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71. PHIDIAS VOR DEM PARLAMENT. 72. BEDEUTUNG DES ANKAUFS. 85

kam es am 7 Juni zur Verhandlung vor den Gemeinen. Der Bericht stellte zuerst
die Rechtmässigkeit des Erwerbes fest und erörterte den streitigen Punkt hinsicht-
lich Elgins officiellen Charakters, hob sodann den Werth der Sammlung für die Bil-
dung des guten Geschmackes und die Hebung der Künste in England hervor, und
schlug endlich den Ankauf für die von Lord Aberdeen bezeichneten 35000 L.
vor, mit dem Hinzufügen, der Earl of Elgin und seine Erben gleichen Titels sollten
Trustees des britischen Museums werden. Zu besserer Aufklärung der Versammlung
ward ein kunsthistorischer Abschnitt über den Parthenon dem Berichte hinzugefügt366).
In seiner Rede erinnerte Bankes noch an die drohende Gefahr eines Verkaufes ausser-
halb Englands, und berief sich für die Summe auf Percevals früheres Anerbieten und
die inzwischen stattgefnndene Vergrösserung der Sammlung. Allein die Opposition
glaubte zu wissen, dass die Regierung durch den Ankauf eine Forderung an Lord
Elgin decken wolle, und leistete heftigen Widerstand. Cur wen erinnerte an das
Jahresdeficit von 17 Millionen; die meisten tummelten sich nach Herzenslust auf dem
Felde sittlicher Entrüstung, keiner pathetischer als Hammersley, um nach langer
Tragik zu dem Satyrspiel eines Amendements zu gelangen: man solle Elgin wegen
Misbrauches der Zeitverhältnisse und seiner Stellung tadeln, ihm 25000 L. gewähren,
und die Sammlung im britischen Museum zur Disposition der gegenwärtigen türkischen
oder der künftigen (seiner Meinung nach russischen) Regierung Athens aufbewahren!
Das Messe ja, erwiderte Croker richtig, die geretteten Schätze für theures Geld dem
sichern Verderben überliefern. Best und andere äusserten Zartgefühl wegen der Be-
stechungen — als ob in der Türkei ohne Geschenke irgend etwas erreichbar wäre.
Brongham endlich fand den Preis nicht zu hoch, fürchtete aber weitere Ausgaben
für den Bau einer geeigneten Räumlichkeit. Die Abstimmung entschied mit 82 gegen
30 Stimmen für den Ankauf367).

Nicht als Rechtfertigungsgrnnd für Lord Elgin, aber zur Steuer der Wahrheit 72
sei es wiederholt: mit diesem Parlamentsbeschluss beginnt eine neue Epoche der Be-
trachtung griechischer Kunstgeschichte. Nichts kann den Zustand der damaligen
Ansichten deutlicher vor Augen stellen als das Durcheinander der Meinungen in jenem
Zeugenverhör. Wir haben es heutzutage fast vergessen, wie wenig feste Anschauungen
man damals von Phidias hatte; die meisten hielten ihn für einen halbarchaisclien
Künstler, ja noch 1833 sprach ihm Hirt die Giebelgruppen wegen allzu grosser Weich-
heit ab368). 'Die Kunstgeschichte' urtheilt Welcker der jene Zeit erlebt hatte
'hat einen neuen Mittelpunkt, nach allen Seiten hin grosse Aufklärungen und für
immer den richtigen Massstab für die Hauptverhältnisse gefunden'36'1). Schwerlich
würde das der Fall gewesen sein, wenn die Werke in Athen geblieben wären, vor-
ausgesetzt auch dass die Türken sie geschont hätten und keine neue Zerstörung ein-
getreten wäre. Im britischen Museum erst wurden sie für jedermann zugänglich,
besonders seit der Neubau ihnen einen würdigen Platz bereitete. Sofort, schon 18IC,

m) Der Bericht (Anm. 307) steht auch im Annual Register for the Year 1816, 446 ff., in
Lyons Elgin Marbles Lond. 1S16 nnd deren deutscher Bearbeitung (Darmstadt); im Auszüge in
Böttigers 'Denkschrift' Anh E.

367) S. den Sitzungsbericht in Hansards PaHiamentary Debates XXXIV, 1027 ff. Im Auszug
bei Böttiger a. O. S. 55 ff.

ä«8) Gesch. der bild. Künste S. 140.

*®) Alte Denkm. I, 65.
 
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