56 I. HISTORISCHER THEIL.
dorn zwischen den beiden südlichen Säulen brach, Hess der Kislar-Aga, das Haupt
der schwarzen Eunuchen unter dessen besonderem Schutze Athen stand, da man
sich unfähig fühlte die Decke selbst zu erneuern, als Unterstützung einen plumpen
Pfeiler aus Steinen und Kalk mitten in den Raum hineinmauern221).
46 Die Besitznahme Athens durch die Türken umgab für die folgenden Zeiten er-
bitterter Kriege zwischen den christlichen Mächten Europas und dem Islam die Kunst-
schätze der Akropolis gleichsam mit einer chinesischen Mauer gegen die Aussenwelt:
die Stadt war so unbedeutend, dass auch sie nicht viel von sich reden machte. So
konnte es geschehen, dass nach mehr als hundert Jahren der gelehrte und schreib-
selige Tübinger Professor Martin Crusius (Kraus), welcher Verbindungen mit grie-
chischen Geistlichen in Konstantinopel angeknüpft hatte, diesen die Frage vorlegte,
ob es noch ein Athen gebe und wie es dort wohl aussehe225). Einer, der beim Pa-
triarchen angestellte Simeon Kabasilas aus Arta, weiss nur zu erzählen, dass bloss
Muselmänner auf der Burg wohnen und dass dort die Kirche des 'unbekannten Got-
tes' sei, nach dem schon oben berührten Volksglauben. Sein gelehrterer College da-
gegen, der Protonotar der grossen Kirche in Konstantinopel Theodosios Zygomaläs,
der von seiner Heimat Nauplia aus Athen oft besucht hatte, berichtet in schönen
Phrasen von 'Praxiteles' beiden 'anscheinend lebendigen, nach Menschenfleisch schnau-
benden' Rossen über dem Eingang und von den im Relief rings um den Tempel dar-
gestellten 'Göttergeschichten der Hellenen'; der ganze Tempel ist ihm 'das Pantheon'.
So dunkel waren damals die Vorstellungen, so durchaus verschollen alle echte Tra-
dition! Namentlich die Sage vom unbekannten Gott haftete im Volk mit aller der
Zähigkeit, welche die Anknüpfung an die christliche Urzeit nur gewähren konnte;
sie vor allem wurde den Reisenden berichtet226), und die Kapuziner, welche sich
1658 in Athen niederliessen, behaupteten sogar in maiorem dei gloriam, eine Inschrift
äfvoiaTci) S>£(p am Tempel selbst, bald über der Thür, bald im Giebel, gelesen zu
haben227).
»n Vgl. Anin. 192.
22») Anh. III, 4. 5. Vgl. Rosa arch. Aufs. I, 254 ff. 280 f. Laborde I, 55 ff.
**) Des Ilayes Anh. III, 6 (1630): les chretiens du pays disent u. s. w. Der französische
Consul auf Andros meldet am 5 Dec. 1687 dem Gesandten in Konstantinopel die Zerstörung des
tempio d'ignoto Dio (Laborde II, 173 Anm.).
--') Die Kapuziner fügten ihrem Plane (Laborde zu I, 78), dem ersten der Stadt Athen, bei
Uebersendung nach Frankreich die handschriftliche Notiz hinzu: ... le temple de Minerve oü Saint
Paul trouva ces paroles escrites sur un autel, ay^(&aTc;> 0£ o>, ignoto Deo; je les ay leu sur la porte
de la mosquee. Ce temple fut consacre a sainte Sophie du temps des chretiens et Von voit encor,
au fond, le siege episcopal eleve de douze deyrez. Babin Anh. III, 9 weiss nichts von der Inschrift,
sagt vielmehr S. 60 f.: il ne Teste pas meme aucune marque de ce fameux Autel d'oü Saint Paul
tira le sujet de la premiere predication qu'il fit duns cette ville, qui etoit consacre au Dieu inconnu.
Auf die Kapuziner bezieht sich der angebliche Guilletiere: Anh. III, 10 S. 193 f., wo er aber die
'berühmte Inschrift, von der man so viel redet', an den Giebel versetzt! Nachdem Spon (Anh. III,
12 S. 151 f.) den Schwindel aufgedeckt hatte, berief sich Guillet, der Verfasser jener fingierten
Reisebeschreibung, auf zwei Kapuziner und zwei reisende Edelleute {lettres ecr. sur une dissert. d'un
voyage de Gr'ece, publ. par M. Spon S. 128, s. Laborde II, 32 ff.). Wirklich versetzt Pater Barnabe
(ebda S. 161) in einem nichts weniger als zuverlässigen Briefe die Inschrift nunmehr, wo es ge-
gen den Protestanten Spon gieng, bereitwilligst an den Giebel: nous vimes avec plaisir ses colomnes et
son architecture et lumes par plusieurs fois sur le frontispice l'inscription AyvwaTo) 0£oj, que les chres-
titns de la primitive Eglise y avoient fait mettre en memoire des auleis dedies au Dieu inconnu, que
saint Paul avoit vus dans le pays. Vorsichtiger ist Pater Simon (ebda S. 164): il n'est que trop
vray que sur le frontispice du temple du chasteau, il y a l'inscription que vous me marques, Vayant
lue plusieurs fois, quoy qu'il y ait quelques lettres un peu effacees; mais le vulgaire les lit facile-
ment. Die Edelleute, mit denen zusammen P. Barnabe' die Inschrift gelesen haben wollte, waren
aber nie in der Akropolis gewesen, da während ihres Aufenthalts in Athen (1669) die Verhältnisse
zwischen Frankreich und der Pforte sehr feindselig waren, s. Nointels Depesche bei Laborde I, 124:
dorn zwischen den beiden südlichen Säulen brach, Hess der Kislar-Aga, das Haupt
der schwarzen Eunuchen unter dessen besonderem Schutze Athen stand, da man
sich unfähig fühlte die Decke selbst zu erneuern, als Unterstützung einen plumpen
Pfeiler aus Steinen und Kalk mitten in den Raum hineinmauern221).
46 Die Besitznahme Athens durch die Türken umgab für die folgenden Zeiten er-
bitterter Kriege zwischen den christlichen Mächten Europas und dem Islam die Kunst-
schätze der Akropolis gleichsam mit einer chinesischen Mauer gegen die Aussenwelt:
die Stadt war so unbedeutend, dass auch sie nicht viel von sich reden machte. So
konnte es geschehen, dass nach mehr als hundert Jahren der gelehrte und schreib-
selige Tübinger Professor Martin Crusius (Kraus), welcher Verbindungen mit grie-
chischen Geistlichen in Konstantinopel angeknüpft hatte, diesen die Frage vorlegte,
ob es noch ein Athen gebe und wie es dort wohl aussehe225). Einer, der beim Pa-
triarchen angestellte Simeon Kabasilas aus Arta, weiss nur zu erzählen, dass bloss
Muselmänner auf der Burg wohnen und dass dort die Kirche des 'unbekannten Got-
tes' sei, nach dem schon oben berührten Volksglauben. Sein gelehrterer College da-
gegen, der Protonotar der grossen Kirche in Konstantinopel Theodosios Zygomaläs,
der von seiner Heimat Nauplia aus Athen oft besucht hatte, berichtet in schönen
Phrasen von 'Praxiteles' beiden 'anscheinend lebendigen, nach Menschenfleisch schnau-
benden' Rossen über dem Eingang und von den im Relief rings um den Tempel dar-
gestellten 'Göttergeschichten der Hellenen'; der ganze Tempel ist ihm 'das Pantheon'.
So dunkel waren damals die Vorstellungen, so durchaus verschollen alle echte Tra-
dition! Namentlich die Sage vom unbekannten Gott haftete im Volk mit aller der
Zähigkeit, welche die Anknüpfung an die christliche Urzeit nur gewähren konnte;
sie vor allem wurde den Reisenden berichtet226), und die Kapuziner, welche sich
1658 in Athen niederliessen, behaupteten sogar in maiorem dei gloriam, eine Inschrift
äfvoiaTci) S>£(p am Tempel selbst, bald über der Thür, bald im Giebel, gelesen zu
haben227).
»n Vgl. Anin. 192.
22») Anh. III, 4. 5. Vgl. Rosa arch. Aufs. I, 254 ff. 280 f. Laborde I, 55 ff.
**) Des Ilayes Anh. III, 6 (1630): les chretiens du pays disent u. s. w. Der französische
Consul auf Andros meldet am 5 Dec. 1687 dem Gesandten in Konstantinopel die Zerstörung des
tempio d'ignoto Dio (Laborde II, 173 Anm.).
--') Die Kapuziner fügten ihrem Plane (Laborde zu I, 78), dem ersten der Stadt Athen, bei
Uebersendung nach Frankreich die handschriftliche Notiz hinzu: ... le temple de Minerve oü Saint
Paul trouva ces paroles escrites sur un autel, ay^(&aTc;> 0£ o>, ignoto Deo; je les ay leu sur la porte
de la mosquee. Ce temple fut consacre a sainte Sophie du temps des chretiens et Von voit encor,
au fond, le siege episcopal eleve de douze deyrez. Babin Anh. III, 9 weiss nichts von der Inschrift,
sagt vielmehr S. 60 f.: il ne Teste pas meme aucune marque de ce fameux Autel d'oü Saint Paul
tira le sujet de la premiere predication qu'il fit duns cette ville, qui etoit consacre au Dieu inconnu.
Auf die Kapuziner bezieht sich der angebliche Guilletiere: Anh. III, 10 S. 193 f., wo er aber die
'berühmte Inschrift, von der man so viel redet', an den Giebel versetzt! Nachdem Spon (Anh. III,
12 S. 151 f.) den Schwindel aufgedeckt hatte, berief sich Guillet, der Verfasser jener fingierten
Reisebeschreibung, auf zwei Kapuziner und zwei reisende Edelleute {lettres ecr. sur une dissert. d'un
voyage de Gr'ece, publ. par M. Spon S. 128, s. Laborde II, 32 ff.). Wirklich versetzt Pater Barnabe
(ebda S. 161) in einem nichts weniger als zuverlässigen Briefe die Inschrift nunmehr, wo es ge-
gen den Protestanten Spon gieng, bereitwilligst an den Giebel: nous vimes avec plaisir ses colomnes et
son architecture et lumes par plusieurs fois sur le frontispice l'inscription AyvwaTo) 0£oj, que les chres-
titns de la primitive Eglise y avoient fait mettre en memoire des auleis dedies au Dieu inconnu, que
saint Paul avoit vus dans le pays. Vorsichtiger ist Pater Simon (ebda S. 164): il n'est que trop
vray que sur le frontispice du temple du chasteau, il y a l'inscription que vous me marques, Vayant
lue plusieurs fois, quoy qu'il y ait quelques lettres un peu effacees; mais le vulgaire les lit facile-
ment. Die Edelleute, mit denen zusammen P. Barnabe' die Inschrift gelesen haben wollte, waren
aber nie in der Akropolis gewesen, da während ihres Aufenthalts in Athen (1669) die Verhältnisse
zwischen Frankreich und der Pforte sehr feindselig waren, s. Nointels Depesche bei Laborde I, 124: