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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.6494#0085
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ihren Siegeln den heiligen Bartholomäus neben dem heiligen Leonhard
führt. Nur die Stelle, die Witz' Bartholomäus auf den Altaraußenseiten
anscheinend eingenommen hat, scheint mir Wendland, der hierin Graber
folgt, nicht richtig vermutet zu haben. Statt unter der Maria war er
ursprünglich wohl unter dem Engel der Verkündigung zu sehen. Mir ist
wenigstens kein Beispiel bekannt, daß einzelne Heiligenfiguren nicht nach
der Mitte zu orientiert sind, ja geradezu ihrem (hier verlorenen) Gegen-
stück den Rücken zeigen. Völlig unmöglich wird im vorliegenden Falle
diese Anordnung durch die darüber befindlichen einander zugekehrten
Gestalten der Verkündigung. Wendlands Behauptung aber, daß der Bar-
tholomäus wegen der perspektivischen Verschiebung der Nische auf den
rechten Flügel gehöre, wird durch die Auffindung des Augustinus in Dijon
widerlegt, dessen Hintergrund ebenfalls rechts, also genau an derselben
Stelle wie der Hintergrund des Bartholomäus, die gleiche schmale
Mauerspalte aufweist. Der Bartholomäus hatte also seinen Platz auf der-
selben Seite wie der Augustinus, und zwar unmittelbar neben ihm. Von
den sechzehn Flügelbildern des Baseler Heilsspiegelaltars sind nun zwölf
bekannt und ihre Anordnung dürfte feststehen. Von den fehlenden vier
ergibt sich eines von selbst, die Maria der Verkündigung. Als letzte Tafel
der Innenansicht vermutet Wendland mit großer Wahrscheinlichkeit das
Gefolge des Augustus, da die beiden unteren linken ebenso wie die beiden
unteren rechten Tafeln eine Einheit gebildet haben dürften. Das Gegen-
stück zum Bartholomäus war anscheinend der heilige Leonhard. Fraglich
bleibt nur der vierte Heilige der Außenansicht, doch hat der heilige
Christopherus mit seiner weiten Landschaft keinen Raum in dem festen
architektonischen Gefüge. Es erscheint mir, solange kein weiteres zu-
gehöriges Werk auftaucht, müßig, über die Möglichkeiten einer Erweiterung
des Altaraufbaues zu diskutieren.

Das zweite Kapitel behandelt Wendlands wichtigsten und erfolg-
reichsten Fund. Nach der erfolgten Reinigung und Abnahme der An-
stückungen kann kein Zweifel mehr sein, daß die Tafel mit dem Ratschluß
der Erlösung in Berlin ein eigenhändiges Werk des Konrad Witz ist.
Auch die Zugehörigkeit dieser Tafel zum Genfer Petrusaltar erscheint
mir dank Wendlands und Feuersteins Forschungen aus ikonographischen
wie aus stilistischen Gründen erwiesen. Die Frage der Zusammensetzung
des ganzen Altars ist noch nicht spruchreif.

Im dritten Kapitel versucht Wendland die Rekonstruktion eines
weiteren, des sogenannten Olsberger Altars, als dessen Teile er die
Nürnberger Verkündigung, die Baseler Begegnung unter der goldenen
Pforte, die Straßburger Heiligentafeln und das bisher der Schule des Witz
zugeteilte Fragment einer Madonnentafel in Basel vermutet. Haupt-
argument für die Zuschreibung dieses Madonnenfragments an Witz ist
Wendlands Behauptung, daß der Goldhintergrund in gleicher Größe das
Muster des Begegnungsbildes wiederhole. Bei genauerem Hinsehen sieht
man aber, daß zwar die Motive des Ornamentes dieselben sind, daß sie
sich aber anders zusammensetzen. Diese Tatsache beweist, da Witz auch
auf dem Heilsspiegelaltar die Ornamente variiert, nichts gegen die Zu-
gehörigkeit zum selben Altar. Aber die Farbengebung des Fragments ist
bedeutend heller als die der Begegnung und der Typus der Madonna mit
den beiden sichtbaren Ohren, dem gewollt zugespitzten Mündchen und
dem dünnen langgestreckten Nasenrücken findet keine Parallele im ge-
sammelten Werk des Meisters. Ich glaube also trotz der verwandten
technischen Behandlung der Schmuckstücke die Eigenhändigkeit des
Fragments ablehnen zu müssen. Vielleicht ist der Meister über der Arbeit an
dem Altar gestorben und ein Schüler wurde mit seiner Vollendung betraut.

Im Werke des Konrad Witz nehmen die kleinfigurigcn Gemälde
ein Kapitel für sich ein. Zu der Neapler heiligen Familie in der Kirche
und der Berliner Kreuzigung, die Witz schon zugeschrieben wurden, fand
Valentiner ein weiteres verwandtes Stück, eine Pietä, in der Sammlung
Frick in New-York, von der in derselben Sammlung eine zweite, erweiterte
und um eine Stifterfigur vermehrte, anscheinend burgundische Fassung
existiert. Mangel an Autopsie erschwert mir hiereinen Vergleich der beiden
Exemplare, die aber am ehesten auf ein gemeinsames Vorbild zurück-
zugehen scheinen. Die Fassung ohne den Stifter geht in der Faltengcbung
und in der Behandlung der Typen und der Landschaft so eng mit der
Berliner Kreuzigung, die übrigens von verschiedenen Seiten mit nicht
ungewichtigen Argumenten bestritten wurde, zusammen, daß Valentiners
Zuschreibung, wenigstens an dieselbe Hand, viel für sich hat. Der Ver-
fasser des Buches unternimmt dann den Versuch, ein weiteres, entzückend
gemaltes Täfelchen mit einem heiligen Christophorus, das kürzlich für das
Berliner Kaiser-Friedrich-Muscum erworben wurde, Witz zuzuschreiben.
Die Figur zeigt in ihrer Bewegung viel Verwandtschaft mit den Gestalten
des Genfer Altars. Es erscheint aber sehr merkwürdig, daß ein Künstler
einmal eine so großartige und einheitliche Landschaftsszenerie «wie auf
der Fischzugtafel geschaffen, ein andermal eine so aus traditionellen
Einzelheiten mosaikartig zusammengesetzte Landschaft gemalt hätte. Es
ist femer schwer möglich, die dekorativen Wellen des Berliner Christo-
phorusbildchens dem Maler des Genfer-See-Bildes und des Baseler Christo-
phorus zuzuteilen. Witz sucht stets in erster Linie das räumliche
Gesamtbild seines Landschaftsausschnittes herauszuarbeiten. Auf dem
Berliner Täfelchen zerfällt alles in Motive, jedes Felsenstückchen steht
für sich, reizende Fischlein werden unter den aufgesetzten Wellenkämmen
sichtbar, — ein Motiv, das sich schon bei dem sogenannten Broederlam
des Museums Mayer van den Bergh in Antwerpen findet —, aber die
Gesamtordnung bleibt zufällig und entbehrt völlig der festgefügten
Geschlossenheit der Witzschen Raumbilder, i Auf keinen Fall aber ist es
möglich, die Berliner Kreuzigung und den technisch ganz anders gemalten
kleinen Christophorus derselben Hand zuzuschreiben. Keines der beiden
Werke gellt in allem mit den großfigurigen Gemälden zusammen, unter-
einander aberhaben sie nur lose Schulgemeinschaft, so daß die Forschung,
wenn sie überhaupt eines der beiden Werke anerkennt, sich wird ent-
scheiden müssen.

Mit vollem Recht tritt Wendland ferner für die Originalität der
Berliner Zeichnung der Madonna im Gemache ein, widerspricht aber
M. Escherichs Zuschreibung einer Budapester Zeichnung der Madonna
mit dem heiligen Paulus - an den Meister der Olsberger Madonna.

Ein weiteres Kapitel des Buches gilt den Lebensdaten. Hier wendet
sich der Verfasser, wie ich glaube, überzeugend gegen die Identifizierung
unseres Meisters mit dem nicht als Maler nachgewiesenen Konrad Witz
aus Konstanz.3 Damit fällt die Notwendigkeit, vor dem Baseler Altar
20 Jahre künstlerischer Tätigkeit anzunehmen, es fällt glücklicherweise
aber auch die ganz in der Luft schwebende „seeschwäbische" Ableitung
der Witzschen Kunst.

Zu den kurzen Kapiteln über die Schulzusammenhänge und die
Datierung des Werkes kann ich an anderem mir mehr Raum gewähren-
dem Orte Stellung nehmen.

Leider vermissen wir in dem Buche ein systematisches Verzeichnis
der seit der Bibliographie M. Escherichs recht angewachsenen und ver-
streuten Literatur über den Meister. Dafür sind dem aus wirklich ein-
gehendem Studium hervorgegangenen, die Materie mit Akribie technisch

1 Die Kreuzigung Christi in Hermannstadt, von der Suida unter ausdrücklicher Betonung mangelnder Autopsie (Belvedere, Forum, VI, p. 150)
vermutete, daß sie möglicherweise den kleinen Bildern des Konrad Witz zuzuzählen sei, halte ich doch für ein Werk Antonellos (man sehe Figuren
und Landschaft auf der Abb. bei Csaki, Baron Bruckentalsche Gemäldegalerie, Eine Auslese von 40 Gemälden, Hermannstadt 1903, T. 34),
das offenbar etwas früher entstanden ist als die Kreuzigungen in London und Antwerpen und mit dem Meister der Berliner Kreuzigung nur
die enge Abhängigkeit von dem gleichen Kunstzentrum — offenbar liegt der kleinen Tafel in Hermannstadt eine burgundisch-niederländische

Komposition zugrunde — gemein hat.

2 Nach Nachzeichnungen Witzscher oder Witzartiger Kompositionen, zu denen auch die Pester gehört, wäre noch zu suchen, ich verweise
hier nur auf die Madonna im Gemache in Erlangen, die Fritz Winkler bestimmt hat.

3 Inzwischen hat H. Graber in der Neuen Zürcher Zeitung vom 26. September 1926 neue urkundliche Argumente gegen die Identifizjerung
des Basler beziehungsweise Rottweiler Konrad Witz mit seinem Konstanzer Namensvetter beigebracht.
 
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