möglichst vorteilhaft auszunützen. Die Ge-
stalten sind durchwegs mit der Federgezeichnet.
Die Mehrzahl ist (nach Dr. Bethmann) mit einer
grüngrauen Tusche laviert. Doch zeigen sich
große Unterschiede in der Ausführung der
Striche, in der Modellierung der Schatten und
nicht minder in der Qualität. Manchmal, so bei
den Evangelisten auf Blatt III und IV, finden
wir eine fast ins kleine führende Durcharbeitung.
Sonst sind die Lavierungen mehr auf die
Wirkung des Ganzen berechnet (Christus in
der Vorhölle, Blatt X). Anderen Figuren (Blatt
VIII, Mitte) fehlt das Übergehen mit Tusche
völlig. Parallel damit geht die Zeichnung selbst.
Feinste (III rechts) und gröbste (VIII) Feder-
führung können wir beobachten. Verhältnis-
mäßig viel Sorgfalt ist im Durchschnitt auf die
Behandlung der Köpfe verwendet. Die Illusions-
wirkung dieser Skizzen ist kaum kleiner als
die einer ausgeführten Darstellung. Wenn wir
zur Illustration den linken Evangelisten von
Blatt III neben den entsprechenden aus dem
Goslarer Rathausevangeliar (Abb. 2) legen, so
finden wir bei dem ausgeführten Werk wohl
eine sorgfältigere Linienführung — die Um-
risse desStuhles verlaufengeometrischgerade,
die Linien der Gewandsäume und -falten über-
schneiden sich nicht, sondern sind sorgfältig
ineinander übergeführt, und Farbe ist dazu-
gekommen,die freilich trotz der entschiedenen
Töne nicht viel zur Modellierung beiträgt —,
doch erscheint der Charakter des Ganzen nicht
wesentlich verändert. Wäre etwa der Evan-
gelist unseres Künstlers etwas sorgfältiger
ausgeführtund würde man die entsprechenden
Partien mit Farbe anlegen, so käme man zu
demselben Resultat wie der Miniator des
Goslarer Evangeliars. Wir dürfen also bei diesem
Blättern nicht von »Skizzen« im Sinne von flüchtigen Andeutungen sprechen, sondern von Darstellungen, die ausgeführten
Werken ungleich näher stehen und nur in wenigem der Ergänzung bedürfen.
Ganze Kompositionsskizzen im heutigen Sinne gab es damals nicht. Der Typus einer Komposition war durch die
Überlieferung vorgeschrieben, und der Künstler hatte eigentlich nur in diesem Rahmen die Möglichkeit, sein Wollen zur
Geltung zu bringen. Die Gemütsbewegung, überhaupt den Ausdruck müssen uns die einzelnen Figuren geben. Die Um-
welt spielt eine geringe Rolle; sie wird, soweit sie unbedingt notwendig ist, in möglichster Abkürzung und Vereinfachung
gebracht. Ja, man könnte sie ohne weiteres wegdenken, ohne Minderung der künstlerischen Werte. Es sei beispielsweise
nochmals auf den Thronstuhl des Evangelisten auf Blatt III hingewiesen, der auch auf dem ausgeführten Bild im
Evangeliar keine wesentliche Bereicherung erfährt. Sehen wir den Schemel an, so wissen wir zwar, daß das etwas ist,
worauf man sitzen kann, nicht aber, ob es ein Schemel aus Holz oder Stein sein soll.
Trotz der schon eingangs gegebenen Untersuchungen1 möchte ich noch kurz auf die ikonographische Zusammen-
gehörigkeit der Zeichnungen zurückkommen. Vorher muß uns aber die Frage beschäftigen, ob die Zeichnungen von einem
Künstler stammen, oder ob wir etwa zwei Hände unterscheiden können. Auf einigen Blättern lassen sich frühere und spätere
Zeichnungen einwandfrei auseinanderhalten, dann nämlich, wenn die eine auf die andere, schon vorhandene, Rücksicht nimmt,
also nach ihr gezeichnet worden sein muß. Das können wir am deutlichsten auf Blatt I und III, auch auf IX beobachten. Wir
wollen uns dann zwei Fragen vorlegen: In welcher Absicht hat der Künstler die Zeichnung geschaffen, insbesondere: sind
es Entwürfe oder Nachzeichnungen? Wie lassen sie sich stilistisch bestimmen, wo und wann dürften sie entstanden sein?
i Entsprach unserem Kapitel »Ikonographie«, S. 5 ff.
Abb. IX. Fol. 92 des Wolfenbüttler Musterbuches.
— 11 —
stalten sind durchwegs mit der Federgezeichnet.
Die Mehrzahl ist (nach Dr. Bethmann) mit einer
grüngrauen Tusche laviert. Doch zeigen sich
große Unterschiede in der Ausführung der
Striche, in der Modellierung der Schatten und
nicht minder in der Qualität. Manchmal, so bei
den Evangelisten auf Blatt III und IV, finden
wir eine fast ins kleine führende Durcharbeitung.
Sonst sind die Lavierungen mehr auf die
Wirkung des Ganzen berechnet (Christus in
der Vorhölle, Blatt X). Anderen Figuren (Blatt
VIII, Mitte) fehlt das Übergehen mit Tusche
völlig. Parallel damit geht die Zeichnung selbst.
Feinste (III rechts) und gröbste (VIII) Feder-
führung können wir beobachten. Verhältnis-
mäßig viel Sorgfalt ist im Durchschnitt auf die
Behandlung der Köpfe verwendet. Die Illusions-
wirkung dieser Skizzen ist kaum kleiner als
die einer ausgeführten Darstellung. Wenn wir
zur Illustration den linken Evangelisten von
Blatt III neben den entsprechenden aus dem
Goslarer Rathausevangeliar (Abb. 2) legen, so
finden wir bei dem ausgeführten Werk wohl
eine sorgfältigere Linienführung — die Um-
risse desStuhles verlaufengeometrischgerade,
die Linien der Gewandsäume und -falten über-
schneiden sich nicht, sondern sind sorgfältig
ineinander übergeführt, und Farbe ist dazu-
gekommen,die freilich trotz der entschiedenen
Töne nicht viel zur Modellierung beiträgt —,
doch erscheint der Charakter des Ganzen nicht
wesentlich verändert. Wäre etwa der Evan-
gelist unseres Künstlers etwas sorgfältiger
ausgeführtund würde man die entsprechenden
Partien mit Farbe anlegen, so käme man zu
demselben Resultat wie der Miniator des
Goslarer Evangeliars. Wir dürfen also bei diesem
Blättern nicht von »Skizzen« im Sinne von flüchtigen Andeutungen sprechen, sondern von Darstellungen, die ausgeführten
Werken ungleich näher stehen und nur in wenigem der Ergänzung bedürfen.
Ganze Kompositionsskizzen im heutigen Sinne gab es damals nicht. Der Typus einer Komposition war durch die
Überlieferung vorgeschrieben, und der Künstler hatte eigentlich nur in diesem Rahmen die Möglichkeit, sein Wollen zur
Geltung zu bringen. Die Gemütsbewegung, überhaupt den Ausdruck müssen uns die einzelnen Figuren geben. Die Um-
welt spielt eine geringe Rolle; sie wird, soweit sie unbedingt notwendig ist, in möglichster Abkürzung und Vereinfachung
gebracht. Ja, man könnte sie ohne weiteres wegdenken, ohne Minderung der künstlerischen Werte. Es sei beispielsweise
nochmals auf den Thronstuhl des Evangelisten auf Blatt III hingewiesen, der auch auf dem ausgeführten Bild im
Evangeliar keine wesentliche Bereicherung erfährt. Sehen wir den Schemel an, so wissen wir zwar, daß das etwas ist,
worauf man sitzen kann, nicht aber, ob es ein Schemel aus Holz oder Stein sein soll.
Trotz der schon eingangs gegebenen Untersuchungen1 möchte ich noch kurz auf die ikonographische Zusammen-
gehörigkeit der Zeichnungen zurückkommen. Vorher muß uns aber die Frage beschäftigen, ob die Zeichnungen von einem
Künstler stammen, oder ob wir etwa zwei Hände unterscheiden können. Auf einigen Blättern lassen sich frühere und spätere
Zeichnungen einwandfrei auseinanderhalten, dann nämlich, wenn die eine auf die andere, schon vorhandene, Rücksicht nimmt,
also nach ihr gezeichnet worden sein muß. Das können wir am deutlichsten auf Blatt I und III, auch auf IX beobachten. Wir
wollen uns dann zwei Fragen vorlegen: In welcher Absicht hat der Künstler die Zeichnung geschaffen, insbesondere: sind
es Entwürfe oder Nachzeichnungen? Wie lassen sie sich stilistisch bestimmen, wo und wann dürften sie entstanden sein?
i Entsprach unserem Kapitel »Ikonographie«, S. 5 ff.
Abb. IX. Fol. 92 des Wolfenbüttler Musterbuches.
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