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I. HISTORISCHER THEIL.
säten, dem Kanonikus Pecoil mitgetheüt worden war, interessant genug fand um sie
im Jahre 1674 in Lyon herauszugeben und mit einigen gelehrten Anmerkungen zu
versehen. Auch eine Ansicht von Athen fügte er hinzu, wir wissen nicht woher;
sie ist bei einigen Reminiscenzen an die Wirklichkeit im wesentlichen phantastisch
und der Parthenon vollends gänzlich entstellt233). Für Spon aber gewann diese
Arbeit eine weitere Wichtigkeit: sie ward der erste Anlass zu seiner griechischen
Reise.
48 Mittlerweile waren französische Kapuziner, welche 1658 an die Stelle der nach
Negroponte übergesiedelten Jesuiten getreten waren, in Athen thätig. Im Jahre 1669
bauten sie ihr Kloster an das Denkmal des Lysikrates (die 'Laterne des Demosthenes')
hinan und trieben auf ihre Art peripatetisch-archäologische Studien. Ihre verdienst-
lichste Arbeit ist ein Plan oder eine Ansicht Athens aus der Vogelperspective, in
welcher der Parthenon leidlich gezeichnet ist, aber doch so ungenau, dass z. B. der
längst zerstörte Ostgiebel ganz vollständig erscheint234). Ihre geringere Bildung
machte die Kapuziner im Gegensatz zu den vorhin genannten zu Trägern der mittel-
alterlichen Ueberlieferungen (S. 56), auch nahmen sie es mit der Zuverlässigkeit ihrer
Erzählungen nicht allzu genau. Dergleichen Berichte kamen schriftlich oder durch den
Mund zurückkehrender Brüder auch nach Frankreich und veranlassten den talent-
vollen Schriftsteller Guillet de St. Georges, sie mit den zahlreichen antiquarischen
Collectaneen des stockgelehrten Menrsius zu einem Buche zu verarbeiten, dem er die
Form einer Reisebeschreibung gab. Zu diesem Behufe fingiert sich Guillet einen
Bruder, de la Guilletiere, der in türkische Gefangenschaft gerathen ist und aus dieser
befreit Griechenland durchreist; nach dessen Mittheilungen und Meursius Arbeiten
habe er den Bericht zusammengestellt235). Die Einkleidung, ganz im Geschmack
der Zeit, ist so geschickt durchgeführt, dass nicht nur das Buch viele Leser — es
erlebte vier Auflagen — sondern auch die Fabel selbst vollen Glauben fand. Natür-
lich sind aber mit grosser Vorsicht aus dieser Compilation die Notizen herauszulesen,
welche auf die — überdies trübe — Quelle jener Kapuziner zurückgehen; speciell
vom Parthenon hatten sie nur die gewöhnlichsten Geschichten und falsche Aus-
schmückungen zu erzählen gewust. Das konnte man jedoch damals nicht ahnen, und
in der That las Spon, als er sich im Juni 1675 in Venedig auf dem Schiffe eines
Morosini einschiffte, das ihm eben zugekommene Büchlein mit arglosem Vergnügen.
In seiner Gesellschaft befanden sich drei Engländer, der naturkundige George Wheler,
der Mathematiker Francis Vernon und Sir Giles Eastcourt. Man vertrug sich nicht
aufs beste, und während Spon und Wheler zunächst nach Konstantinopel fuhren,
begab sich Vernon mit Eastcourt direct nach Athen, wohin ihm Spon Guillets Buch
mitgab236). Vernon blieb zwei Monate in Athen und bemerkte hier bald Guillets
Fälschung237) ; um so mehr war er bemüht mit Girauds Hilfe und trotz der Eifer-
233) Facsimiliert bei Laborde I zu S. 1S2.
23*) Facsimiliert ebda zu S. 78.
-3-"1) Anh. III, 10. Vgl. Laborde I, 214 ff., der viel zu viel Gewicht auf Guillets Nachrichten
legt. Sein Plan von Athen (ebda zu S. 228) ist nur eine nachlässige, dafür aber mit Namen und
Zahlen übersäete Kopie des Kapuzinerplans.
23«) Spon voy. II, 101. 153.
237) Philos. Tranmetions XI N. 124 S. 570 Monsieur de la Ouilliotiere in that Book he hath
writlen of Athens, has made a Cut of a Theatre, which he calls that of Bacchus, which is a meer
faney and invention of las own, nothing like the Natural one, which by the Plan, he has drawn of
the Town, I jadtje he did not know. I givt you this one hint, that you may not be deeeived by that
I. HISTORISCHER THEIL.
säten, dem Kanonikus Pecoil mitgetheüt worden war, interessant genug fand um sie
im Jahre 1674 in Lyon herauszugeben und mit einigen gelehrten Anmerkungen zu
versehen. Auch eine Ansicht von Athen fügte er hinzu, wir wissen nicht woher;
sie ist bei einigen Reminiscenzen an die Wirklichkeit im wesentlichen phantastisch
und der Parthenon vollends gänzlich entstellt233). Für Spon aber gewann diese
Arbeit eine weitere Wichtigkeit: sie ward der erste Anlass zu seiner griechischen
Reise.
48 Mittlerweile waren französische Kapuziner, welche 1658 an die Stelle der nach
Negroponte übergesiedelten Jesuiten getreten waren, in Athen thätig. Im Jahre 1669
bauten sie ihr Kloster an das Denkmal des Lysikrates (die 'Laterne des Demosthenes')
hinan und trieben auf ihre Art peripatetisch-archäologische Studien. Ihre verdienst-
lichste Arbeit ist ein Plan oder eine Ansicht Athens aus der Vogelperspective, in
welcher der Parthenon leidlich gezeichnet ist, aber doch so ungenau, dass z. B. der
längst zerstörte Ostgiebel ganz vollständig erscheint234). Ihre geringere Bildung
machte die Kapuziner im Gegensatz zu den vorhin genannten zu Trägern der mittel-
alterlichen Ueberlieferungen (S. 56), auch nahmen sie es mit der Zuverlässigkeit ihrer
Erzählungen nicht allzu genau. Dergleichen Berichte kamen schriftlich oder durch den
Mund zurückkehrender Brüder auch nach Frankreich und veranlassten den talent-
vollen Schriftsteller Guillet de St. Georges, sie mit den zahlreichen antiquarischen
Collectaneen des stockgelehrten Menrsius zu einem Buche zu verarbeiten, dem er die
Form einer Reisebeschreibung gab. Zu diesem Behufe fingiert sich Guillet einen
Bruder, de la Guilletiere, der in türkische Gefangenschaft gerathen ist und aus dieser
befreit Griechenland durchreist; nach dessen Mittheilungen und Meursius Arbeiten
habe er den Bericht zusammengestellt235). Die Einkleidung, ganz im Geschmack
der Zeit, ist so geschickt durchgeführt, dass nicht nur das Buch viele Leser — es
erlebte vier Auflagen — sondern auch die Fabel selbst vollen Glauben fand. Natür-
lich sind aber mit grosser Vorsicht aus dieser Compilation die Notizen herauszulesen,
welche auf die — überdies trübe — Quelle jener Kapuziner zurückgehen; speciell
vom Parthenon hatten sie nur die gewöhnlichsten Geschichten und falsche Aus-
schmückungen zu erzählen gewust. Das konnte man jedoch damals nicht ahnen, und
in der That las Spon, als er sich im Juni 1675 in Venedig auf dem Schiffe eines
Morosini einschiffte, das ihm eben zugekommene Büchlein mit arglosem Vergnügen.
In seiner Gesellschaft befanden sich drei Engländer, der naturkundige George Wheler,
der Mathematiker Francis Vernon und Sir Giles Eastcourt. Man vertrug sich nicht
aufs beste, und während Spon und Wheler zunächst nach Konstantinopel fuhren,
begab sich Vernon mit Eastcourt direct nach Athen, wohin ihm Spon Guillets Buch
mitgab236). Vernon blieb zwei Monate in Athen und bemerkte hier bald Guillets
Fälschung237) ; um so mehr war er bemüht mit Girauds Hilfe und trotz der Eifer-
233) Facsimiliert bei Laborde I zu S. 1S2.
23*) Facsimiliert ebda zu S. 78.
-3-"1) Anh. III, 10. Vgl. Laborde I, 214 ff., der viel zu viel Gewicht auf Guillets Nachrichten
legt. Sein Plan von Athen (ebda zu S. 228) ist nur eine nachlässige, dafür aber mit Namen und
Zahlen übersäete Kopie des Kapuzinerplans.
23«) Spon voy. II, 101. 153.
237) Philos. Tranmetions XI N. 124 S. 570 Monsieur de la Ouilliotiere in that Book he hath
writlen of Athens, has made a Cut of a Theatre, which he calls that of Bacchus, which is a meer
faney and invention of las own, nothing like the Natural one, which by the Plan, he has drawn of
the Town, I jadtje he did not know. I givt you this one hint, that you may not be deeeived by that