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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.6492#0029
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MITTEILUNGEN

DER

GESELLSCHAFT FÜR VERVIELFÄLTIGENDE KUNST.

BEILAGE DER (.GRAPHISCHEN KÜNSTE..

1929.

WIEN.

Nr. 2 3.

York)-
;oftl>e

Studien und Forschungen.

Das Musterbuch von Wolfenbüttel.1

(Fortsetzung des Nachwortes).

In der Tat verrät uns eine genaue Untersuchung der Technik, wie der Künstler anfänglich mit unsicheren, plumpen
Strichen an die Wiedergabe seiner Muster geht und wie er die Farben in dicken Streifen aufträgt. Erst im Laufe der
Arbeit gewinnt er eine freiere, leichtere Zeichenweise und laviert nun mit zarten, modellierenden Schatten. Hand in Hand
mit den Fortschritten der Technik geht auch die Entwicklung des Stiles nur allmählich, von Stufe zu Stufe weiter. Doch
scheiden sich hier, vielleicht unter dem Einfluß von verschieden gearteten Vorbildern, einzelne Gruppen schärfer gegen-
einander ab. Wir haben deshalb die Rückersche Einteilung in einen härteren und einen bewegteren Stil festgehalten,
schalten aber dazwischen eine ruhige Gruppe ein und betonen, daß diese Trennung eine willkürliche ist.

Der Künstler war bestrebt, alle plastisch wichtigen Teile, wie Gewandfalten und Glieder, überhaupt was eines
Akzentes bedurfte, Gesichter, Haare, Rückenkonturen usw., herauszuheben. Bei den schwerfälligen, eckig gezeichneten
Figuren schraffiert er die Faltenschatten mit der Feder in kleinen harten Strichen. Die mittlere Gestalt auf Abbildung
VIII, eine der schwächsten des ganzen Buches, zeigt den Zeichner bei solchen Anfängen. Schon bei dem Sitzenden daneben
fügt er eine graugrüne Lavierung hinzu, die er gelegentlich zu breiten, undurchsichtigen Streifen verdickt; es sind dies die
Deckfarben des Miniators. Bald benützt er für die Modellierung statt der Feder nur noch den Pinsel; doch trägt er nun
die Tusche wie früher die Federzüge in langen Strichen oft mehrmals übereinander auf, so bei den Evangelisten von
Abbildung III und IV. Hier sehen wir seine frühe Stilart am bestimmtesten, wohl auch am manieriertesten entwickelt:
die hellen Faltenrücken sind zu langen Bändern ausgewachsen, die gleich Stegen das Meer der wirren Stoffe überbrücken.
Wie die Lavierung den Gegensatz von Licht und Schatten sucht und zarte Töne meidet, gehen die Linien weichen
Rundungen aus dem Wege, laufen in geraden Zügen und biegen in scharfen, eckigen Brechungen um, mit einer wahren
Lust am krausen Durcheinander.

Noch verrät manche Einzelheit den ungelenken Kopisten, der, mitunter nicht ganz bei der Sache, Striche ohne rechte
Bedeutung zeichnet. So trifft der linke Unterschenkel des Apostels rechts auf Abbildung III nicht mit dem zugehörigen Fuß
zusammen, das andere Bein ist überhaupt nicht zu finden, während doch die Falten darüber ihr munteres Spiel treiben;
und am Ende des Mantelsaumes ist gerade der traditionelle letzte Zipfel vergessen worden. Ähnliche Unsicherheit zeigt
hier der Versuch, Gesicht und Haar mit blauer Farbe auszumalen und mit Weiß zu höhen. Die steifen, unausgeglichenen
Sitzfiguren der achten Seite mit ihren bald derben, bald schwachen Linien zeugen durch eine blau bemalte Haartracht
und rote Innenzeichnung der Köpfe von demselben unbestimmten Suchen. Blaue Schatten, bunte Federstriche und weiße
Erhöhungen im Karnat verraten den Miniator, der diese Mittel stets zur Hand hat; sie sind überdies besondere Eigen-
heiten der byzantinischen Werkstattpraxis. Vereinzelt treffen wir sie in den Miniaturen dieser Zeit und Gegend (so im
Manuskript Helmstedt 521 der Wolfenbüttler Bibliothek), wo sich überhaupt Entnahmen aus diesem Kunstkreis häufig
geltend machen. Hier aber lagen dem Künstler unmittelbar byzantinische Originale vor: Autoren mit einer Allegorie oder
mit einem Schreiber und vollends die Figur im orientalischen Prunkgewande sind Schemen aus den Schreibstuben des
östlichen Kaiserreiches. Unser Maler gibt ihre Umrisse im lokalen hartbrüchigen Stil der deutschen Schule wieder. Allein
bei den Farben fühlt er sich nicht so sicher wie bei den Linien: er versucht den Ton der Vorlage in der Lavierung nach-
zuahmen, indem er sie bis zur Stärke von Deckfarben aufträgt; in falsch verstandenem Kopisteneifer geht er in wichtigen
Einzelheiten bis zur farbigen Imitation des Originals — bis er endlich in der einfachen Strichzeichnung und einer ganz

1 Vgl. Nr. 1 dieser Mitteilungen, S. 1 bis 16.

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