mit Abb.) hier eingereihte »Marter der Zehntausend« in der Prager Universitätsbibliothek zu werten — einen recht
bescheidenen Rang einnimmt und formensprachlich allein durch die Wiederkehr der Gräser mit den aus drei Kugeln
gebildeten Blüten, das allgemeinste Merkmal oberrheinischer Schulung, die Heimatszugehörigkeit des Urhebers
andeutet, rückt er unverzüglich in den Angelpunkt der bisherigen Lokalisierungsversuche. Denn sein Fundort steht
mit den anderwärts abzuleitenden Richtlinien so sehr im Einklang, daß die an sich unbestreitbare Importmöglichkeit
völlig zurückgedrängt wird: da Schreiber die Mundart des xylographischen Begleittextes zu dem »Schmerzens-
mann« Sehr. 2457 (Wien und London) der oberrheinischen Gegend zwischen Basel und Straßburg zuweisen und die
gelegentlich des »Kirchengeschwätzes« ersichtlichen Modetrachten im Hinblick auf die Illustrationen der Grüninger-Drucke
noch unmittelbarer mit Straßburg verknüpfen konnte, droht keineswegs die Gefahr einer Zirkelbewegung, wenn man
ein leibhaftig ebendort auftauchendes Schrotblatt aus der »Maschennetz«-Gruppe eines autochthonen Ursprunges
verdächtigt und sodann, vom Gesellen auf den Meister rückschließend, die ganze Werkstatt mit Haupt und Gliedern
endgültig nach Straßburg verlegt.
Insofern die interessante Sittenschilderung Sehr. 2761 (Faks. Reichsdrucke Nr. 192 s. Abb. und Schreiber-Heitz LXIV,
T. 18 [1928]) für die vorhergehende Argumentation mitverantwortlich erscheint, ließe sich übrigens vielleicht auch eine
stärkere Betonung der mit ihr gegebenen stoffgeschichtlichen Momente wiederum zu deren Gunsten vernehmen. Hatte
nämlich zur spätmittelalterlichen Verbreitung der volkstümlichen Erzählung vom Teufel, der das pergamentene
»Sündenregister« der schwatzhaften Messehörer mit den Zähnen auseinanderzerrt,1 die literarische Fassung des
Chevalier de la Tour Landry (1372) nicht wenig beigetragen, mußte es einem oberrheinischen Formschneider von der
Wende des XV. Jahrhunderts vor vielen vergönnt sein, sich diese in der deutschen Erstübersetzung Marquards von Stein
zu eigen zu machen, die mit ihrem vielumstrittenen Holzschnittschmuck anno 1493 zu Basel bei Michael Furter heraus-
kam und offenbar genug fortzeugende Kraft besaß, um weiterhin den Petrarca-Meister Hans Weiditz, einen gebürtigen
Straßburger, zu seinem in Aschaffenburg bewahrten Scherzbilde2 zu ermuntern; auch ist es wohl von vornherein nicht
allzu verwunderlich, daß das nach Bolte an Ort und Stelle noch bei dem Protestanten Fischart fortlebende Thema gerade
im elsässischen Kulturkreis eine so verständnisinnige Aufnahme fand, wo ihm durch Männer wie Brant, Murner und
Geiler von Kaisersberg, die in ihren Strafpredigten die Geschwätzigkeit der Weiber im allgemeinen und der Kirchgänger
im besonderen unermüdlich verspotteten, ein trefflich beackerter Boden bereitet war. Wer sich dem fraglichen Schrot-
blatt zuguterlezt von der rein formalen Seite' her nähert, weiß die etwa zu erspähenden mittelrheinischen Einflüsse (aus
der Sphäre des Hausbuch-Meisters?) mit seiner mutmaßlichen Herkunft durchaus vereinbar. Um so eher, als die Holz-
schnitte zur lateinischen Erstausgabe des »Hortus sanitatis« (Mainz, Jakob Meydenbach 1491 = Hain* 8944), die auf
einzelne Kompositions- und Stellungsmotive der Vordergrunds-Figuren eingewirkt haben mögen,3 in den zahlreichen
Nachdrucken dieser Schrift, die Straßburger Offizinen besorgten, sogleich allenthalben kopiert wurden.
---■ Kurt Käthe.
1 Vergl. J. Bolte, »Der Teufel in der Kirche« in der »Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte« N. F. Bd. XI (1897), S. 249—266 (bei
Schreiber-Heitz mit unzureichender Ortsangabe zitiert). Zu den ungemein reichhaltigen Nachweisen dieses Aufsatzes, die im Texte durch einen seither
entdeckten Holzschnitt des Petrarca-Meisters vermehrt werden, ist noch eine bisher unbeachtete Variante der Vorstellung vom Sündenregister nach-
zutragen, die »Der Nonne zu Engeltal Büchlein von der Gnaden Überlast« (um 1350, S. 273 der Übertragung von M. Weinhandl, München 1921)
aufzeichnet: Das zwölfjährige Töchterlein einer verwitweten Klosterfrau fällt während einer Fastenmahlzeit in Ohnmacht, da es mitansieht, wie
»ein greulicher Teufel« die Reden der die Schweigepflicht bei Tische verletzenden Kinder notiert.
2 Erstabbildung des vordem unbeschriebenen Holzschnittes bei M. Geisberg, Der deutsche Einblatt-Holzschnitt in der ersten Hälfte des
XVI. Jahrhunderts, München 1923 ff., Lieferung V 39 (hiezu H. Röttinger in »Mitteilungen« 1927, S. 71). Geisbergs Datierung »um 1521« dürfte
auf die mit dieser Jahreszahl versehenen Karikaturen zurückgehen, die Röttinger in den »Mitteilungen« 1925, S. 34, Weiditz zugeteilt hat.
3 Man halte zum Beispiel die rechts unten befindliche Miinnergestalt des Schrotblattes mit dem die Hand in die Hüfte stützenden Jüngling
zusammen, der auf dem »Hortus«-Schnitt 11 II vo (vor dem Kapitel »De Lapidibus«) zu äußerst links sichtbar ist; zur Beinstellung gewährt die auf
dem Schnitte ij I vo (vor dem Kapitel »De Urinis«) rechts unten anzutreffende Figur noch nähere Vergleichspunkte. — Die zwischen den Hortus-
Illustrationen und dem Kreise des Hausbuch-Meisters bestehenden Beziehungen sind meines Wissens in der sehr ausgebreiteten Literatur kaum
(oder doch kaum nach Gebühr) gewürdigt worden: Ist es unter vielem nur ein Zufall, daß auf dem zuletzt genannten Blatte die Gruppe der einander bei den
Haaren zerrenden Lehrlinge, die inhaltlich auf den bekannten Schongauer-Stich B. 91 zurückgeht, unwillkürlich an das Ringerpaar auf der »Sol«-
Zeichnung des Hausbuches (fol. 14 a) gemahnt?
Zeichnungen von Jan de Cock und seinem Doppelgänger.
Unsere Kenntnis der niederländischen Zeichenkunst des XVI. Jahrhunderts ist verhältnismäßig jungen Datums.
Hinderlich war der Umstand, daß Signaturen zu den großen Seltenheiten gehören, hinderlich war aber auch, daß
— im Gegensatz zur gleichzeitigen deutschen Kunst — nur wenige Meister in größerem Maße auch als Graphiker tätig
gewesen sind. In den meisten Fällen sind also Identifikationen nur durch den schwierigen stilkritischen Vergleich mit
Gemälden, der selten ganz schlagend geführt werden kann, möglich.
bescheidenen Rang einnimmt und formensprachlich allein durch die Wiederkehr der Gräser mit den aus drei Kugeln
gebildeten Blüten, das allgemeinste Merkmal oberrheinischer Schulung, die Heimatszugehörigkeit des Urhebers
andeutet, rückt er unverzüglich in den Angelpunkt der bisherigen Lokalisierungsversuche. Denn sein Fundort steht
mit den anderwärts abzuleitenden Richtlinien so sehr im Einklang, daß die an sich unbestreitbare Importmöglichkeit
völlig zurückgedrängt wird: da Schreiber die Mundart des xylographischen Begleittextes zu dem »Schmerzens-
mann« Sehr. 2457 (Wien und London) der oberrheinischen Gegend zwischen Basel und Straßburg zuweisen und die
gelegentlich des »Kirchengeschwätzes« ersichtlichen Modetrachten im Hinblick auf die Illustrationen der Grüninger-Drucke
noch unmittelbarer mit Straßburg verknüpfen konnte, droht keineswegs die Gefahr einer Zirkelbewegung, wenn man
ein leibhaftig ebendort auftauchendes Schrotblatt aus der »Maschennetz«-Gruppe eines autochthonen Ursprunges
verdächtigt und sodann, vom Gesellen auf den Meister rückschließend, die ganze Werkstatt mit Haupt und Gliedern
endgültig nach Straßburg verlegt.
Insofern die interessante Sittenschilderung Sehr. 2761 (Faks. Reichsdrucke Nr. 192 s. Abb. und Schreiber-Heitz LXIV,
T. 18 [1928]) für die vorhergehende Argumentation mitverantwortlich erscheint, ließe sich übrigens vielleicht auch eine
stärkere Betonung der mit ihr gegebenen stoffgeschichtlichen Momente wiederum zu deren Gunsten vernehmen. Hatte
nämlich zur spätmittelalterlichen Verbreitung der volkstümlichen Erzählung vom Teufel, der das pergamentene
»Sündenregister« der schwatzhaften Messehörer mit den Zähnen auseinanderzerrt,1 die literarische Fassung des
Chevalier de la Tour Landry (1372) nicht wenig beigetragen, mußte es einem oberrheinischen Formschneider von der
Wende des XV. Jahrhunderts vor vielen vergönnt sein, sich diese in der deutschen Erstübersetzung Marquards von Stein
zu eigen zu machen, die mit ihrem vielumstrittenen Holzschnittschmuck anno 1493 zu Basel bei Michael Furter heraus-
kam und offenbar genug fortzeugende Kraft besaß, um weiterhin den Petrarca-Meister Hans Weiditz, einen gebürtigen
Straßburger, zu seinem in Aschaffenburg bewahrten Scherzbilde2 zu ermuntern; auch ist es wohl von vornherein nicht
allzu verwunderlich, daß das nach Bolte an Ort und Stelle noch bei dem Protestanten Fischart fortlebende Thema gerade
im elsässischen Kulturkreis eine so verständnisinnige Aufnahme fand, wo ihm durch Männer wie Brant, Murner und
Geiler von Kaisersberg, die in ihren Strafpredigten die Geschwätzigkeit der Weiber im allgemeinen und der Kirchgänger
im besonderen unermüdlich verspotteten, ein trefflich beackerter Boden bereitet war. Wer sich dem fraglichen Schrot-
blatt zuguterlezt von der rein formalen Seite' her nähert, weiß die etwa zu erspähenden mittelrheinischen Einflüsse (aus
der Sphäre des Hausbuch-Meisters?) mit seiner mutmaßlichen Herkunft durchaus vereinbar. Um so eher, als die Holz-
schnitte zur lateinischen Erstausgabe des »Hortus sanitatis« (Mainz, Jakob Meydenbach 1491 = Hain* 8944), die auf
einzelne Kompositions- und Stellungsmotive der Vordergrunds-Figuren eingewirkt haben mögen,3 in den zahlreichen
Nachdrucken dieser Schrift, die Straßburger Offizinen besorgten, sogleich allenthalben kopiert wurden.
---■ Kurt Käthe.
1 Vergl. J. Bolte, »Der Teufel in der Kirche« in der »Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte« N. F. Bd. XI (1897), S. 249—266 (bei
Schreiber-Heitz mit unzureichender Ortsangabe zitiert). Zu den ungemein reichhaltigen Nachweisen dieses Aufsatzes, die im Texte durch einen seither
entdeckten Holzschnitt des Petrarca-Meisters vermehrt werden, ist noch eine bisher unbeachtete Variante der Vorstellung vom Sündenregister nach-
zutragen, die »Der Nonne zu Engeltal Büchlein von der Gnaden Überlast« (um 1350, S. 273 der Übertragung von M. Weinhandl, München 1921)
aufzeichnet: Das zwölfjährige Töchterlein einer verwitweten Klosterfrau fällt während einer Fastenmahlzeit in Ohnmacht, da es mitansieht, wie
»ein greulicher Teufel« die Reden der die Schweigepflicht bei Tische verletzenden Kinder notiert.
2 Erstabbildung des vordem unbeschriebenen Holzschnittes bei M. Geisberg, Der deutsche Einblatt-Holzschnitt in der ersten Hälfte des
XVI. Jahrhunderts, München 1923 ff., Lieferung V 39 (hiezu H. Röttinger in »Mitteilungen« 1927, S. 71). Geisbergs Datierung »um 1521« dürfte
auf die mit dieser Jahreszahl versehenen Karikaturen zurückgehen, die Röttinger in den »Mitteilungen« 1925, S. 34, Weiditz zugeteilt hat.
3 Man halte zum Beispiel die rechts unten befindliche Miinnergestalt des Schrotblattes mit dem die Hand in die Hüfte stützenden Jüngling
zusammen, der auf dem »Hortus«-Schnitt 11 II vo (vor dem Kapitel »De Lapidibus«) zu äußerst links sichtbar ist; zur Beinstellung gewährt die auf
dem Schnitte ij I vo (vor dem Kapitel »De Urinis«) rechts unten anzutreffende Figur noch nähere Vergleichspunkte. — Die zwischen den Hortus-
Illustrationen und dem Kreise des Hausbuch-Meisters bestehenden Beziehungen sind meines Wissens in der sehr ausgebreiteten Literatur kaum
(oder doch kaum nach Gebühr) gewürdigt worden: Ist es unter vielem nur ein Zufall, daß auf dem zuletzt genannten Blatte die Gruppe der einander bei den
Haaren zerrenden Lehrlinge, die inhaltlich auf den bekannten Schongauer-Stich B. 91 zurückgeht, unwillkürlich an das Ringerpaar auf der »Sol«-
Zeichnung des Hausbuches (fol. 14 a) gemahnt?
Zeichnungen von Jan de Cock und seinem Doppelgänger.
Unsere Kenntnis der niederländischen Zeichenkunst des XVI. Jahrhunderts ist verhältnismäßig jungen Datums.
Hinderlich war der Umstand, daß Signaturen zu den großen Seltenheiten gehören, hinderlich war aber auch, daß
— im Gegensatz zur gleichzeitigen deutschen Kunst — nur wenige Meister in größerem Maße auch als Graphiker tätig
gewesen sind. In den meisten Fällen sind also Identifikationen nur durch den schwierigen stilkritischen Vergleich mit
Gemälden, der selten ganz schlagend geführt werden kann, möglich.