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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.6492#0056
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Die Marter der Zehntausend. Schrotblatt. Prag, Univ.-Bibl. (Tobolka T. 10).
Orig.-Gr. 250: 177(180) nun.

christlichen Rittern erforscht ist, für die natürlich trotz T. die AA. SS.
Boll, grundlegend bleiben, um so weniger hätte Künstle gleich dem
tschechischen Autor verschweigen dürfen, daß zumindest in der Spätzeit
des Mittelalters zwar nicht die »Legenda aurea«, wohl aber der >Catalogus
Sanctorum« des (um 1370 als Bischof von Equilia wirkenden) Petrus de
Natalibus und mehr noch die zahlreichen Ausfertigungen des einer
volkssprachlichen Bearbeitung und Erweiterung der »Goldenen Legende«
gleichkommenden »Passionais« an der immer allgemeineren Verbreitung
des Stoffes beteiligt waren, dessen sich ja auch Carpaccio in seinem
(bei K. nirgends erwähnten) Gemälde a. d. J. 1513 zu bemächtigen wußte;
ein weiterer frommer Wunsch beträfe eine ebenso schwierige wie
empfehlenswerte Untersuchung, inwiefern die inhaltliche Verschieden-
heit der bildkünstlerischen Gestaltungen, die durch die jeweilige Hervor-
hebung vereinzelter Marterhandlungen die in den genannten Quellen
geschilderten Massengreuel überbieten, auf selbständigen Erfindungen
oder auf regional veränderten Fassungen des Legendentextes beruhen.1

Wenn freilich das Präger Schrotblatt dem als Haupt-
mann der Zehntausend literarisch bestätigten
hl. Achatius einen »Sanctus adrianus« gesellt, ist
hinter einer solchen Besonderheit nichts anderes
als eine bei einem Vertreter dieser Kunstgattung
nachgerade kaum überraschende Gedankenlosigkeit
zu ergründen, die den Namen des Verfolgers —
das Martyrium hatte angeblich unter den Kaisern
»Adrianus und Antonius" stattgefunden, denen ein
zweiter Adrianus als einer der fünf orientalischen
Könige grausame Beihilfe leistet — schlankweg auf
den Verfolgten bezieht; da der Formschneider dem
gemeinhin lediglich als Kriegsobersten bekannten
hl. Adrian eine Bischofsmütze verleiht, muß ihm
außerdem wohl oder übel zugemutet werden, er
habe sich mit einer zwiefach mißverständlichen
Übertragung jene Verwechslung zu eigen gemacht,
die den (hier ordnungsgemäß mit dem Fürstenhut
bekleideten) Heerführer Achatius d. d. 22. Juni
ansonsten so häutig mit dem gleichnamigen Bischof
von Melitene d. d. 31. März identifiziert. Wen immer
man aber unter den Vorkämpfern und Mitstreitern
der zehntausend Ritter vermeinte, in jedem Falle
liefe es von vornherein dem innersten Wesen
und Sinn der Heiligenlegende zuwider, wären die
den Blutzeugen des Christenglaubens zugesagten
GebetserhÖrungen, denen der hl. Achatius seine
Einreihung in die Gruppe der vierzehn Nothelfer
verdankte, ein Privileg der tschechischen Schutz-
flehenden geblieben: vielmehr berichtet schon ein
Schweizer Rodel des XII. Jahrhunderts von der
Wunderkraft, die Reliquien des Heiligen zu Engel-
berg— und wiederum zumal gegen Feuersgefahr —
besaßen: »Multum valet contra ignem« (vgl.
Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens,
Berlin und Leipzig 1928, Sp. 132). Als ein bisher
übersehener Beleg einer diesem Märtyrer in
Deutschland zuerkannten spezifischen »Nothelfer«-
Eigenschaft wäre vielleicht noch die Vision einer
Nonne im fränkischen Kloster Engelthal anzu-
führen, die nach dem > Büchlein von der Gnaden
Überlast« (um 1350) — ähnlich einer Kloster-
schwester zu Töss — in ihrer Todesstunde »Achacms
mit seinem Heere« erschaute.

Über alle inhaltlichen Erwägungen hinaus ist
es im konkreten Falle schließlich und endlich
der von Tobolka nicht ungestraft gänzlich aus-
geschalteten Stilkritik vergönnt, die ihm vorschwebende Anschauung
mit einem einzigen Schlage beiseite zu schieben. Wirken doch die eigen-
tümliche Ornamentik des Hintergrundes, die Vegetationsformen und die
starren, durch die brillenartig umränderten Augen charakterisierten
Gesichtstypen einhellig zusammen, um der zur Bequemlichkeit des Lesers
anbei abermals abgebildeten Marterszene die Zuschreibung an den
»maitre au fond maille« und also an einen der wenigen Meister
des Schrotschnittes zu sichern, der mit äußeren Anhaltspunkten zur Be-
stimmung seiner Herkunft nicht kargt: an einer anderen Stelle der
»Mitteilungen« wird sich dem Referenten Gelegenheit bieten, den
sprachkundlichen, kostüm- und stoffgeschichtlichen Daten, aus denen
Schreiber den Oberrhein und des näheren Straßburg als die
Heimat des Künstlers erschließen konnte, angesichts der illustrativen
Verpflichtung eines neu ans Licht zu ziehenden Werkes ein weiteres
Beweismittel hinzuzufügen. — Damit Tobolka selbst im Allergeringsten
nichtunberichtigt bleibe, sei aus Gewissenhaftigkeit nachträglich vermerkt

i Die Wichtigkeit derartiger Erörterungen wird z. B. durch die Beobachtung erhärtet, daß die aus Dürers Holzschnitt B. 117 bekannte
Schilderung der im Ausbohren des Auges bestehenden Folter vordem meines Wissens allein in einem altkölnischen Gemälde des Wallraf-
Richartz-Museums auftaucht: ich hoffe auf den merkwürdigen Sachverhalt gelegentlich zurückzukommen.
 
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