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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.6492#0005
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MITTEILUNGEN

DER

GESELLSCHAFT FÜR VERVIELFÄLTIGENDE KUNST.

BEILAGE DER »GRAPHISCHEN KÜNSTE«.

1929. WIEN. Nr. 1.

Studien und Forschungen.

Das Musterbuch von W olfenbüttel.

Mit einem Fragment aus dem Nachlasse Fritz Rüclters herausgegeben von Hans Ä. Hahuloser.1

I. DIE FRÜHEREN UND DIE VORLIEGENDEN BEARBEITUNGEN DER HANDSCHRIFT.
«•Zwölf Seiten noch im NHL Jahrhundert getuschter Gruppen und Figuren heiliger Personen, von meisterhafter
Haltung und Leichtigkeit« — mit diesen begeisterten Worten werden die Zeichnungen, die hier näher betrachtet werden
sollen, im Jahre 1849 zum ersten Male erwähnt, und zwar von Carl Philipp Schönemann in seinen » 100 Merkwürdig-
keiten der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel« (als Nr. 49). Noch in dem gedruckten Katalog der Codices latini et
graeci classici von 1827 (F. A. Ebert) hieß es von unserem Manuskript nur »Nonnulla ex Prisciano«. Im Nachlaß des
Entdeckers fand sich eine weitere Notiz, die fortan für die Schätzung der Zeichnungen maßgebend werden sollte:2
»Gruppen . . . von einer wahrhaftigen Meisterhand, ... so sauber und schon gedacht, daß sie ihresgleichen in jener Zeit
nicht haben. Die Haltung, die Bekleidung, die Kronen erinnern an Oberitalien, namentlich an Cimabues Schule, und
sind, wenigstens für unsere Gegend, eine sehr auffallende Erscheinung«. Ob wohl Schönemann bei diesem Nachsatz an
einen sächsischen Urheber der Handschrift dachte? Bei seinem Nachfolger im Amte, L. K. Bethmann, herrscht jeden-
falls »kein Zweifel, daß die Handschrift aus Italien stammt« und »für die Geschichte der Malerei zu den wichtigsten
gehört«. Er nennt sie »Studien und Skizzen nicht eines Illuminators, sondern eines Historienmalers, der an große
Kompositionen gewöhnt war, nach Waagen wegen der Typen der Köpfe entschieden noch aus dem XIII. Jahrhundert«.
Wilhelm von Bode gebührt das Verdienst, die Handschrift aus dem Schattendasein von Bibliotheksbeschreibungen
an eine breitere, kunstverständige Öffentlichkeit gezogen zu haben. 1873 hat er die erwähnten Zeilen aus dem Nachlasse
Bethmanns in der »Zeitschrift für bildende Kunst« (S. 136—138) abgedruckt, indem er nicht nur eine kurze Würdigung,
sondern auch drei Holzschnitte nach den Zeichnungen hinzufügte. Er bemerkte zuerst die »mehr oder weniger auffallende
Verschiedenheit im Werte der Erfindung wie der Durchführung, das Festhalten an dem konventionellen byzantinischen
Typus . . . bei den oberflächlichen, laxen Zeichnungen« und vermutet »bei den selteneren Stoffen die Phantasie des
Meisters«. Daß Bode das Ganze damals »für Entwürfe eines italienischen Malers« hielt, ist für jene Zeit keineswegs
verwunderlich — wurde doch noch im Jahre 1885 die nächste Verwandte dieser sächsischen Handschrift, das Evangeliar
im Goslarer Rathaus, als ein »unschätzbares Denkmal der spätesten byzantinischen Kunst« bezeichnet.3 An diese
Bestimmung hielt sich auch der Verfasser des großen Kataloges von 1903,'' O. Heinemann, welcher Bode seinerzeit
auf das Dokument aufmerksam gemacht hatte.6

1 Das etwas ungewöhnliche Gesicht obiger Abhandlung erfordert einige aufklarende Worte. Ich hatte meinen Schüler Fritz Rücker zu den
lange vergessenen Wolfenbüttler Blättern hingeleitet, auch in der Hoffnung, daß sie den Ausgangspunkt für eine etwaige spätere Doktorarbeit
bilden möchten. Der jähe Tod des lebensvollen Jünglings hat sie zerstört — ich darf hier auf das als Manuskript gedruckte schöne Büchlein seines
trefflichen Vaters, Sektionschefs Dr. Friedrich Rücker, hinweisen: »Ahne und Enkel«, Wien 1928, das sein Andenken festhält und darüber
hinaus einen höchst schätzenswerten Beitrag zu deutscher Familiengeschichte, besonders der Nachkriegszeit, enthält. F.s war nicht bloß der pietätvolle
Wunsch, einem meiner liebsten und hoffnungsvollsten Schüler ein kleines literarisches Monument zu stiften, sondern vor allem der innere Wert dessen,
was er hinterlassen hat, der mich bewog, einen andern meiner Schüler, meinen nunmehrigen Assistenten Dr. Hahnloser, zu veranlassen, die unter-
brochene Arbeit seines Studien- und Lebensgenossen aufzunehmen und weiterzuführen, wie dies nun hier geschehen ist. Es ist nun freilich etwas ganz
Neues daraus geworden, denn weitaus der größte Teil der Abhandlung ist die durchaus selbständige Arbeit des Fortsetzers. Wenigstens für mich liegt ein
ganz persönlicher Wert in dieser über den Tod hinaus dauernden Geistesgemeinschaft und -freundschaft der jungen Generation. /. v. Schlosser.

2 1857 von Archivar Herschel im Serapeum, S. 105, veröffentlicht. — 3 So J. Streygowski, Zur Ikonographie der Taufe Christi, S. 20. —
1 Die Hss. der herzogl. Bibl. zu Wolfenbüttel, Ser. II. 5. III. No. 3662. - 5 Die Geschichte der herzogl. Bibl. zu Wolfenbuttel, 2. A„ 1894, S. 87.

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