonomisch arbeitenden Betrieb spricht, wie ihn die Hullmandelsche
Anstalt anfangs der zwanziger Jahre darstellt.
Die Entstehung der vier Lithographien muß auf andere Weise vor sich gegangen sein: Am 6. Februar 1817 war
Lady Glenbervie gestorben und kaum drei Jahre später, am 21. Oktober 1819, folgte ihr ihr Sohn in den Tod. Lord
Glenbervie, der erst 1823 starb, oder der Earl of Guildford, der seinen Schwager um vier Jahre überlebte, waren mit
den Zeichnungen, die Ingres von ihnen und ihren Angehörigen 1815 in Rom gemacht hatte, in die Heimat zurück-
gekehrt und wollten nun die vier Porträte — Erinnerungen an den gemeinsamen römischen Aufenthalt der Familie — in der
modernen lithographischen Manier vervielfältigen lassen. In London kam für diese Arbeit nur die Anstalt Hullmandels
in Betracht, die in kurzer Zeit einen großen Aufschwung genommen hatte. Hullmandel, der sich anfangs selbst als
Lithograph betätigt hatte,1 ließ die Zeichnungen von einem seiner Lithographen auf dem Stein nachzeichnen und von
einem Schriftstecher beschreiben. Die Originalzeichnungen5 sind bisher nicht bekannt geworden; sie sind entweder noch
verschollen und tauchen einmal in englischem Privatbesitz auf, oder aber sie sind bei der Übertragung auf den Stein
durch Umdruckversuche oder unsachgemäße Behandlung zugrunde gegangen. Ihr Fehlen bedeutet kein Argument gegen
die Anschauung, daß die vier Bildnisse Reproduktionslithographien sind. Denn zu den schwerwiegenden und bisher fast
unbeachteten Gründen, die gegen Delteils Meinung sprechen, besonders zu der von ihm beobachteten und registrierten,
aber nicht untersuchten und aufgeklärten Verbindung von römischer Signierung (1815) und Londoner Adresse (um 1821),G
1 Essai Historique sur Ia Lithographie. Renfermant 1. L'histoire de cette decouverte; 2. Une Notice bibliographique des ouvrages
qui ont paru sur la Lithographie et 3. Une Notice chronologique des differents genres de gravures qui ont plus ou moins de rapport avec la
Lithographie. Par G(abriel) P(eignot). Paris 1819, p. 19, An-
merkung 1.
2 Practische Anleitung zur Lithographie. Herausgegeben von
Lorenz Kohl. Wien 1820. S. IX.
3 Die Anordnung der vier Bildnisse auf den unzerschnittenen
Drucken ist folgende: obere Reihe: Bildnis der Mutter (D. 3), Bild-
nis des Vaters (D. 2); untere Reihe: Bildnis des Sohnes (D. 5),
Bildnis des Bruders der Mutter (D. 4). Da Delteil nur die Maße
von D. 3 angibt, seien die Maße der übrigen Blätter nachgetragen.
D. 2 : 17-5 :9, D. 4: 18 : 19, D. 5 : 19 : 16-5. Die Maße der un-
beschnittenen Drucke aller vier Blätter mit vollem Papierrand be-
tragen 61-8 : 44-5.
* Seine literarischen Arbeiten über die Lithographie verzeichnet
die ausgezeichnete Bibliographie von Carl Kampmann, Die Literatur
der Lithographie von 1798—1898. Wien 1899 (Sonderabdruck aus
»Freie Künste«, Jahrg. 1899), S. S, 10, 11 und 17.
5 Die von Boyer d'Agen, Ingres d'apres une corrcspondance
inedite (Paris 1909), auf Tafel 30, mit dem unrichtigen Datum 1813,
abgebildete Zeichnung mit der Darstellung von D. 3 im Museum
von Montauban ist keine Originalzeichnung Ingres', sondern eine
Nachzeichnung nach der Lithographie von M. J. Corabeuf, worauf
Delteil im Manuel de l'Amateur, I., p. 67, hinwies. Zur Beurteilung
des Buches Boyer d'Agens vergleiche die Kritik Henri Lapauzes in
der Nouvelle Revue, 15. November 1909, p. 182—192.
6 »On rencontre fort peu d'exemplaires de ces quatre portraits
qui, executes ä Rome, furent publies, parfois tires sur la meme
feuille, non pas en France, mais en Angleterre, par Hullmandel,
imprimeur-editeur dont on retrouve notamment, comme on sait,
le nom au bas d'ceuvres de Gericault«. Delteil, Manuel de l'Amateur,
I., p. 66. Diese Lithographien sind aber eben nicht nur in England
gedruckt, sondern auch in England entstanden. Vgl. Loys Delteil,
Le Peintre-Graveur Illustre, Tome Dix-septieme: Theodore Gericault,
Paris 1924.
Abb. 2. Bildnis des Frederic Sylvester Douglas. Französische Lithographi.
nach Ingres (D. 6). Um 1825.