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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.6492#0006
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Seither erfreute sich dies einzigartige Dokument völliger Vergessenheit, der es erst Julius von Schlosser durch
die Anregung zur vorliegenden Arbeit entrissen hat. In seinem kunsthistorischen Institute an der Wiener Universität hat
der beste Freund des Herausgebers, der 1926 verunglückte Fritz Rücker, das Manuskript an Hand von schlechten
alten Photographien in zwei anregenden Referaten erläutert.

Dieser Vortrag, von Projektionen begleitet, setzte sich zusammen aus einer Beschreibung, einer Inhaltsangabe und
einer ausführlichen kunsthistorischen Charakteristik der Handschrift. Da Rücker das Original nicht gesehen hatte, mußte
hier die Beschreibung neu verfaßt werden. Ebenso bedurfte die Ikonographie, die nur in Stichworten vorlag und die schon
Bode mit wenig Glück versucht hatte, einer völligen Umarbeitung. Mit der Bestimmung der Eigenart, des Stils und der
Herkunft des Musterbuches hat Rücker bleibende wissenschaftliche Arbeit geleistet. Seine Niederschrift, das einzige
druckfertige Zeugnis einer zu schönen Hoffnungen berechtigenden jungen Kraft, wurde aus zwei ausführlichen Redaktionen
so zusammengestellt, daß die Anlage im großen und der Inhalt unverändert blieb.

So konnte der Reiz dieser Arbeit, der in den feinen, von künstlerischem Auge zeugenden Beobachtungen liegt,
gewahrt werden. Wäre es Rücker vergönnt gewesen, das Original selbst zu sehen und sich länger, als dies für ein
Referat üblich, mit dem Thema abzugeben, so hätte er wohl selber endgültige Schlüsse aus seiner Arbeit ziehen können.
Diese Folgerungen mögen in dem anschließenden Nachwort seinem Gefährten in Studium und Sport gestattet sein, den
seit langem ähnliche Probleme im Skizzenbuch des Villard de Honnecourt beschäftigen — und den damals nur ein
Zufall von dem tragischen Schicksal seines Freundes bewahrt hat.

Seine Untersuchungen haben den Herausgeber vielfach über Rückers Ergebnisse hinaus bis zu gegenteiliger
Ansicht geführt. Da die Drucklegung eine Trennung der Arbeit erfordert, seien hier die wichtigsten Abweichungen
vorweggenommen. Den von Rücker genannten Unterschieden im Stile gehen solche der Technik, der Ausführung zur
Seite, die von einer Gruppe zur andern hinüberleiten und das Ganze als Werk einer Hand erweisen. In dieser steten
Fortentwicklung, bedingt durch die Auseinandersetzung zweier Kulturkreise, liegt der Schlüssel zu den großen Diflcrenzen
innerhalb der einzelnen Zeichnungen des Musterbuches. Rückers Vermutung, es möchten alle Skizzen Kopien, und zwar
nach Miniaturen sein, läßt sich beweisen. Allein sie reproduzieren sicher nicht das Rathausevangeliar von Goslar,1
sondern lauter byzantinische Originale. Es bleibt vielmehr die Frage, ob beide unabhängig voneinander nach den gleichen
Vorbildern entstanden sind oder ob nicht das Evangeliar nach dem Musterbuche, vielleicht sogar von der gleichen Hand

1 Ad. Goidschmidt, Das Evangeliar im Rathaus zu Goslar. Herausgeg. i. A. des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Berlin 1910, sowie
A. Haseloff, Eine thüringisch-sächsische Malerschule des XIII. Jahrhunderts, und E. Dobbert im Jahrbuch der K. Preußischen Kunstsammlungen, Bd. XIX.
 
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